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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Es wird Zeit für die Wiedervereinigung der ArbeiterInnenklasse!

Seit 27 Jahren ist der 3. Oktober nun Nationalfeiertag – und neben Politiker-Partys in allen größeren Städten werden die Medien wie jedes Jahr voll sein mit Rückblicken zur deutschen „Wiedervereinigung“. Real ist Deutschland noch immer gespalten. Kommentar zu 27 Jahren deutsche Wiedervereinigung von Paul Gerber.

In kalten Zahlen liest sich das so:

1. Die Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern liegt seit 1990 durchgängig weit über ein Drittel so hoch wie in den alten: 9,4 % im Jahr 2016 im Osten gegenüber 6,2 % im Westen.

2. Die Löhne sind im Durchschnitt nach wie vor im Osten deutlich niedriger als im Westen. Das verfügbare Durchschnittseinkommen lag für das Jahr 2014 im Osten mit etwa 18.000 Euro 17% unter dem Durchschnitt der alten Bundesländer.

3. Die Konsequenz: In großen Teilen Ostdeutschlands herrscht Perspektivlosigkeit und deshalb ist in den fünf neuen Bundesländern außer Berlin die Einwohnerzahl von 15,1 Millionen (1989) auf 12,5 Millionen (2015) gesunken.

Wie konnte es dazu kommen? Den Ostdeutschen wurden 1990 „blühende Landschaften“, Arbeit und Wohlstand versprochen. Was aber tatsächlich aus dem Osten dieses Landes gemacht wurde, ist ein Selbstbedienungsladen für die westdeutschen Unternehmen. Die erhoffte Freiheit hat sich nur als die Freiheit der Kapitalisten herausgestellt, ohne nennenswerten Widerstand ganze Landstriche so umzugestalten, dass sie den maximalen Profit abwerfen würden.
Betriebe, die der im Westen bestehenden Industrie Konkurrenz machen könnten, wurden geschlossen, wofür brauchte man sie auch noch? Millionen Menschen verloren somit ihren Arbeitsplatz. Das, was die frisch gebackene gesamtdeutsche Kapitalistenklasse damals aber sehr gut brauchen konnte, waren beliebte Produktmarken, Bankfilialen, Supermärkte und bereits bestehende Handelsrouten nach Osteuropa, um ihre Waren los zu werden, und das ist es auch, was sie als Erstes an sich gerissen haben.

Die Folgen von dieser „Wiedervereinigung“ sind heute noch überall in Ostdeutschland spürbar –  zum Beispiel in Städten wie Halle, Cottbus oder Rostock, die in den letzten 30 Jahren mehr als jeden fünften Einwohner verloren haben.

Es ist ganz richtig zu sagen, dass Deutschland noch heute gespalten ist. Aber die tatsächliche entscheidende Spaltung ist nicht die Spaltung zwischen Ost und West. Entscheidend ist, dass wir in diesem Land Teil der großen Mehrheit bilden, die täglich arbeiten muss, um zu überleben und trotzdem nicht ohne Geldsorgen oder ohne Altersarmut durchs Leben geht. Auf der anderen Seite stehen die Kapitalisten und ihre Handlanger, die sich an der Ausbeutung unserer Arbeit bereichern.

Gibt es diese Spaltung nur in Ostdeutschland? Nein! Es gibt sie in jeder Stadt in diesem Land, ja es gibt sie in jedem einzelnen Land auf dieser kapitalistischen Erde. Natürlich ist es so, dass diese Ausbeutung in Ostdeutschland sehr scharf und die Armut unserer Klasse dort entsprechend groß ist. In Deutschland ist das aber nicht die einzige Region, in der das so ist. Auch in westdeutschen Großstädten wie Bremen und Köln oder im Ruhrgebiet prallen einige Wenige, die von diesem System profitieren, in krasser Weise auf Hunderttausende, denen das gleiche System nichts als niedrige Löhne und Zukunftsängste zu bieten hat.

Genau deswegen gibt es für uns nur einen Ausweg: Wir müssen die Mentalität von Sklaven, die sich nicht vorstellen können, jemals ihre Herren zu stürzen und ihre Ketten zu sprengen  – und deshalb anfangen, andere Sklaven zu beneiden, die unter ein wenig besseren Bedingungen arbeiten oder die ein paar Euro mehr verdienen – abschütteln.

Die westdeutschen ArbeiterInnen dürfen nicht mehr auf die Lügen hereinfallen, dass ganz Ostdeutschland unfähig, unproduktiv und faul sei und auf Kosten des Westens leben würde. Genauso müssen wir in Ostdeutschland aufhören zu glauben, dass es nur uns in diesem System erwischt hätte – nein, es gibt hunderttausende Klassengeschwister in Westdeutschland, die sich in der gleichen Lage befinden wie wir. Es ist ganz klar, wer in diesem System gemeinsame Interessen hat und in einem unversöhnlichen Gegensatz steckt.

Die größte „Errungenschaft“ für die deutsche Kapitalistenklasse nach 27 Jahren „deutscher Einheit“ ist ein Staat, in dem eine Kapitalistenklasse uns in West und Ost gleichermaßen ausbeutet. Das wird von ihnen heute gefeiert. Es wird nach 27 Jahren Zeit, dass auch wir uns zu einer Klasse vereinigen, die sich nicht anhand ihrer Heimatregion, anhand ihrer Muttersprache oder ihrer Herkunft spalten lässt. Stattdessen müssen wir die ArbeiterInnenbewegung in West und Ost wieder aufbauen und wieder vereinigen: Eine ArbeiterInnenbewegung, die sich nicht damit zufrieden gibt, weitere Verschlechterungen vorerst abzuwenden, sondern die die Gesellschaft in die eigenen Hände nehmen will, um damit die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen.

Während heute in Berlin und anderswo die Sektkorken knallen und sich unsere Beherrscher in ihrem Triumph sonnen, müssen wir uns Bertolt Brechts Worte (Link) in Erinnerung rufen: „Wer noch lebt, sage nicht: niemals! // Das Sichere ist nicht sicher. // So, wie es ist, bleibt es nicht. // Wenn die Herrschenden gesprochen haben, // Werden die Beherrschten sprechen.“

Wir können uns heute schon auf das erste Jubiläum der Revolution in unserem Land freuen. An diesem Tag wird es an uns sein, die Archive zu öffnen und das heutige Deutschland als den Unrechtsstaat zu entlarven, der er ist: Ein Staat, in dem Millionen in Armut leben mussten, weil es keine Arbeit für sie gab und Millionen anderer ihr ganzes Leben lang unter den schwersten Bedingungen arbeiteten, um am Ende mit zerstörter Gesundheit und Armutsrente ihre letzten Tage zu fristen. –  Dann wird es an uns sein, uns unter unserer eigenen Führung ein neues Leben aufzubauen.

 

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Paul Gerber
Paul Gerber
Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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