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Donnerstag, März 28, 2024
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    Die Gewalt hat System. Das System ist Gewalt – von Kevin Hoffmann

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    Immer wieder lesen wir in den großen Zeitungen von der „Verrohung“ und zunehmender Gewalt in der Gesellschaft. „Gewaltkriminalität“ in Deutschland ist schon jetzt zu einem zentralen Wahlkampfthema für die kommende Bundestagswahl geworden. Doch woher kommt diese Gewalt?

    Zuletzt warnte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2016 vor einem „Trend der Verrohung der Gesellschaft“. Auch nach den starken Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und Polizisten rund um den G20-Gipfel in Hamburg gibt es eine aufgeregte Debatte über Gewalt.

    Dass diese Diskussion keinesfalls neu ist, dass auch die Anwendung von Gewalt durch politische Akteure, durch den Staat und Kriminelle keinesfalls etwas Neues ist, lässt sich leicht belegen. In der öffentlichen Debatte wurde darüber bereits in der Vergangenheit gesprochen. Schon der damalige Bundespräsident Johannes Rau äußerte sich bereits im September 2000 – ähnlich wie heute De Maiziere – zu einer „Verrohung der Gesellschaft“. Auch Beispiele aus den 60er, 70er oder 80er Jahren könnte man hier wohl zu Hunderten anführen. Es ist also weder eine neue Entwicklung, noch hat sie ihre Ursache in der Flüchtlingskrise oder anderen haltlosen Behauptungen am rechten Rand von NPD, AfD und Co.

    Woher kommt die Gewalt?
    Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Gewalt zum Alltag gehört: Kündigungen, die Menschen in Armut, Obdachlosigkeit oder Selbsttötung treiben. Unmenschliche Arbeitsbedingungen, welche die ArbeiterInnen mit Bandscheibenvorfällen und Depressionen zurücklassen. Überwachung und Kontrolle durch Ämter und Behörden, die einem die Würde nehmen. Abschiebungen, die Menschen aus dem Leben reißen und in den geplanten Tod schicken.

    Wir leben in einer Gesellschaft, die ausgelegt ist auf Konkurrenz, in einer „Ellenbogen-Gesellschaft“, in der man nur nach vorne kommt, indem man gegen andere und auf deren Kosten auf der Karriere- und Gehaltsleiter weiter nach oben kommt. Obwohl wir als ArbeiterInnen und Angestellte eigentlich die selben Interessen haben, werden wir gegeneinander ausgespielt, wo es nur geht. Rassismus, Sexismus und Egoismus schaffen gezielt Spannungen zwischen uns und führen auch zu Gewalt.

    In viel größeren Dimensionen wird Gewalt jedoch vom kapitalistischen Staat angewandt: sowohl durch Kriege, die er im Interesse der großen monopolistischen Unternehmen führt, als auch durch die Unterdrückung der eigenen unzufriedenen Bevölkerung und speziell all jener, die sich gegen die alltägliche Ausbeutung, Unterdrückung und Hetze wehren – sei es im Betrieb, in der Universität, in der Schule, beim Amt oder im Viertel.
    Gerade die immer häufiger auch in den bürgerlichen Medien gezeigte Polizeigewalt gegen Demonstrationen, gegen feiernde Jugendliche, gegen MigrantInnen und Flüchtlinge zeigt, wie das Gewaltmonopol des Staates auch hier in Deutschland eingesetzt wird. Die Staaten rüsten sich immer mehr auf, um gegen ihre eigene Bevölkerung vorzugehen. Auch Deutschland ist da keine Ausnahme.

    [quote]„Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“
    Berthold Brecht[/quote]

    Die deutsche Polizei trainiert seit Jahren die Aufstandsbekämpfung. Massenüberwachung und Zensurgesetze werden ohne große Beachtung ausgeweitet. Ab dem 1.8. ist es in Teilen Deutschlands (Bayern) wieder möglich, Menschen aufgrund von politischen Entscheidungen ohne Gerichtsurteil unbeschränkt ins Gefängnis zu werfen, sobald man diese Person als Gefährder einstuft.

    Der Ausweg aus der strukturellen und alltäglichen Gewalt des kapitalistischen Systems kann nur die gemeinsame Organisierung und der Kampf der ArbeiterInnen, der Lohnabhängigen, der Frauen, Jugendlichen, MigrantInnen und RentnerInnen sein. Das Ziel einer solidarischen, einer sozialistischen Gesellschaft ist kein Traum, sondern eine konkrete, machbare Alternative, die durch den gemeinsamen Kampf der Unterdrückten und Ausgebeuteten erreicht werden kann.

    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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