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Freitag, März 29, 2024
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    Nicht das Wohl der ArbeiterInnen, sondern der Profit der Unternehmen steht im Vordergrund – von Kevin Hoffmann

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    Was ist das Leben von ArbeiterInnen wert? Warum ist die Lebenserwartung von ArbeiterInnen und GeringverdienerInnen deutlich niedriger als die der höchst bezahlten Manager und der Eigentümer von Unternehmen und Fabriken?

    In der Nacht zum 14.06.2017 ist in London ein 28-stöckiges Hochhaus in Flammen aufgegangen. Innerhalb von wenigen Minuten breitete sich das Feuer von den unteren Stockwerken bis ins oberste aus. Eine Woche nach dem Brand ist der Tod von 79 BewohnerInnen bestätigt. Die tatsächlich geschätzte Zahl der Toten geht in die Hunderte. Auch wenn die Brandursache bisher nicht vollends klar ist, so steht doch fest, weshalb sich das Feuer so schnell ausbreiten konnte: Das im vergangenen Jahr sanierte Hochhaus hatte eine neue Fassadendämmung bekommen, die leicht entzündlich war und als Brandbeschleuniger diente. Laut der Zeitung Times hätte eine feuerfeste Dämmung für das gesamte Haus aber rund 5.700 € mehr gekostet. Also entschied sich der Eigentümer für die risikoreichere und billigere Variante. Auch Feuerschutztüren oder eine Sprinkleranlage gab es in dem Hochhaus nicht. Das hohe Gebäude zählte für die rund 600 BewohnerInnen zu einem der letzten bezahlbaren Wohnräume im Stadtteil Kensington. Nun werden vermutlich am gleichen Ort Luxuswohnungen an Stelle des alten Hochhauses errichtet werden.

    Dieses traurige Ereignis ist nur eines von unzähligen Beispielen, in denen Menschen auch mitten in Europa sterben mussten, um den Profit der Unternehmer zu steigern. In der vergangenen Ausgabe dieser Zeitung berichtete z.B. ein Gerüstbauer aus Deutschland über die gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeit, der er jeden Tag für einen Hungerlohn ausgesetzt ist. Das sind im Endeffekt nur zwei Seiten derselben Medaille. Es wird bei der arbeitenden und armen Bevölkerung gespart, um den Extraprofit der Kapitalisten zu steigern. Allein im vergangenen Jahr sind laut der “Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung” (DGUV) 424 ArbeiternehmerInnen bei der Verrichtung ihrer Arbeit in Deutschland gestorben. Hinzu kommen 876.579 gemeldete Arbeitsunfälle und eine unbestimmte Anzahl nicht gemeldeter Arbeitsunfälle. Gleichzeitig berichten viele ArbeiternehmerInnen, dass viele Standards der Arbeitssicherheit in deutschen Betrieben oft nicht eingehalten würden, da sie zu zeitaufwändig und zu teuer seien.

    Entsprechend der steigenden Anzahl an Menschen, die durch ihre Arbeit krank werden, sinken nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Lebenserwartung von Arbeiterinnen und Arbeitern deutlich. Zahlreiche aktuelle Studien belegen den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung. Wer in Deutschland überdurchschnittlich viel verdient, hat auch eine deutlich höhere Lebenserwartung. Im Schnitt leben “die Reichen” in Deutschland bis zu 12 Jahre länger als einfache ArbeiternehmerInnen. Entscheidender Faktor bleibt das Einkommen, das ausschlaggebend ist für die Wohnsituation, die Möglichkeiten der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, die Finanzierung von Urlaub und Freizeit (unter anderem zum Stressabbau), aber auch für die Bezahlbarkeit teurer Medikamente oder Therapien, die von den Krankenkassen nicht übernommen werden.

    Die körperliche und psychische Belastung für Arbeiterinnen und Arbeiter scheint um ein Vielfaches höher zu sein als für die Besitzer von Fabriken und Unternehmen. Sie fördert die Entwicklung und Verbreitung von Depressionen und anderen psychischen (Erschöpfungs-)Krankheiten, aber auch von unmittelbar physiologischen Erkrankungen bis hin zur Entstehung von Krebs – “getriggert” durch Stress.

    Auch die BewohnerInnen und Angehörigen der Opfer des Londoner Hochhausbrands selbst vermuteten sehr schnell den Zusammenhang zwischen der Katastrophe und dem Profitstreben der Besitzer und Unternehmer. So protestierten sie bereits zwei Tage nach dem Brand, während einer Sitzung des Bezirksrates, zu Hunderten mit Parolen wie: „Wir wollen Gerechtigkeit!“, „Schämt Euch!“ und „Mörder!“. Die aufgebrachten ArbeiterInnen stürmten das Bezirksrathaus und machten klar, dass sie Aufklärung fordern. „Das Haus war eine Todesfalle und Sie wussten das!“, so der beispielhafte Ausruf eines Demonstranten. Die Menschen fordern eine Antwort auf die Ursachen der Brandkatastrophe und eine Abkehr vom nur noch profitgesteuerten System: „Ohne Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben“.

    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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