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Donnerstag, März 28, 2024
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    Atomkraft. Ein Beispiel für staatliche Finanzierung der Industrie – von Thomas Stark

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    Zwei Meldungen im Zusammenhang mit der Atomkraft haben in den vergangenen Wochen für reichlich Diskussionsstoff gesorgt. Dazu hier ein Kommentar von Thomas Stark

    Am 11.06. berichteten die deutschen Medien, dass die belgischen Atomkraftwerke “Tihange 2” und “Doel 3” noch deutlich maroder sind als ohnehin schon angenommen. Der belgische Staat spielte das Problem von 370 zusätzlichen Rissen in Hochdruckkesseln erwartungsgemäß herunter. Ebenso erwartungsgemäß konzentrierte sich die Berichterstattung bei uns vor allem auf die Gefahren für Deutschland – und darauf, das Problem in chauvinistisch anmutender Manier auf die angebliche Unfähigkeit der belgischen Behörden und des Betreibers, einer Tochterfirma des französischen Energiekonzerns “Engie”, zu reduzieren.

    In der Woche zuvor hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht die sogenannte “Kernbrennstoffsteuer” für grundgesetzwidrig erklärt. Das bedeutet, dass die Atomkonzerne in Deutschland auf Rückzahlungen des Staates in Höhe von etwa sieben Milliarden Euro hoffen können. Erst im April 2016 hatte die Bundesregierung mit ihnen den “Atom-Deal” abgeschlossen, der das Kostenrisiko für die Entsorgung des Atommülls weitestgehend auf die Steuerzahler abwälzt. Von den etwa 24 Milliarden Euro, die “RWE”, “E.on”, “EnBW” und “Vattenfall” selbst hierfür bereitstellen sollten (und die allen Berichten zufolge niemals ausreichen würden), wird ihnen unter dem Strich also mehr als ein Viertel erlassen.

    Wie die ARD-Sendung “Monitor” am 15.06. enthüllte, hatte die Regierung Merkel diese sieben Milliarden Euro Kosten durch das Urteil schon bei den Verhandlungen über den Atom-Deal eingeplant. Mehr noch: Mögliche Verhandlungen über einen Rückzug der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht durch die Konzerne habe die Regierung seinerzeit “explizit ausgeschlossen”. Und das, obwohl sie schon vor der Verabschiedung des Gesetzes über die Kernbrennstoffsteuer im Jahr 2010 durch Rechtsgutachten, die sie von den Konzernen selbst erhalten hatte, vom wahrscheinlichen Ausgang des Verfahrens wusste. Das Fazit von Monitor: “Ein schönes Geschenk der Bundesregierung an die Atomkonzerne. Geld, das eigentlich dem Steuerzahler gehört.” (Link)

    Beide Fälle – der belgische und der deutsche – sind politische Skandale. Dort erklärt der Staat marode AKWs als “sicher”. Hier verteilt er großzügige Geldgeschenke an die Industrie. Beide Skandale werfen ein Licht auf den Charakter der kapitalistischen Gesellschaftsordnung: Denn in beiden Fällen geht es nicht um unfähige Behörden oder die Korruption einzelner Beamter.

    Die Atomindustrie und ihre diversen Skandale sind vielmehr erstens ein Beispiel für die Rücksichtslosigkeit kapitalistischer Konzerne gegenüber Menschenleben und einer möglichen Zerstörung der natürlichen Umwelt – alles zum Zwecke möglichst hoher Profite. Zweitens ist die Atomindustrie ein Beispiel dafür, dass auch die kapitalistischen Staaten heute auf allen Stufen des Wirtschaftszyklus’ direkt in die Organisierung dieser möglichst hohen Konzernprofite eingebunden sind: von staatlichen Investitionen bis hin zur steuerlichen Umverteilung “von unten nach oben”. Laut einer “Greenpeace”-Studie aus dem Jahr 2010 seien seit den 1950er Jahren rund 204 Milliarden Euro staatlicher Förderung in die Atomkraft geflossen. Ohne diese Staatsgelder wären Atomkraftwerke niemals profitabel gewesen. Noch drastischer würden die Zahlen ausfallen, wenn man die Risiken der Atomkraft in die Berechnung mit einbeziehen würde, welche aber “nicht exakt zu berechnen” seien. Die Atomkraft sei “nicht nur die gefährlichste, sondern auch die teuerste Form der Stromerzeugung” (Link).

    Nachdem unser Staat die AKWs jahrzehntelang auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung für die Konzerne profitabel gehalten hat, zahlt er jetzt also auch noch für das Aufräumen. Die staatlichen Eingriffe zugunsten der Industrie sind ein Anzeichen dafür, wie sehr die heutige Produktionstechnik, wie z.B. für die Energieerzeugung, oft zu groß und zu teuer geworden ist, um durch einzelne Firmen, selbst große Konzerne, gehandhabt zu werden. Sie erfordert gesellschaftliche Planung und Kontrolle. Diese ist aber nur dann zum Wohl der Gemeinschaft möglich, wenn auch die Produktionsmittel der Gesellschaft gehören.

    In einer sozialistischen Gesellschaft könnten die arbeitenden Menschen nach sachlichen Gesichtspunkten – und nicht für den Profit – das Für und Wider der verschiedenen Möglichkeiten der Energiegewinnung abwägen. Auf dieser Grundlage könnten sie einen volkswirtschaftlichen Plan für die Energieerzeugung aufstellen und umsetzen, der sowohl die Stromversorgung als auch den Arbeits- und Umweltschutz nachhaltig sicherstellte.

    Die Kapitalisten und ihr Staat machen das genaue Gegenteil.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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