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Freitag, März 29, 2024
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    Krieg. Und die Verantwortung der G20 – von Thomas Stark

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    Über die Gewalt der G20-Weltordnung. Ein Überblick. 

    Trump und Putin vereinbaren Waffenruhe für Südwesten Syriens” – das meldet die Frankfurter Allgemeine heute auf ihrer Titelseite. Es ist so ziemlich das einzige konkrete Ergebnis des G20-Gipfels in Hamburg. Daran ändert auch die als “Erfolg” bezeichnete gemeinsame Abschlusserklärung nichts, die die bestehenden Widersprüche nur notdürftig überdeckt. Dabei ist der Krieg in Syrien bei weitem nicht der einzige bewaffnete Konflikt, an dem einer oder mehrere der G20-Staaten aktuell beteiligt sind. Hinzu kommt eine Reihe von Krisen, aus denen kurzfristig Kriege werden können. Im folgenden eine Übersicht über einige der wichtigsten und schlimmsten Krisenherde:

    Afghanistan

    Seit der NATO-Invasion von 2001 ist das zentralasiatische Land von ausländischen Truppen besetzt. Die Mission “Resolute Support” (RSM) folgte 2015 auf die “International Security Assistance Force” (ISAF), in deren Rahmen zu Spitzenzeiten mehr als 130.000 Soldaten in dem Land stationiert waren. Heute sind es immer noch knapp 15.000, die zur “Ausbildung, Beratung und Unterstützung” der afghanischen Streitkräfte dienen sollen. Tatsächlich tobt in dem Land noch immer ein blutiger Krieg, insbesondere zwischen dem afghanischen Staat und den Taliban, die in den vergangenen Jahren weitere Gebiete unter ihre Kontrolle bringen konnten. Unter den G20-Staaten sind die USA mit 7.000 Soldaten, Deutschland mit 980 sowie Großbritannien, Italien, die Türkei, Australien und einige weitere EU-Staaten beteiligt. Gelegen zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan, dem Iran im Westen, China im Osten und Pakistan in Süden, hat das Land für die NATO-Staaten eine Bedeutung als geostrategischer – gegen russische und chinesische Interessen gerichteter – Stützpunkt, aber gleichzeitig auch als mögliches Transitland für Öl- und Gaspipelines.

    Irak

    Als Ergebnis des letzten, US-geführten Irak-Kriegs und der anschließenden jahrelangen Besatzung ist das Land heute ethnisch zerstückelt. Seit 2014 hatte der “Islamische Staat”(IS)- der aus einem Zusammengehen des irakischen “Al-Qaida”-Ablegers mit Offizieren aus dem Sicherheitsapparat des früheren Präsidenten Saddam Hussein hervorgegangen war – darüber hinaus auch Teile des Landes in Besitz genommen. Die Gegenoffensive der US-gestützten irakischen Armee dauert noch an. Aktuell kämpfen beide Seiten heftig um die Stadt Mossul. Starken politischen Einfluss im Irak hat das Nachbarland Iran, das im Kriegsland Syrien mit der dortigen Regierung und mit dem G20-Staat Russland gegen die Westmächte kooperiert. Die USA, Saudi-Arabien und die Türkei hingegen haben eine Vielzahl von islamistischen Kräften in der Region unterstützt.

    Jemen

    Auch in dem südarabischen Land Jemen vermischen sich lokale, ethnische und religiöse Konflikte mit dem Wirken islamistischer Söldnertruppen und der Einflussnahme anderer Staaten, in diesem Fall besonders Saudi-Arabiens und Irans. Seit 2015 führt eine saudisch geführte Militärallianz, die von den USA, Frankreich und Großbritannien logistisch unterstützt wird, einen Luftkrieg gegen den Jemen, der vor allem pro-iranische, schiitische Milizen zum Ziel hat. Seit März 2015 wurden durch diesen Krieg 2,5 Millionen JemenitInnen vertrieben.

    Katar

    Der Konflikt um Katar bewegt sich momentan auf der Ebene eines Wirtschaftskriegs, bzw. einer ausgeprägten politischen Krise. Sie hat das Potenzial, in einen heißen Krieg zwischen den führenden Regionalmächten der arabischen Halbinsel umzuschlagen. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Erimate, Ägypten und Bahrain haben Anfang Juni ihre diplomatischen Kontakte zu Katar abgebrochen, die Grenzen zu dem Land abgeriegelt, Handelswege unterbrochen und Reiseverbote verhängt. Sie forderten Katar unter anderem auf, binnen zehn Tagen die diplomatischen Beziehungen zum Iran herunterzufahren und einen seit 2016 bestehenden türkischen Militärstützpunkt nahe der Hauptstadt Doha sowie den international tätigen Fernsehsender Al Jazeera (auch: Al Dschazira) zu schließen. Bei dieser Krise geht es vor allem Saudi-Arabien offensichtlich darum, einen regionalen Konkurrenten zu schwächen und dessen Verbindungen zur Türkei und zum Iran zu torpedieren – die auch umgehend Partei für Katar ergriffen. Die Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und Katar äußert sich unter anderem in der Unterstützung unterschiedlicher islamischer Gruppierungen: z.B. ist Katar zusammen mit der Türkei wichtigster Förderer der “Muslimbruderschaft”, die vom saudischen Königshaus als Gefahr für den eigenen Machtanspruch in den islamischen Ländern angesehen wird. Nach den Sanktionen mischte sich die US-Regierung ein und ergriff  Partei für Saudi-Arabien. Gleichzeitig jedoch unterhalten die USA in Katar einen großen Militärstützpunkt.

    Während des G20-Wochenendes hat Saudi-Arabien nun mit weiteren Sanktionen gedroht. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Krise könnten beträchtlich sein: Der katarische Staatsfond “Qatar Holding” ist u.a. mit 17 Prozent Anteilen ein bedeutender Aktionär bei “Volkswagen” sowie bei der Londoner Börse und der schweizerischen Bank “Credit Suisse”. Der Verwalter des Staatsfonds, der frühere Premierminister von Katar und Mitglied der königlichen Familie – Hamad ibn Dschasim ibn Dschabir Al Thani –  hält als privater Anleger außerdem 3 Prozent an der “Deutschen Bank”. Da überrascht es nicht, dass Bundesaußenminister Gabriel in der vergangenen Woche zu Vermittlungsversuchen in die Region gereist ist – jedoch offenbar ohne Erfolg.

    Korea

    Die “Demokratische Volksrepublik Korea” (DVRK) im Norden und die “Republik Korea” (Südkorea) im Süden der ostasiatischen Halbinsel befinden sich seit 1953 offiziell im Waffenstillstand. Der Koreakrieg zwischen beiden Staaten zu Beginn der 1950er Jahre – in den die USA zugunsten des Südens intervenierten und der mehrere Millionen Menschen das Leben kostete – dauert formal also bis heute an. Die Situation auf der Halbinsel ist seit Jahrzehnten durch eine permanente militärische Bedrohung des nordkoreanischen Staates durch Südkorea, Japan und die USA in seiner Existenz geprägt. Der Norden hält angesichts der Einkreisung mit 1,3 Millionen Soldaten und 4,7 Millionen Reservisten eine der größten Armeen der Welt und verfolgt ein eigenes Nuklearprogramm. Die Volksrepublik China wiederum hat ein Interesse daran, dass Nordkorea als “Pufferstaat” zwischen der eigenen Grenze und Südkorea –  wo US-Truppen in einer Stärke von knapp 30.000 Mann stationiert sind – erhalten bleibt. In den vergangenen Monaten kam es zu einer erneuten Verschärfung der Spannungen: Während die USA im April begannen, ein neues Raketenabwehrsystem im Süden zu installieren und gemeinsame Militärmanöver mit Südkorea und Japan abhielten, führte Nordkorea demonstrativ Atom- und Raketentests durch, zuletzt am 4. Juli. Experten sind sich einig, dass Nordkorea in der Lage wäre, im Falle eines Krieges die südkoreanische Hauptstadt Seoul dem Erdboden gleichzumachen und auch Japan mit zahlreichen Raketen anzugreifen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde ein langwieriger (regionaler ?) Krieg mit Millionen Toten die Folge sein. Dennoch “nutzte” US-Präsident Trump den G20-Gipfel, um erneute Drohungen gegen Nordkorea auszusprechen.

    Südchinesisches Meer

    Gelegen zwischen China, Vietnam, Malaysia, Brunei und den Philippinen sind das Südchinesische Meer und die sich dort befindenden Spratly- und Paracel-Inseln sowie das Scarborough-Riff in den vergangenen Jahren zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen all diesen Staaten geworden. Bereits 2012 wäre es beinahe zu einem Krieg zwischen China und Vietnam gekommen, nachdem sich Kriegsschiffe beider Staaten ein kurzes Gefecht nahe dem Scarborough-Riff geliefert hatten. Nachdem China im Jahr 2015 künstliche Inseln in der Nähe der Spratly-Inseln angelegt hatte, schickten die USA demonstrativ einen Zerstörer in die Gegend. Den beiden mächtigsten G20-Staaten dürfte es dabei neben vermuteten Rohstoff- und Fischvorkommen vor allem um die Bedeutung der Seeregion für den internationalen Handelsverkehr gehen – und um militärstrategische Vorbereitungen für einen in Zukunft möglichen Krieg zwischen China und den USA. Nicht umsonst erklärte noch die Obama-Regierung die Kontrolle über den Pazifikraum zur Priorität für die USA im 21. Jahrhundert. Es ist bisher nicht bekannt, ob beim Hamburger G20-Gipfel auch dieses heikle Thema auf der Tagesordnung stand.

    Syrien

    2011 versuchten die USA, die durch den “Arabischen Frühling” in Nordafrika und dem Mittleren Osten entstandene politische Situation zu nutzen, um in dem Land einen Regimewechsel herbeizuführen. Dazu unterstützten sie, ähnlich wie in Libyen, vor allem islamistische Gruppierungen. Die europäischen Staaten wie Deutschland, die zuvor relativ gute Geschäftsbeziehungen zur Assad-Regierung unterhalten hatten, schwenkten schnell auf die Seite der USA ein. Die US-Strategie der Unterstützung “gemäßigter Islamisten” scheiterte jedoch. Der IS erstarkte auch in Syrien und eroberte große Gebiete des Landes. Russland nutzte diese Situation im Sommer 2015 für ein eigenes militärisches Eingreifen in Form von Luftangriffen, zugunsten der Assad-Regierung. Diese wird außerdem durch den Iran unterstützt.

    Eine besondere Rolle in Syrien spielt die kurdische Bewegung (YPG/ YPJ im  Militärbündnis der DKS bzw. SDF), die im Norden mit Rojava ihr eigenes Autonomiegebiet errichtet und, zunächst auf sich allein gestellt, gegen den “Islamischen Staat” (IS) verteidigt hat. Allem Anschein nach ist das Agieren der YPG/YPJ seit einiger Zeit darauf gerichtet, die Widersprüche zwischen den USA und Russland im Syrien-Krieg taktisch für die Sicherung Rojavas zu nutzen. In diesem Zusammenhang führen die bewaffneten Einheiten der “Demokratischen Kräfte Syriens” (DKS, engl: SDF) in Kooperation mit den USA momentan eine Offensive auf die IS-Hochburg Raqqa durch. Das Erstarken der Kurden wiederum hat die Türkei veranlasst, ihre Armee ebenfalls nach Syrien zu schicken – mit dem Ziel, Rojava zu zerstören. Der Syrien-Krieg hat bis heute etwa 400.000 Tote gefordert. 11 Millionen Syrer sind auf der Flucht.

    Ukraine

    Der Krieg in der Ukraine ist das direkte Ergebnis der Osterweiterungsbestrebungen von NATO und EU. Im Zuge der politischen Auseinandersetzungen um ein Assoziierungsabkommen mit Europa putschten sich Anfang 2014 pro-westliche Kräfte gegen die Regierung Janukowitsch in Kiew an die Macht. Hinter dieser “Maidan”-Bewegung standen ein Teil der ukrainischen Kapitalisten, die sich Anfang der 1990er Jahre am Zerfall der Sowjetunion bereichert hatten (“Oligarchen”) – wie auch ihre Geschäftspartner in Europa und den USA. Zu diesen Kräften gehörten auch die militanten Faschisten der “Swoboda”-Partei und des “Rechten Sektors”. Russland reagierte auf den Putsch mit der Anektion der geostrategisch wichtigen Halbinsel Krim. In der Ost-Ukraine spalteten sich unter der Führung eines konkurrierenden Oligarchen-Flügels die “Volksrepubliken” von Donezk und Lugansk von der Ukraine ab. Sie werden seitdem inoffiziell von Russland unterstützt. Seitdem tobt in der Ost-Ukraine ein blutiger Krieg. Verschiedene Versuche der westlichen Staaten und Russlands, die Ukraine am Verhandlungstisch in Minsk einvernehmlich unter sich aufzuteilen, sind seither gescheitert. Die Bilanz: Laut Schätzungen der UNO 10.000 Tote.

    Gesamtschau

    Dies war nur eine Auswahl der heutigen Kriege und Konflikte, bei denen die G20-Staaten eine Rolle spielen. Eine vollständige Aufzählung müsste die Kämpfe in Libyen, der Türkei/Nordkurdistan und zahlreichen afrikanischen Ländern ebenso einschließen wie die bewaffneten Erhebungen revolutionär orientierter Kräfte in Ländern wie Indien (Naxaliten) und den Philippinen.

    Zusammenfassend muss man feststellen: Die Widersprüche zwischen den ökonomisch mächtigsten Staaten verschärfen sich. Lokale, regionale und nationale Bürgerkriege sind das Ergebnis. Größere Kriege können folgen.

    Die dominierende Kriegsmacht der Welt sind heute nach wie vor die USA, die allein schon 761 Auslands-Militärstützpunkte in 34 Ländern unterhalten. 19 dieser Stützpunkte liegen in Deutschland, inklusive der ca. zwanzig Atomwaffen (!) im Fliegerhorst Büchel.

    China, das ökonomisch gegenüber den USA an Stärke gewinnt, hat mit einem “Anti-Terror-Gesetz” im Jahr 2015 die rechtlichen Grundlagen für Auslandseinsätze seines Militärs geschaffen. Doch schon vorher hatte sich das Land an UN-Missionen beteiligt und seine Marine u.a. vor die Küste Somalias geschickt.

    Deutschland wiederum hat Ende Juni mit den anderen EU-Staaten zusammen den Aufbau einer europäischen “Verteidigungsunion” beschlossen. Erste Schritte sind die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern und gemeinsame Auslandsmissionen. “Die Europa-Armee entsteht”, lautete seinerzeit die Schlagzeile des Handelsblatts.

    Wenn heute die Medien angesichts der Ausschreitungen bei den Anti-G20-Protesten ein Geschrei um “Gewalt” machen, sollte man sich angesichts dieser – nur umrissenen – Kriege und Kriegsvorbereitungen klar machen, welche immense Gewalt von der Weltordnung der G20 ausgeht.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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