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Freitag, März 29, 2024
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    Mesale Tolu: Willkürliche Festnahme

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    Gülay Tolu hält die Inhaftierung ihrer Schwester, der deutschen Journalistin Mesale Tolu, in der Türkei für politisch motiviert.

    Das Interview erschien zuerst im Neuen Deutschland und wurde von unserem Redakteur Kevin Hoffmann geführt.

    Ihre Schwester Mesale Tolu wurde am 30. April in ihrer Wohnung in Istanbul verhaftet. Was wird ihr genau vorgeworfen?

    Ihr wird vorgeworfen, an einer Gedenkfeier für die im syrischen Rojava im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz “Islamischer Staat” (IS) getötete Deutsche Ivana Hoffmann sowie an einer Beerdigung von zwei durch die Polizei in Istanbul erschossenen Kommunistinnen teilgenommen zu haben. Das ist ein vollkommen menschliches Verhalten und kann doch niemals als Straftat ausgelegt werden! Nur aus diesem Grund wird ihr auch vorgeworfen, Mitglied einer »terroristischen Organisation« zu sein. Genaueres wissen wir bisher nicht, auch die Anwälte haben keine Einsicht in die Akten, da diese vom Gericht als geheim eingestuft wurden.

    Haben Sie oder ein Anwalt Kontakt zu Frau Tolu? Wie geht es ihr zur Zeit?

    Nein, wir haben keinen Kontakt zu ihr. Wir durften sie bisher nicht sehen, obwohl mittlerweile zwölf Tage vergangen sind. Wir wissen nicht wie es ihr geht, da uns bisher jede Kontaktaufnahme mit der Begründung, sie sei deutsche Staatsbürgerin, verweigert wurde. Obwohl wir ihre Familie sind, müssen wir erst einen Besuchsantrag stellen und auf die Genehmigung aus Ankara warten. Uns ist nur durch die Anwälte bekannt, dass sie, als sie in Gewahrsam genommen wurde, in einen sechstägigen Hungerstreik getreten ist, bis der Richter die Untersuchungshaft anordnete. Sie wollte damit gegen die ungerechte Behandlung, der sie ausgesetzt ist, protestieren.

    Im Internet sind Bilder von der verwüsteten Wohnung von Frau Tolu zu finden. Was können sie über die Umstände der Festnahme sagen?

    Es war einfach unglaublich für uns, die Wohnung in dem Zustand zu sehen. Es war alles völlig verwüstet, auch die Spielzeuge des Sohnes meiner Schwester hat man durchsucht. Durch den Ausnahmezustand ist hier alles viel schlimmer geworden. Die Polizei hat das Recht, ohne Durchsuchungserlaubnis deine Wohnung zu überfallen. Meine Schwester wurde wie eine Schwerverbrecherin behandelt. Obwohl sie dabei war, die Tür zu öffnen, haben die Sondereinheiten der Polizei die Tür mit Gewalt aufgebrochen. Sie sind anschließend maskiert und mit Sturmgewehren bewaffnet in die Wohnung eingedrungen. Sie wurde auf den Boden geschmissen und jemand setzte sich dann auf ihren Rücken. Sie wurde körperlich und psychisch misshandelt. Dies hat sie nach der Verhaftung ihren Anwälten mitgeteilt. Das alles passierte, während sich ihr zweieinhalbjähriger Sohn in der Wohnung befand. Das Ganze ist sehr schrecklich für uns gewesen, als wir es erfahren haben.

    Seit dem gescheiterten Putschversuch am 16. April 2016 sind zehntausende Menschen verhaftet worden. Auch immer mehr JournalistInnen geraten in Erdogans Fadenkreuz. Denken Sie, dass die journalistische Arbeit von Frau Tolu ausschlaggebend für ihre Festnahme war?

    Ja, auf jeden Fall! Meine Schwester ist hier als Journalistin und Übersetzerin ehrenamtlich tätig gewesen. Uns allen ist der Fall Deniz Yücel bekannt sowie der von vielen anderen Journalisten, die seit dem Putschversuch am 16. April 2016 verhaftet wurden und heute noch inhaftiert sind. Nicht nur Journalisten, sondern auch Abgeordnete und Lehrer werden hier, ohne eine konkrete Straftat begangen zu haben, willkürlich festgenommen. Sie haben alle nur ihre demokratischen Rechte genutzt und Öffentlichkeitsarbeit geleistet. So wie meine Schwester dies durch ihren ehrenamtlichen Job als Journalistin und Übersetzerin tat. Es kann doch nicht sein, das man bestraft wird, nur weil man an Beerdigungen und Gedenkfeiern teilgenommen hat! Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen, werden hier willkürlich verhaftet.

    Frau Tolu hat ja die deutsche Staatsangehörigkeit. Wie hat die deutsche Botschaft in der Türkei auf die Festnahme reagiert? Bekommen Sie Unterstützung von dort?

    Bisher hat die deutsche Botschaft noch keinen Kontakt zu uns aufgenommen. Wir wissen nur durch einen Anwalt aus Deutschland, dass die Botschaft, nachdem der Anwalt ihr die Festnahme mitteilte, meinte, dass sie sich um den Fall kümmern werde. Bis jetzt ist jedoch nichts passiert. Bisher haben wir nur Unterstützung durch Freundinnen und Freunde meiner Schwester aus der Türkei und aus Europa bekommen. Diese machen sich, genauso wie wir, große Sorgen um sie.

    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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