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Samstag, April 20, 2024
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    „Sie setzen sich wenigstens für mich ein“

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    Über die Beliebtheit der anarchistischen Gruppe „Rouvikonas“ in Griechenland – ein Kommentar von Pa Shan

    Volksnahe Anarchisten

    „Sie setzen sich wenigstens für mich ein“. Das hört man in Deutschland heutzutage nicht mehr allzu häufig über die parlamentarischen Parteien. Nicht einmal die Protestparteien Linke und AfD werden von einfachen Menschen so gelobt, geschweige denn die völlig korrupten Regierungsparteien dazwischen. Auch aus dem Mund eines Griechen dürfte solch ein Satz gegenüber den großen Parteien schwer fallen.
    Anders ist es, wenn es um die anarchistische Gruppe „Rouvikonas“ („Rubikon“) in Griechenland geht. Rouvikonas engagiert sich selbstlos für die Interessen der einfachen Menschen und nutzt spektakuläre Aktionen, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Gruppe wird daher anders wahrgenommen als die anarchistische oder linke Szene. Sie wirkt volksnah. Und sie handelt offensichtlich im Gegensatz zu den Karrieristen in der griechischen Politik.

    Spektakuläre Aktionen

    2015 wurde die Gruppe bekannt, als sie die Zentrale der korrumpierten Linkspartei Syriza besetzte. 40 AktivistInnen entrollten ein Banner, um gegen den elitären Kurs der Partei zu protestieren. Später tauchten ihre Leute sogar beim Regierungschef Tsipras zuhause und vor dem Parlament auf. Auch die Zentrale von SIEMENS  und das Finanzministerium  wurden gestürmt. Anfang 2018 griff die Gruppe den Pharmakonzern Novartis an, der führende Politiker bestochen haben soll.
    “Finger weg von den Wohnungen der Witwen”, riefen die Rouvinokisten bei der Erstürmung einer Versicherung. Bei dieser Aktion ging es darum, einer 62-jährigen arbeitslosen Näherin zu helfen, der die Pfändung ihrer Wohnung und Obdachlosigkeit drohten. Bei einer anderen Aktion wurde ein offenbar korrupter Chefarzt bedroht, weil er die Not seiner PatientInnen ausgenutzt haben soll. Heise online sprach von einer „Gruppe wohlsituierter und vernetzter, korrupter Mediziner“, die so von den Anarchisten in ihre Schranken verwiesen wurden.
    „Wird ein Tod eines Arbeiters zum Arbeitsunfall erklärt, ein korrupter Arzt in den Medien bekannt oder Schmiergeldzahlungen zwischen Wirtschaftsvertretern und Politikern öffentlich – wie jüngst bei dem Schweizer Pharmakonzern Novartis -, kann damit gerechnet werden, dass Rouvikonas das Thema aufgreift.

    Eine Perspektive für den Widerstand?

    Erklärtes Ziel der Gruppe ist es, zu einer Kraft des alltäglichen Widerstands auf den Straßen des Landes zu werden. Durch ihre Aktionen hat die Gruppe, die sich auf heroische Weise gegen die Korrupten, Reichen und Mächtigen wehrt, in der verzweifelten Bevölkerung Griechenlands bereits hohes Ansehen gewonnen. Am Küchentisch, auf den Straßen und in den Supermärkten wird sie von einfachen Menschen gelobt. Aber bietet Rouvikonas eine ernst zu nehmende Perspektive für den massenhaften Widerstand gegen die kapitalistische Politik in Griechenland?

    Es gibt Anzeichen dafür, dass die Gruppe großes Potenzial hat. Denn anders als viele linke Grüppchen, die Protestaktionen durchführen, besteht Rouvikonas offenbar nicht nur aus Jugendlichen. Viele haben ein mittleres Alter erreicht und sind damit jenseits der Grenze des ungestümen Jugendprotests. Auch rekrutieren sie sich vielfach nicht aus der anarchistischen Szene, die nur für sich selbst existiert. Der Protest von Rouvikonas ist diszipliniert und wohl koordiniert. Und er richtet sich nicht gegen abstrakte Feindbilder, sondern gegen ganz konkrete Übeltäter vor Ort. Das macht ihren Protest greifbar. Die Gruppe ist nicht mit einer Partei verbunden, die wie die „linke“ Syriza oder wie zuvor die sozialdemokratische Pasok auf Teufel komm raus regieren will. Ein Mitglied der Gruppe, das als Schiffsarbeiter sein Brot verdient, sagte dazu: „Wir haben diesem Affentheater wieder und wieder zugesehen“.  Jetzt gelte es zu handeln.

    Der Trend zu solchen Protestformen ist nicht nur auf Griechenland beschränkt. Auch in den USA und Großbritannien gibt es „Solidarity Networks“ und neuerdings auch in Deutschland das „Solidaritätsnetzwerk“, welche ähnlich agieren, aber die Betroffenen selbst beim Protest involvieren. Immer sammelt sich eine Gruppe von Menschen, um gemeinsam konkrete Ziele im Kampf gegen bestimmte Widersacher zu erreichen. Zwar ist es schon nicht leicht, auch nur 30 bis 40 Menschen für die Erstürmung eines Büros zu mobilisieren. Und schon kleine Hilfen für einzelne Menschen in Not sind beachtlich und lobenswert. Aber bei Protesten gegen Ausbeutung ist nur die Selbstorganisation der Massen Gold wert. Eine ernsthafte Perspektive des Widerstands bietet solch eine Gruppe wie Rouvikonas daher nur, wenn sie es schafft, größere Massen von Menschen zu beteiligen und für den Protest zu mobilisieren. Mit den neu gegründeten Solidaritätsnetzwerken in Köln, Düsseldorf, Berlin, Cottbus und Freiburg wird offenbar der Versuch gemacht, dies zu erreichen.

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    • Perspektive-Korrespondent, Chinaforscher, Filmliebhaber, Kampfsportler

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