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Dienstag, April 23, 2024
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    „Im Iran kann man nicht leben, wenn man die Freiheit liebt!“

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    Während der Flüchtlingskrise 2015 kamen hunderttausende Flüchtlinge nach Europa. Sie flohen vor Terror, Krieg, Armut und Hunger. Auch der junge Aras Dilian floh aus seiner Heimat. – Ein Porträt von Kevin Hoffmann

    Aras ist 1996 in Sanandaj, einer kurdischen Stadt im Iran, geboren. Er wächst dort gemeinsam mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester auf, geht zur Schule und hilft im elterlichen Sanitärbetrieb. All das scheint sich zunächst kaum von einem Leben zahlreicher deutscher Jugendlicher zu unterscheiden und doch hat der heute 22-Jährige wohl mehr in seinem Leben erlebt, als sich manch einer seiner Altersgenossen vorstellen kann.

    „Bei uns zu Hause gibt es keinen Krieg, keine Terroranschläge oder so etwas, aber trotzdem kann man im Iran nicht leben. Wenn man die Freiheit liebt, dann geht das nicht.“ Aras Familie gehört zum Volk der Kurden, die im Iran besonders unterdrückt werden. Und Aras wird von seiner Familie selbstbewusst und mit einem Drang nach Freiheit erzogen. Kein Wunder, dass er schnell in das Fadenkreuz religiöser Fanatiker gerät, die ihn auf der Straße angreifen, und des iranischen Staats und seines Geheimdienstes “SAVAK”.

    Heute lebt Aras in Köln. Er ist ein aufgeweckter dünner Mann, wirkt zum Teil etwas schüchtern, aber aus seinen dunklen Augen strahlt Entschlossenheit. „Im Iran darfst du nichts selber entscheiden. Es gibt keine Freiheit. Der Staat kontrolliert alles!“ erzählt Aras. Was er damit meint? Aras führt es an zahllosen Beispielen aus. Was du trinkst, was du isst, wie du angezogen bist, was du zu sagen hast, alles ist vorgeschrieben und wird mit harten Strafen sanktioniert, sollte dagegen verstoßen werden. „Für die Frauen ist es noch viel schlimmer. Sie haben keine Rechte. Sie werden nicht wie Menschen behandelt. Und all das wird dann mit der Religion begründet.“ Wenn man Aras fragt, ob er denn nicht an Gott glaube, dann lacht er nur und fragt statt einer Antwort: „Wie soll ich denn an Gott glauben, wenn ich jeden Tag sehe, was in seinem Namen getan wird?“.

    In der Schule und Uni beginnt Aras, auch in der Öffentlichkeit nicht mehr alles hinzunehmen. Er sammelt ein paar Freunde und gemeinsam schreiben sie heimlich Flyer für mehr Arbeiterrechte, politische Freiheiten, Forderungen für Frauen- und Kinderrechte. „Uns war klar, wenn wir erwischt werden, dann landen wir im Gefängnis. Dort werden gefoltert oder vielleicht sogar getötet.“ Woher weiß Aras das? Sein Vater saß selber lange Zeit im Gefängnis, weil er Aktivitäten der kurdischen kommunistischen Partei „Komala“ unterstützte.

    „Jede politische Aktivität ist im Iran verboten. Wir wussten, dass es riskant ist. Aber wir konnten nicht einfach nichts tun.“ Alles schien eine Weile gut zu gehen, bis Aras und seine Freunde von Jemandem aus ihrer Gruppe verraten wurden. Die Polizei nahm sie fest und steckte sie ins Gefängnis. „Mein Cousin und ich saßen zwanzig Tage im Gefängnis und wurden geschlagen, dann durften wir wieder gehen“, erzählt Aras mit einem spöttischen Grinsen. Doch dann senkt er den Blick und er fügt hinzu: „Von meinem besten Freund Ahmet habe ich seit diesem Tag nichts mehr gehört. Er wurde wie wir festgenommen und von der Polizei verschleppt. Niemand weiß, ob er noch lebt.“

    Wenige Wochen später, im September 2014, änderte sich auch für Aras alles. Während er unterwegs war, rief ihn seine Mutter an und berichtete, dass Polizisten zu ihnen nach Hause gekommen seien und nach ihm suchen würden. „Meine Mutter sagte mir, ich könne nicht mehr nach Hause kommen, die Polizisten würden mich festnehmen oder töten. Also musste ich fliehen. Was blieb mir anderes übrig?“. Aras versteckte sich zunächst bei einem entfernten Verwandten, bis er einen Schmuggler fand, der ihn für umgerechnet 30 € illegal über die Grenze in den Irak brachte, in die Stadt Sulaimaniyya.

    „Dort angekommen, habe ich meinen Vater anrufen, er konnte einen Kontakt zu Aktivisten der kommunistischen Partei ‘Komala’ herstellen, welche mich mit in einen militärischen Stützpunkt der Partei in der Nähe der Stadt nahmen.“ Für das nächste Jahr sollte hier nun das neue Zuhause für Aras sein. Er bekam hier nicht nur Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf, sondern war auch vor den Agenten des iranischen Geheimdienstes sicher. Hier wollte Aras zunächst bleiben, er gewöhnte sich an das Leben dort, schloss Freundschaften. Doch es sollte wieder anders kommen. „Immer wieder kam die Polizei zu meinen Eltern und bedrohte sie. Nahmen sie fest, steckten sie ins Gefängnis und schlugen sie. Damit wollten sie erreichen, dass ich zurück komme und mich stelle, denn sie wussten, dass ich in den Irak geflohen war.“

    Um seine Eltern nicht weiter zu gefährden, musste Aras sich nun also ein zweites Mal auf die Flucht vor den iranischen Behörden machen. Nachdem seine Eltern ihm Geld für die Flucht hatten zukommen lassen, machte sich Aras auf den Weg zur irakisch-türkischen Grenze. „Mit einer Gruppe von rund 100 Flüchtlingen sind wir nachts in den Bergen über die Grenze in die Türkei gelaufen. Dabei haben uns türkische Soldaten von einem Militärposten aus gesehen und auf unsere Gruppe geschossen, es war grausam, viele wurden verletzt und getötet. Mir ist zum Glück nichts passiert in dieser Nacht“, erzählt Aras mit gebrochener Stimme.

    Weiter geht es aus dem Grenzgebiet mit dem Bus bis nach Istanbul. Dort muss wieder ein Schlepper gefunden werden. Von hier aus führt die Flucht in die Kleinstadt Ayvalik. Mehr als 3000 Dollar kostet die Fahrt zur nächsten griechischen Insel, in diesem Fall Lesvos. Wieder warten auf die Nacht und dann geht es mit einem kleinen Boot 2-3 Stunden übers Meer bis in den Hafen von Mytilini. Hier warten bereits tausende Flüchtlinge auf die Weiterfahrt nach Athen und weiter nach Westeuropa.

    „Nach Griechenland bin ich nach Mazedonien gefahren. Wie es dann weiter ging, weiß ich nicht mehr. Ich war wochenlang unterwegs mit Bussen, Zügen, zu Fuß, und mit mir Hunderttausende. Egal, ob ich nach vorne oder hinten geguckt habe, immer und überall habe ich Flüchtlinge gesehen“, erinnert sich Aras. Die Bedingungen auf der Flucht waren grausam, doch Aras schafft es, kommt irgendwann in München an. Wie genau, das weiß er heute nicht mehr.

    Heute ist Aras seit zwei Jahren in Deutschland. Nach einer Odyssee durch zahlreiche Flüchtlingslager in ganz Deutschland lebt er heute in einer Wohngemeinschaft in Köln, hat gut Deutsch gelernt und will Übersetzer werden.

    Ob er eines Tages wieder in den Iran ziehen möchte, wenn er die Möglichkeit hat, darauf weiß Aras keine richtige Antwort: „Hmmm, das ist eine sehr schwierige Frage. Natürlich möchte ich meine Familie und meine Freunde wiedersehen, aber um im Iran leben zu können, müsste sich viel ändern. Nicht nur die Diktatur der politischen und religiösen Führung, sondern auch das Denken der Menschen. Man müsste die Freiheit haben, das zu denken und zu sagen, was man möchte. Dann würde ich vielleicht auch wieder in den Iran ziehen.“

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    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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