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Freitag, April 19, 2024
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    „Durch Fußball entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Das brauchen wir, um uns zu organisieren!“

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    Sport und Selbstorganisation in einem proletarischen Stadtteil. Ein Interview mit Sergio, der in Terassa, Spanien, mit 3 Freunden einen solidarischen Fußballclub aufbaute. – Von Emilia Zucker

    Wie ist es dazu gekommen, dass ihr einen Fußballclub gegründet habt?

    In Spanien ist es wahnsinnig teuer, in einem Fußballverein zu spielen. Viele Kinder und Erwachsene haben nicht die finanziellen Möglichkeiten. Das kostet bis zu 600€ im Jahr. Für Kinder in Schulen, die in einer Fußball-AG spielen wollen, bis zu 150€ . Das können sich wirklich nur Wenige leisten. Eine arbeitende Familie mit durchschnittlichem Einkommen eher nicht.

    Zwei Freunde und ich haben uns gefragt, wo denn die Kinder Fußball spielen sollen, wenn sie nicht die Möglichkeit dazu bekommen. Auf der Straße?! Wir haben angefangen darüber zu diskutieren, wie wir es schaffen könnten eine Alternative zu bieten. Wir konnten diese Situation doch nicht einfach so akzeptieren.

    Wie seid ihr dann weiter vorgegangen, als ihr euch dazu entschlossen habt aktiv etwas zu tun?

    Wir haben angefangen, Nachbarschaftshilfen, Organisationen und Vereine zu suchen, die Interesse haben könnten, uns in unserer Idee und unserem Vorhaben zu unterstützen. Wir haben es auch tatsächlich geschafft, zwei Organisationen zu finden, die uns eine Wiese zur Verfügung stellten. Wir haben dann, mit Geld aus unserer eigenen Tasche, Flyer drucken lassen und haben diese verteilt, um die Menschen darauf aufmerksam zu machen.

    Die Wiese, auf der wir spielen durften, mussten wir aber erst einmal herrichten. Gestartet sind wir dann mit zwei Kisten als Tore und einem Ball. Mittlerweile haben wir 5 Teams zusammen bekommen. Auch ein Frauenteam.

    Da es in Barcelona und ganz Spanien keine Alternative zu teuren Fußballvereinen gibt, haben die Eltern unsere Initiative gut angenommen. Uns war aber auch klar, dass wir zu Dritt dieses Projekt nicht allein stemmen können, sondern freiwillige Eltern brauchen, die uns unterstützen. Vor allem als Trainer, da wir Drei ja keine Erfahrungen hatten.

    Wie sieht denn eure Arbeit bei eurem Fußballprojekt konkret aus?

    Durch Fußball entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Das brauchen wir um uns zu organisieren. Wir wollen ja mit dem Fußballverein nicht nur die Kinder stärken und ihnen Werte vermitteln, sondern auch den Eltern ihre misslichen Lage, ihre Arbeitsbedingungen und Probleme bewusst machen. Das können wir auch schaffen dadurch.

    Wir veranstalten regelmäßige Versammlungen, um die Eltern zu motivieren und zu aktivieren, für ihre Freiheiten zu kämpfen. Zum Beispiel dafür, dass ihre Kinder die Möglichkeit haben, einfach miteinander Fußball zu spielen, unabhängig von ihrer ökonomischen Situation. Deswegen haben wir auch eine Zusammenarbeit mit den Lebensmittelbanken und Organisationen begonnen, die sich gegen Zwangsräumungen engagieren.

    Wir spielen in gemischten Teams: Jungen und Mädchen zusammen, mit unterschiedlicher Herkunft und Religion im Alter von 6-14 Jahren. Im Moment haben wir mehr Mädchen als Jungen. Viele haben von unserem Projekt gehört und wissen, was wir für Werte vertreten.

    Welche Werte wollt ihr den Kinder und ihren Eltern denn vermitteln?

    Besonders wichtig ist uns, die Solidarität miteinander zu leben. Die Familien, die mit uns das Projekt mitgestalten und unterstützen, sollen miteinander in Verbindung treten und sich austauschen über ihre Situation. Wir wollen ihnen ein Leitbild vorleben. Gegen Rassismus und Sexismus, für ein Leben, das von Respekt geprägt ist. Aber auch von der Disziplin, zu kämpfen für seine Ziele.

    Gab es bei der Entwicklung eures Fußballclubs auch Probleme? Hat sich euch jemand in den Weg gestellt und euch behindert?

    Wir wussten einfach, dass etwas Geld nötig ist, um zu starten. Allein die Anmeldungen bei Liga-Spielen kosten Geld, doch wir hatten nichts. Deswegen suchten wir nach Vereinen und Initiativen die uns finanziell unterstützen könnten. Auch die Stadtverwaltung haben wir angefragt. Die haben uns klar zu verstehen gegeben, wenn wir ihnen ökonomisch nicht von Nutzen sind. Dann gibt es da auch keine Zusammenarbeit. „Sollen sich die Kinder doch in irgendeinem anderen Fußballclub eintragen, davon gibt es doch genug“, sagten sie. Alle fanden es zwar toll, aber keiner gab uns ernsthafte Hilfe. Es ging nur darum, was wir ihnen für einen Nutzen bringen. Doch das haben wir leider viel zu spät bemerkt.

    Wir bekamen dann finanzielle Unterstützung, im Gegenzug nutzte die Organisation unser Projekt dazu, sich öffentlich zu rühmen. Als diese dann Subventionen bekam, um unseren Fußballclub zu unterstützen und sie uns nicht davon erzählten und die Gelder für sich einbehielten, beendeten wir die Zusammenarbeit sofort. Wir haben daraus gelernt, uns nicht abhängig zu machen von staatlichen Institutionen, Unternehmen oder Initiativen. Wir müssen die Oberhand über unser Projekt behalten, um unsere Arbeit voran zu treiben. Andere sind finanziell immer abhängig, aber wir wollen das nicht.

    Was meinst du, sind eure größten Ziele die ihr erreicht habt?

    Ich denke einfach, es ist wichtig, den arbeitenden Menschen zu zeigen, dass sie in Abhängigkeiten leben, aber auch schaffen können, sie gemeinsam anzufechten und sich zu wehren. Allein würde man das nicht schaffen. Aber wir sehen an dem Projekt „terassa industrial“: es kann funktionieren. Wir haben als Freunde in einer Bar zusammengesessen und überlegt, was wir tun können, und jetzt haben wir es geschafft, einen erfolgreichen und solidarischen Verein zu gründen. Es ist möglich, wenn wir uns gemeinsam organisieren!

    Wir haben die Kinder und ihre Eltern dazu bewegt, dass wir gemeinsam etwas bewirken können. Wir müssen den arbeitenden Menschen Alternativen aufzeigen. Auch aus diesem Grund arbeiten wir mittlerweile mit der Lebensmittelbank und Organisationen gegen Zwangsräumungen zusammen. Auch diese zeigen Alternativen auf. Wir versuchen zusammenzuarbeiten und unsere Arbeit gemeinsam voranzubringen. Wir waren zum Beispiel mit einem gemeinsamen Transparent bei einem antifaschistischen Fußballturnier und haben einen regelmäßigen Austausch.

    Nach einem Jahr unserer Arbeit können wir zurückblicken und sehen, was wir erreicht haben. Wir haben eigene Trikots, erreichen Bekanntheitsgrad, spielen bei Schul-Ligen mit, engagieren uns.

    Das Wichtigste ist aber, dass Eltern selbstorganisiert unseren Fußballclub mit uns stärken und wir den Kindern Werte vermitteln, die heutzutage wichtiger sind denn je: Solidarität und Respekt! Das ist unser Mittel, das wir nutzen!

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    • Erzieherin, die sich für die Rechte von Frauen und Arbeitern stark macht.

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