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Freitag, April 19, 2024
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    Mittelalterliches Königshaus will Science Fiction-Stadt bauen

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    Ein Kommentar zu Saudi-Arabiens Plänen für die Zukunftsstadt „Neom“ – von Thomas Stark

    Als „das nächste Kapitel der Menschheit“ preist ein Werbevideo das Megaprojekt an, das Saudi-Arabien in den nächsten Jahren aus dem Wüstenboden stampfen will: Die Stadt „Neom“, ein Digital-Technologiepark an der Küste des Roten Meers, angrenzend an Ägypten und Jordanien, auf einem Gebiet von über 25.000 Quadratkilometern.

    Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman stellte den Plan für den Bau der Techno-Oase am vergangenen Dienstag offiziell vor.

    Investitionen von 500 Milliarden US-Dollar sind bislang dafür geplant, die neben noch zu gewinnenden ausländischen Geldgebern größtenteils vom saudischen Staatsfonds PIF (Public Investment Fund) kommen sollen. Chef des Projekts ist der ehemalige Siemens-Manager Klaus Kleinfeld. Der erste Bauabschnitt soll bis 2025 fertiggestellt sein.

    Digitale Dystopie im rückschrittlichen Königreich

    Zusammengesetzt aus Buchstaben des lateinischen Wortes „neo“ („neu“) und des arabischen „mostaqbal“ („Zukunft“) soll der Name „Neom“ verdeutlichen, was der flächenmäßig größte arabische Staat vorhat: Nicht weniger als die Schaffung eines arabischen „Silicon Valley“, eines Mekka für die nächste Stufe der wissenschaftlich-technischen Entwicklung. Biotechnologie, eine Energieversorgung ausschließlich durch Wind und Sonne und eine digitale Infrastruktur, in der alle Dienstleistungen und Standardprozesse automatisiert von Robotern ausgeführt werden – die Ankündigungen des Kronprinzen geizen nicht mit Rekordversprechen: „Wir wollen, dass der Hauptroboter und erste Roboter in Neom ‘Neom’ selbst ist. Roboter Nummer eins. Alles wird mit künstlicher Intelligenz, mit dem Internet der Dinge verbunden sein – alles. Deine medizinischen Daten werden mit Deiner häuslichen Versorgung verbunden sein, mit Deinem Auto, verbunden mit Deiner Familie, verbunden mit Deinen anderen Daten und das System wird sich selbst darin weiterentwickeln, wie es Dich mit besseren Dingen versorgt.“

    Diese Vision eines Lebensstils aus Komfort und völliger Transparenz der BewohnerInnen, für die „Neom“ stehen soll, erinnert unweigerlich an den amerikanischen Science Fiction-Roman „The Circle“, in dem eine Firma alle Internetdienste bei sich konzentriert und damit immer mehr die Kontrolle über ihre Kunden gewinnt. Damit das Ganze in einem Land wie Saudi-Arabien, dessen politisches System, herrschende Ideologie und Gesetzgebung (u.a. mit öffentlichen Enthauptungen) bekanntermaßen zu den weltweit rückschrittlichsten gehören, nicht von vornherein alle potenziellen Kunden völlig abschreckt, soll „Neom“ zu einer Sonderzone mit eigenen Gesetzen und Steuersätzen werden (Alkoholkonsum bleibt laut Kronprinz jedoch trotzdem verboten).

    Lage der GastarbeiterInnen in Saudi-Arabien

    Der versprochene Komfort wird höchstwahrscheinlich dennoch nur für einen kleinen Teil der Gesellschaft zu haben sein – während die Erbauer der „Stadt der Zukunft“ wohl vor allem aus den Reihen der elf Millionen GastarbeiterInnen aus Indien, Indonesien, Pakistan, Ägypten und anderen asiatischen und afrikanischen Ländern stammen dürften, die in Saudi-Arabien in hermetisch abgeriegelten Siedlungen wohnen und gerade in der Baubranche unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen. Keine Überraschung, dass Kronprinz und Reklamevideos diese Frage komplett ausblenden.

    „Saudi-Vision 2030“

    Es mag als besonders bittere Ironie erscheinen, wenn eines der finstersten und mittelalterlichsten Regimes der Welt sich mit einem derartigen Vorhaben als Vorreiter für die sogenannte „Zukunft“ verkauft. Hinter den großen Worten von der besten Stadt aller Zeiten geht es Königshaus und Kapital in Saudi-Arabien jedoch vor allem um wirtschaftliche und geopolitische Strategie: Das „Neom“-Projekt ist Teil der „Saudi Vision 2030“ – eines staatlich gesteuerten Wirtschaftsplans mit dem Ziel, eine entwickelte industrielle Basis in Saudi-Arabien aufzubauen und das Land vom Öl unabhängig zu machen. Mit dem Erlös aus dem geplanten Börsengang des Ölunternehmens “Saudi Aramco” soll PIF zum größten Staatsfonds der Welt mit einem Umfang von 2 Billionen US-Dollar ausgebaut werden, der in Zukunft verstärkt in ausländische Firmen einsteigen soll. Saudi-Arabien, dessen herrschende Klasse ihre Reichtümer jahrzehntelang durch den Verkauf von Öl angehäuft hat, will jetzt auf allen Ebenen zu den größten kapitalistischen Ländern aufschließen. Sebastian Sons von der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ kommentierte das „Neom“-Projekt im Radiointerview vor diesem Hintergrund als „Versuch, Saudi-Arabien in Bezug auf Modernität und wirtschaftliche Entwicklung international in die ‚Pole Position’ zu rücken.“.

    Ein wichtiges geostrategisches Detail dürfte zudem die geplante Brückenverbindung von „Neom“ über die Inseln Tiran und Sarafir nach Ägypten sein – womit das Königreich eine direkte Verkehrsverbindung zwischen Afrika und der arabischen Halbinsel schaffen würde, die nicht durch Israel führt.

    Aufstrebende kapitalistische Staaten und ihre Bauprojekte

    Saudi-Arabien ist nicht das einzige Land, das eine neue, mächtigere Position im Geflecht des Weltkapitalismus anstrebt und im Zusammenhang damit pompöse Infrastruktur-Projekte vorantreibt: Im türkischen Istanbul entsteht neben verschiedenen Brücken- und Tunnelprojekten zur Zeit einer der größten Flughäfen der Welt. China plant – neben dem eurasischen Mammutprojekt einer „neuen Seidenstraße“ – im Inland u.a. den Ausbau Pekings und die Verbindung mit dessen Nachbarregionen zur 130-Millionen-Einwohner-Metropole „Jing-Jin-Ji“. Auch die Bauprojekte rund um die Fussball-WM 2022 in Saudi-Arabiens Nachbarland und wichtigem Konkurrenten Katar gehören in diese Aufzählung. Das Emirat Katar verfolgt darüber hinaus mit seiner „Qatar National Vision 2030“ selbst das Ziel, zu einem der „modernsten“ Staaten der Welt zu werden.

    Ein „nächstes Kapitel“ deutet sich hier also zumindest in Bezug auf die Geschichte des Kapitalismus an – eine Verschiebung in den weltweiten Kräfteverhältnissen, die vor allem einen verschärften Kampf zwischen den beteiligten Staaten zur Folge haben dürfte.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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