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Donnerstag, März 28, 2024
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    Umwelt-Wunderwaffe Elektroauto? Teil II

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    Ein Hintergrundbericht und Kommentar zum neuen Lieblingsprojekt der Industrie – von Thomas Stark

    Teil 2 – Warum Umweltschutz im Kapitalismus auch nur eine Marke ist

    Technische Neuerungen im Kapitalismus

    Dass E-Auto dürfte also ein gutes Beispiel dafür sein, dass einfache Lösungen für umweltfreundliche technologische Neuerungen auf dem heutigen Niveau der Produktionsmittel häufig nicht existieren. Das heutige Produktionsniveau zu halten und weiterzuentwickeln, ohne dabei den Lebensraum des Menschen zu zerstören, ist vielmehr eine hochkomplexe Aufgabe mit zahlreichen zu berücksichtigenden Neben- und Wechselwirkungen.

    Dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, diese schwierige Aufgabe im Sinne der Menschheit und ihrer Zukunft zu lösen, wird hinsichtlich des Verkehrswesens und der Autoindustrie besonders deutlich: Erst hielten die kapitalistischen Monopole im Interesse der Ölprofite jahrzehntelang am Verbrennungsmotor fest, obwohl es z.B. mit der Brennstoffzelle, die seit den 1960er Jahren im militärischen Bereich eingesetzt wird, eine ernstzunehmende Alternative gab. Letztere Technik basiert auf der Freisetzung von Energie durch die chemische Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff und wird heute von Toyota, aber auch VW, Daimler und BMW als Alternative zur Lithium-Ionen-Batterie erforscht. Der Toyota Mirai, der mit Brennstoffzelle fährt, ist bereits erhältlich.

    Die „Dekarbonisierung“, das heißt der planmäßige Umstieg von der ölbasierten Produktion auf andere Technologien, findet nun – mit mehreren Jahrzehnten Verspätung – endlich statt. Jedoch auch hier unter dem Vorzeichen der Gewinnmaximierung: Die Staaten steuern diesen Prozess von oben und gewährleisten der Industrie ihre Profite durch Subventionen, Kaufprämien u.v.m. In der EU legte eine Kommissionsverordnung von 2009 für die Fahrzeugflotten der Autohersteller ein schrittweises Absinken des CO2-Ausstoßes auf 95 Gramm pro Kilometer bis 2021 fest. Die Strafzahlungen, die den Herstellern im Falle der Nichterfüllung drohen, lieferten schon allein einen Anreiz dafür, die eigenen Anstrengungen in Bezug auf Forschung und Entwicklung zu intensivieren. Um eine technologische Führerschaft der europäischen Industrie bei den E-Autos voranzutreiben, ohne dabei die kurzfristigen Unternehmensgewinne durch den Verkauf teurer, aber schmutziger Geländewagen (SUV) zu gefährden, bediente man sich darüber hinaus eines besonderen Kunstgriffs: „Autos, deren CO2-Ausstoß unter 50 Gramm liegt, werden in der CO2-Bilanz gleich mehrfach angerechnet. Für diese Regelung („Supercredits“) hat sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel stark gemacht, damit insbesondere die deutschen Premiumhersteller ihre relativ durstigen Geländewagen mit Hilfe von Plug-in-Hybriden und Elektroautos ausgleichen können. Somit senkt der Verkauf eines Elektroautos den gesamten Flottenverbrauch überproportional.“ (Link)

    Die CO2-Bilanz der EU spiegelt also gar nicht den tatsächlichen CO2-Ausstoß der produzierten Autos wider, sondern Qualitätsetikett „klimafreundlich“ zu tragen. Selbst Deutschlands führende Wirtschaftszeitung kann hierzu nur feststellen, dass der Umwelt mit dieser Herangehensweise wenig gedient ist.

    Der Verkehr der Zukunft?

    Auf der Grundlage von Kapitalverwertung kann man die Produktion nicht nachhaltig organisieren, da es immer der unmittelbare Gewinn ist, dem alle Bereiche der Wirtschaft unterworfen werden. Eine wirklich moderne und umweltfreundliche Organisation der Produktion setzt sozialistische Eigentumsverhältnisse und eine Planung der Wirtschaft durch die Gesellschaft voraus.

    Wie könnte der Verkehr in einer solchen Zukunft also aussehen? Wird dort noch jeder ein eigenes Auto benötigen? Der Umweltgesichtspunkt spräche sachlich ebenso dagegen wie eine Betrachtung, zu welchem Zweck Menschen Autos überhaupt benutzen: Ob die tägliche Fahrt zur Arbeit, Getränke holen, Wochenendausflug, Urlaub, Umzug, oder, weil es Spaß macht – das Bedürfnis, von A nach B zu gelangen, gestaltet sich auf vielfältige Weise, auf kurzen oder langen Wegen, mit und ohne Gepäck, ob aus Notwendigkeit oder zur Entspannung und zum Sport. Selbst der Kapitalismus trägt diesem Umstand heute in teils pervertierter Form mit unterschiedlichen Warenangeboten Rechnung, wie z.B. dem Carsharing („DriveNow“, „Car2Go“) oder auch dem Online-Vermittler “Uber”.

    Warum also nicht ein öffentliches Verkehrssystem schaffen, das dieser Vielfältigkeit an Bedürfnissen und Interessen wirklich gerecht wird: Mit einem gut ausgebauten Bus- und Bahnnetz, das gerade auch die ländlichen Regionen einschließt und sich nicht auf den Bus einmal pro Stunde beschränkt; einer Infrastruktur für Radfahrer in den Innenstädten, die ihren Namen verdient und Anreize setzt, auf motorisierte Fahrzeuge zu verzichten; einem flächendeckenden Carsharing-System z.B. mit kleinen (selbst fahrenden) Elektroautos für regelmäßige Besorgungen und Transportern für größere Projekte. Nicht zuletzt einer Wirtschafts- und Städteplanung, die viele der heute abgefahrenen Strecken schlicht überflüssig macht, weil z.B. lange Transport- und Arbeitswege wegfallen, die heute entweder Folge von Profitinteressen sind (wie die berühmten Tomaten, die zum Verpacken quer durch Europa geflogen werden) oder aus den kläglichen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse im Kapitalismus entspringen (wie die billige Wohnung in der Hochhaussiedlung, wenn die Arbeitsstelle ganz woanders liegt).

    Einen Teil der hierdurch freiwerdenden Arbeitskraft könnte die Gesellschaft wiederum in die Entwicklung der Antriebssysteme der Zukunft investieren – und in die Beherrschung des Erdklimas.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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