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Samstag, April 20, 2024
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    Lehren aus den Erfahrungen im Kleinbetrieb

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    Seit Beginn meiner Lehre war ich in zwei handwerklichen Kleinbetrieben beschäftigt. Heute mit 21 Jahren und insgesamt dreieinhalb Jahren Erfahrung im Beruf möchte ich darüber einiges erzählen. In diesem Artikel soll es um die wichtigsten Einblicke gehen – bis hin zu meinem Rauswurf in den letzten Tagen. – Von Yusuf Özkan

    1. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“

    Wie so viele junge Menschen in der Ausbildung habe auch ich diese Floskel regelmäßig zu hören bekommen. Geäußert wurde diese meist dann, wenn ich mich als Azubi beschwerte oder Verbesserungen vorschlug. Meistens wurden Vorschläge meinerseits prinzipiell abgelehnt oder ignoriert.

    Dass ein/e Auszubildende/r kaum etwas zu sagen hat, kann ich somit bestätigen. Es wird die jungen Menschen „gelehrt“, sich unterzuordnen und alles so hinzunehmen wie es ist. Diese Erfahrung kann sehr deprimieren. Ich denke, sie wirkt sich negativ auf das Selbstwertgefühl aus und stellt somit eine Barriere dar, wenn es um die Entfaltung von persönlichen Stärken geht. Außerdem wurde mir schon damals von sehr vielen FreundInnen gesagt, dass man immer weiter wie ein Azubi angesehen wird, wenn man nach der Lehre im selben Betrieb als Geselle weiterarbeitet.

    2. Wie die Chefs versuchen, die ArbeiterInnen gegeneinander auszuspielen

    Immer wieder musste ich mitbekommen, wie meine Vorgesetzten es geschafft haben, die ArbeiterInnen untereinander auszuspielen. Immer dann, wenn Sie mit der Leistung einer/s ArbeiterIn unzufrieden waren, gingen sie zu den ArbeitskollegInnen und beschwerten sich manchmal indirekt und manchmal direkt über sie/ ihn. Zum Beispiel: Die Chefin kommt zu dir und sagt, dass dein/e KollegIn ebenfalls mit deinen Leistungen unzufrieden ist. „Deine Kollegen versteht auch nicht, warum das bei dir immer so lange dauert.“ „Der kommt auch arbeiten, wenn er krank ist. Du fehlst zu oft.“

    Wichtig ist nach meiner Erfahrung, dass man schnellstmöglich das Gespräch mit den betroffenen ArbeitskollegInnen sucht, um die Hetzerei aufzudecken. Einmal, als meine Chefin wiederholt erwähnt hat, dass ein gewisser Arbeitskollege unzufrieden mit meiner Leistung sei, rief ich ihn während der Konversation mit meiner Chefin zu mir und erzählte ihm, worum es gerade geht. Er hat überhaupt nicht gewusst, wovon die Chefin sprach und bestätigte mir später, dass er nichts in dieser Richtung gesagt habe. Daran sieht man, dass man sich nicht einschüchtern lassen, sondern die Probleme ansprechen und aufdecken sollte.

    Ebenfalls höre ich immer wieder und kann das mit meinen Erfahrungen vergleichen, dass Chefs versuchen, Probleme, die eigentlich im Kollektiv gelöst werden sollten, im Einzelgespräch zu klären. Das Problem hierbei ist, dass die Chefs in Einzelgesprächen die Sachen so drehen und wenden, wie es ihnen passt. Sie geben jeder/m Einzelnen das Gefühl, dass sie hinter einem stünden, wobei sie nur versuchen, alle zu besänftigen, um einem Schaden, den sie davon haben könnten, vorzubeugen.

    3. Leere Versprechen der Chefs

    Immer wieder habe ich erfahren müssen, dass Versprechen, die die Chefs so machen, nie eingehalten werden. Wenn es um Fortbildungsmaßnahmen geht, weiß ich von mir, aber auch von KollegInnen, dass diese nie durchgeführt werden, obwohl sie versprochen wurden. Ähnlich sieht es mit dem Arbeitsklima aus. Ich habe oft gehofft, dass die Chefin in die Konflikte zwischen ArbeitskollegInnen eingreift. Heute kann ich sagen, dass wenn die ArbeiterInnen nicht selber Initiative ergreifen, um Probleme und Missverständnisse aus der Welt zu schaffen, es niemand anders tun wird.

    Versprechen können ArbeiterInnen ebenfalls in ihrer Haltung manipulieren. So hat mein alter Arbeitskollege die Illusion, dass er irgendwann den Betrieb übernehmen wird. Er macht dadurch nie krank und schikaniert sogar seine ArbeitskollegInnen. Das äußerte sich z.B. darin, wenn er uns drillte, sparsamer mit Materialien umzugehen oder immer die günstigste Alternative zu wählen, auch wenn diese nicht die beste war. Er übernahm durch diese Illusion genau die Position, die die Chefin sich wünschte. Er entwickelte sich zu einem kleinen und unterbezahlten Vorarbeiter.

    4. Übertragung von Verantwortung

    Bei meinem zweiten Kleinbetrieb, in dem ich angestellt war, wurde mir gleich zu Anfang versucht klar zu machen, dass man ein „Familienbetrieb“ sei. Das sollte den Effekt haben, dass ich mir als Arbeiter mehr Verantwortung im Betrieb aufbürden lasse: länger arbeiten, damit die Arbeit noch erledigt wird, früher erscheinen, mit dem Privatfahrzeug Sachen erledigen, ständig alles im Blick haben und Optimierungen in der Arbeitsplanung vornehmen etc.. Alles Beispiele, was man so macht, wenn man keine distanzierte Beziehung zu seinen Vorgesetzten hat, sondern eher eine „familiäre“Wenn meiner Chefin der Kragen platzte, versuchte sie mir später weis zu machen, dass sie so streng mit mir sei, weil mich nichts von ihrem Sohn unterscheiden würde…

    Da meine Arbeitskollegen wie ich Migranten sind und die deutsche Sprache nur mäßig beherrschten, musste ich stets Aufgaben erledigen, die entweder überhaupt nichts mit meinem Arbeitsfeld zu tun hatten oder die meine Position im Betrieb in Frage stellten. Beispielsweise musste ich Bürotätigkeiten erledigen oder meinen viel älteren Arbeitskollegen Anweisungen geben. Zweitens hat mir stets ein unangenehmes Gefühl gegeben. Auch da half mir, mit meinen Arbeitskollegen offen darüber zu sprechen und ihnen klar zu machen, dass von meiner Seite aus keine bösen Absichten bestünden. Das änderte trotzdem nichts daran, dass sie mich mit anderen Augen betrachteten.

    5. Auf seine Recht bestehenm

    Der letzte Punkt hat mich letztendlich meinen Job gekostet. Als Lohnarbeiter wollte ich mich verständlicherweise nicht noch mehr ausbeuten lassen, als ich es eh schon tun muss. Somit legte ich Wert darauf, pünktlich Feierabend zu machen und zuhause zu bleiben, wenn ich krank war. Warum hätte ich das auch nicht tun sollen? Ich kann aus meinen Erfahrungen sagen, dass kein/e einzige/r ChefIn mir je gesagt hat, ich soll nach Hause gehen, wenn ich krank bin. Im Gegenteil, es wurde gesagt, ich solle mich nicht so lange krank schreiben lassen. Auch wenn es um Tage wie Sonderurlaub bei bspw. einem Todesfall ging, oder um die Verpflichtung Arbeitsschuhe zu stellen, stellten sich meine Vorgesetzten immer quer. Vor allem für meine letzte Chefin war mein Beharren m,eine Rechte nicht abzutreten, nicht akzeptabel und sie entließ mich in der letzten Woche meiner sechsmonatigen Probezeit. Mir hat dies gezeigt, dass ich genau richtig gehandelt habe und es auch nie mehr anders machen würde.

    6. Schlussfolgerungen

    Ich denke, viele Sachen laufen in Kleinbetrieben ähnlich ab. Jedenfalls konnte ich bei den beiden verschiedenen Arbeitsplätzen ähnliche Erfahrungen sammeln. Die Übertragung von Verantwortung auf einzelne ArbeiterInnen ist nicht direkt etwas Negatives. Ich denke, es ist eher dabei wichtig zu schauen, ob die Verantwortungen von ArbeiterInnen erfüllt werden sollten, oder doch Verpflichtungen von der Chefetage sind, die auf die ArbeiterInnen abgewälzt werden. Wenn beispielsweise ArbeiterInnen irgendwann eine VorarbeiterInnenposition einnehmen, ist daran nichts Positives. Man beutet sich mehr aus, da man mehr Verpflichtungen übernimmt und hebt sich von seinen ArbeitskollegInnen ab, was sich wiederum zwangsläufig negativ auf die Beziehung zwischen den KollegInnen auswirken wird.

    Über den Punkt mit den leeren Versprechen kann ich nur sagen, dass man sich nicht auf das Gesagte der Chefs verlassen sollte. Versprechen werden dann ausgesprochen, wenn die Chefs eine Notwendigkeit darin sehen. Beispielsweise, wenn die Stimmung kippt, oder man einzelne ArbeiterInnen motivieren möchte, damit sie noch mehr leisten.

    Persönlich möchte ich mir nie wieder meine Rechte beschneiden lassen und mir meiner Rolle als Arbeiter bewusst werden. Dieses Bewusstsein möchte ich auch in Zukunft an meine ArbeitskollegInnen weitergeben, um zusammen für unsere Rechte zu kämpfen und eine Einheit zu bilden.

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