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Freitag, März 29, 2024
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    Politischem Gefangenen Yusuf Tas droht Zwangsernährung

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    Auch in Deutschland gibt es nach wie vor politische Gefangene. Seit dem 30. März befindet sich Yusuf Tas im Hungerstreik. Nun drohen ihm Zwangsmaßnahmen. Was sind die Hintergründe? Ein Interview mit dem “Arbeitskreis Solidarität”.

    Wer ist Yusuf Tas?

    Yusuf Tas ist Teil der “Anatolischen Föderation” und engagiert sich gegen Rassismus, Faschismus und Diskriminierung von MigrantInnen. Im Juni 2013 ist er im Rahmen einer Polizeiaktion, die in Deutschland und Österreich stattfand, in Österreich zusammen mit Özgür Aslan mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der, in Deutschland verbotenen, “DHKP-C” (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, marxistisch-leninistische Partei in der Türkei) verhaftet worden. Mit dem selben Vorwurf wurden Muzaffer Dogan und Sonnur Demiray in Deutschland inhaftiert. Die BRD beantragte die Auslieferung aus Österreich, wogegen sich Yusuf Tas und Özgür Aslan mit einem 50tägigen Hungerstreik gewehrt haben. Im Rahmen des Hungerstreiks wurde Özgür zwangsernährt. Die Auslieferung konnte jedoch nicht verhindert werden. So wurden die Beiden nach Deutschland ausgeliefert und zusammen mit Muzaffer Dogan und Sonnur Demiray vor dem OLG Stuttgart zu Haftstrafen verurteilt, Yusuf Tas zu 6 Jahren.

    Juristisch legitimiert wurde dies mit dem §129b, der laut Gesetz die Mitgliedschaft bzw. Unterstützung oder Werbung in einer „ausländischen terroristischen Organisation“ unter Strafe stellt.

    Zum Hintergrund muss gesagt werden, dass die “DHKP-C” die erste linke Organisation war, gegen die der §129b angewendet wurde. 2008 fand “in historischer Kontinuität” in Stuttgart-Stammheim der Präzedenz-Prozess samt Verurteilung der Aktivisten mit Hilfe des Paragraphen statt, und seitdem werden Jahr für Jahr Verhaftungen und Prozesse mit Hilfe dieses Vorwurfs durchgeführt. Nach und nach wurden dann weitere Organisationen ins Visier genommen. 2010 wurde die Kriminalisierung der PKK (kurdische Arbeiterpartei) durch die Ausweitung des §129b möglich und AktivistInnen wurden als „Terroristen“ verurteilt. 2015 kam es dann mit Hilfe des §129b zu Verhaftungen von “ATIK”-AktivistInnen (Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei in Europa) mit dem Vorwurf, Mitglieder der (in Deutschland NICHT verbotenen) “TKP/ML” (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) zu sein. Aktuell gibt es 25 Gefangene, die mit diesem Vorwurf inhaftiert sind. Yusuf Tas ist einer von ihnen.

    Welche Ziele verfolgt er mit dem Hungerstreik?

    Dazu müssen wir kurz ausholen und die Bedingungen kurz schildern, unter denen er eingesperrt ist. Yusuf wurde Ende Februar von der JVA Stammheim in die JVA Heimsheim verlegt. Seit seiner Ankunft dort war er rigiden Bedingungen ausgesetzt, von denen er aber nur nach und nach erfahren hat: Er kam in eine Sonderabteilung für Disizplinarmaßnahmen, Besuche wurden nicht genehmigt, Telefonanträge (im Gefängnis müssen Telefonanrufe vom Gefangenen beantragt und von der JVA-Leitung genehmigt werden) wurden nicht bearbeitet, seine Post wurde nicht verschickt und an ihn adressierte Post nicht durchgelassen. Selbst die Kommunikation mit seinen Anwälten wurde eingeschränkt und sein Hungerstreik ihnen gegenüber verleugnet.

    Das Ganze zog sich über mehrere Wochen hin und erst dann wurde ihm mitgeteilt, dass diese Maßnahmen getroffen wurden. In einem Gespräch mit der Anstaltsleitung, in dem er von dieser eine Klärung forderte, kam dann heraus, dass es der JVA zu teuer war, die Briefe und Gespräche übersetzen zu lassen. Die Anstaltsleitung fragte ihn auch tatsächlich, ob er denn die Übersetzung für seine Briefe bezahlen würde. Yusuf, dessen Bekannte und Freunde oft ausschließlich türkisch sprechen, wie auch seiner Familie, die ihm aus der Türkei schrieb, wurde also verweigert, auf türkisch zu kommunizieren.

    Yusuf hat sich dem widersetzt und am 30. März einen Hungerstreik begonnen, um durchzusetzen, dass er weiterhin türkische Briefe schreiben und erhalten und auf türkisch telefonieren darf.

    Seine Forderungen im Wortlaut sind:

    • „Aufhebung der Beschränkungen bei Briefen und im Schriftverkehr
      • beim Sprechen
      • bei Briefmarken und Fotos
      • bei legalen Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Zeitungsartikeln, Erklärungen oder Ähnlichem
    • Das Ende der „unwürdigen“ Durchsuchungen
    • Die Verlegung auf ein normales Stockwerk, um
      • an sozialen Aktivitäten teilnehmen zu können
      • ein Fernstudium oder andere Weiterbildungen zu ermöglichen (hier oder durch Verlegung in eine andere JVA wie Freiburg)
    • Kein Anstaltskleiderzwang bei der Arztvisite oder allgemein

    WEG MIT DER ISOLATIONSFOLTER!“

    Wieso nutzt Yusuf das Mittel des Hungerstreiks?

    Er selbst hat sich zu der Frage nicht direkt geäußert, aber die Mittel eines Gefangenen sind natürlich sehr beschränkt. Vor allem, wenn er von der Außenwelt isoliert ist. Die stärkste Waffe, die ein Gefangener in einer solchen Situation hat, ist sein Körper. Und diesen setzt Yusuf Tas in seinem Kampf ein: Er riskiert Gesundheit und Leben, um seine Forderungen durchzusetzen. Dies zeigt, dass er bereit ist, alles in seinem Kampf für Gerechtigkeit zu geben.
    Dass solche drastischen Kampfmethoden nötig sind, um die eigenen Rechte zu erkämpfen, zeigt, wie oftmals mit politischen Gefangenen in den Gefängnissen dieser Welt umgegangen wird. Maßnahmen wie die, denen Yusuf ausgesetzt ist, werden angewendet, um die Menschen zu brechen und zu zeigen, dass sie – vor allem die widerspenstigen und rebellischen Menschen – nicht an erster Stelle stehen, sondern vielmehr dem Profit und der Aufrechterhaltung der „Ordnung und Sicherheit“ untergeordnet sind. Hungerstreiks zeigen, dass sich nicht alle diesem System unterordnen wollen und ihr Äußerstes für die Gerechtigkeit und den Kampf um Befreiung zu geben bereit sind.

    Am 2. Mai wurde Yusuf von der JVA Heimsheim ins Gefängniskrankenhaus Hohenasperg verlegt und ihm drohen Zwangsmaßnahmen. Wie sind diese Zwangsmaßnahmen einzuschätzen?

    Es ist davon auszugehen, dass es seitens der JVA und der Justiz eine Maßnahme zur „Absicherung“ war, so dass sie sich später juristisch nichts vorwerfen lassen müssen, weil Yusufs medizinische Versorgung durch das Krankenhaus besser gewährleistet sei. Außerdem ist Hohenasperg weit “ab vom Schuss”. Vermutlich ging es der JVA auch darum, nicht als Hauptangriffspunkt wahrgenommen zu werden. Im Rahmen dieses §129b-Präzedenzprozesses haben wir es auch mit einer historischen Kontinuität zu tun: Seit 1968 ist in der Festung Hohenasperg das Gefängniskrankenhaus untergebracht. Im Rahmen der Terrorhysterie in den 70ern wurde u.a. der RAF-Militante Günter Sonnenberg dorthin gebracht und zwangsernährt.

    Wie geht Yusuf mit den Einschränkungen seiner Rechte um?

    Er kämpft mit dem Hungerstreik dagegen an und informiert darüber. Durch seinen Hungerstreik hat er unter anderem erreicht, dass die Isolation ein Stück weit aufgehoben wurde, dass Briefe und Besuche zugelassen wurden und dass die Maßnahmen – zumindest ansatzweise – in der linken Öffentlichkeit bekannt gemacht und diskutiert wurden.

    Innerhalb der deutschen Medienlandschaft ist selten von politischen Gefangenen die Rede. Gibt es weitere Gefangene, die sich in ähnlichen Situationen wie Yusuf befinden?

    Wie oben schon kurz angeschnitten: Aktuell gibt es 25 Gefangene, die mit Hilfe des §129b inhaftiert und teils ähnlichen Bedingungen ausgesetzt sind. Darüber hinaus gibt es noch weitere politische Gefangene in Deutschland, die auch mit Schikanen konfrontiert sind und sich gegen diese zu wehren haben.
    Um nur zwei Beispiele für solche Situationen zu nennen: Gülaferit, eine §129b-Gefangene in Berlin, war in ihrer Haftzeit zahlreichen Bosheiten ausgesetzt und wurde zeitweise isoliert. Mehmet Yesilcali, dem die Mitgliedschaft in der TKP/ML vorgeworfen wird, wurde Anfang 2017 in der JVA Stadelheim misshandelt. Sicherheitskräfte schlugen ihn zusammen und zwangen ihn, sich komplett auszuziehen. Er musste die ganze Nacht nackt verbringen. Dies sind nur zwei Beispiele für eine ganze Reihe solcher Situationen. Allgemein muss leider festgestellt werden, dass die Isolation von Gefangenen und Schikanen, insbesondere von politischen Gefangenen, eher die Regel als die Ausnahme sind. Noch allgemeiner lässt sich vermuten, dass das “Knastsystem” zum Ziel hat, die Gefangenen zu brechen.

    Wie kann man Yusuf unterstützen?

    Durch Briefe, Postkarten, solidarische Grüße zeigen wir Yusuf, dass er nicht allein ist, dass wir bei ihm sind. Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, Öffentlichkeit herzustellen und über seine Situation zu informieren. Verbreitet die Informationen – das erhöht auch den Druck auf die JVA! Und natürlich freut sich Yusuf auch über Solidaritätsaktionen!

    Yusuf Tas
    Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg
    Schubartstraße 20
    71679 Asperg

    Wer ist der “Arbeitskreis Solidarität” und worin seht Ihr Eure Aufgaben?

    Konkret versuchen wir in der Frage der Solidarität, über ideologische Unterschiede hinweg eine Einheit herzustellen. Wir thematisieren die Hintergründe der Kriminalisierung, aber organisieren auch konkrete Solidarität durch Prozessbeobachtungen, Kundgebungen, Solidaritätsaktionen und Veranstaltungen. Insbesondere den §129 verfolgen wir schon eine ganze Weile und versuchen mit anderen Gruppen, gemeinsam eine Plattform gegen die daraus resultierenden Angriffe zu organisieren.
    Aber auch internationale Kämpfe sind Bestandteil unserer Arbeit. So sind wir aktuell an der Kampagne „Revolutionäre Solidarität mit Rojava“ beteiligt, die Gelder für blutstillende “Celox”-Verbände für die KämpferInnen in Rojava (u.a. des IFB) sammelt (de.rojava.xyz). Die Kampagne wird von der “Roten Hilfe International” mitgetragen und sieht sich in der Tradition der Solidarität mit dem spanischen Bürgerkrieg, die damals unter anderem von der historischen Internationalen Roten Hilfe ausging.
    Allgemein konzentriert sich unser “Arbeitskreis Solidarität” auf das Verhältnis von Revolution und Konterrevolution – also dem Kampf um Befreiung auf der einen und der Repression der Herrschenden auf der anderen Seite. Das beinhaltet, Repression als Teil des Klassenkampfs von oben zu betrachten und ihr daraus schlussfolgernd die Perspektive einer befreiten Gesellschaft gegenüber zu stellen. Im Konkreten heißt das einerseits, konkrete Repressionsfälle aufzugreifen, Solidarität zu organisieren und dies in den Kontext der Klassenkämpfe zu setzen, andererseits aber auch die Qualität der Repression im Verhältnis zu den stattfindenden Kämpfen zu sehen – lokal wie international.
    Dazu gehört eine Perspektive, die jenseits der herrschenden Verhältnisse liegt, weswegen der “Arbeitskreis Solidarität” ein Teil von “Zusammen Kämpfen [Stuttgart]” (www.zk-stuttgart.tk) ist und sich auch in der “Roten Hilfe International” (www.rhi-sri.org) organisiert.

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