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Freitag, März 29, 2024
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    I believe her!

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    Freisprüche für Vergewaltiger entfachen eine Welle der Solidarität für betroffene Frauen – ein Kommentar von Olga Wolf

    Paddy Jackson, Stewart Olson und Samuel Armstrong wurden angeklagt, weil Frauen nach einer Vergewaltigung Anzeige erstattet hatten. Und alle drei Beschuldigten wurden freigesprochen. Die Profisportler und der Politiker stehen exemplarisch für Männer, die trotz einer Anklage keine rechtlichen Konsequenzen auferlegt bekommen haben, und diese Gerichtsurteile sorgen nun unter dem Hashtag #IbelieveHer für Furore. Nutzer und vor allem Nutzerinnen verschiedenster Social Media-Kanäle fordern, den Umgang mit Missbrauch und sexualisierter Gewalt umzudenken – endlich. Denn vor den nordirischen und britischen Gerichten kam es vielen so vor, als seien die Klägerinnen diejenigen, die sich vor Gericht zu behaupten hätten. Die Richter hätten die Frauen nicht nur die Klage, sondern auch ihre Glaubwürdigkeit verlieren lassen.

    Den Vergewaltigern hingegen wurde geglaubt, als sie behaupteten: „Der Sex war einvernehmlich.“

    Über Einvernehmlichkeit

    Vergewaltigung hat mit Sex nichts zu tun. Vergewaltigung ist Gewalt, die sexualisiert ausgeübt wird. Aus diesem Grund ist auch die Frage nach der Einvernehmlichkeit hier nicht angebracht, denn: warum ist sexualisierte Gewalt das einzige Gewaltverbrechen, bei dem das „Opfer“ gefragt wird: „Sicher, dass Du das nicht wolltest“ ?

    Das Stichwort, dasebenfalls im Zusammenhang mit dem #IbelieveHer diskutiert wird, ist “Victim Blaming”, also die „Opfer“ für ein Verbrechen verantwortlich zu machen. Würde jemand dein Handy klauen, wäre das eine miese Aktion. Auch wenn du ein sehr schönes, sehr neues Handy hättest und es ständig zur Schau stellst. Oder wenn du jeden bittest, es sich genau anzusehen. Oder wenn du betrunken bist, oder wenn du es jemandem zum telefonieren ausleihst, und er dann damit abhaut. Darüber würdest du aber hinwegkommen.

    Sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung zu erfahren, begleitet und belastet hingegen tausende Frauen ein Leben lang. Dennoch ist das der Punkt, an dem Gesellschaft und Justiz eine Ausnahme machen: Erlebende werden als Lügnerinnen präsentiert, haben die erlebte Gewalt selbst zu verantworten, würden sich bloß für ihre sexuelle Freizügigkeit schämen. Unsere Gesellschaft lehrt deshalb: „Lass dich nicht vergewaltigen!“ anstelle von „Respektiere Grenzen und missbrauche niemanden!“ Dass Frauen verantwortlich gemacht werden, führt dazu, dass sie das Gefühl haben, ihnen sei ein Fehler passiert. Dass sie selbst glauben, dass sie die Schuld tragen. Und dazu, dass sie vor Unsicherheit und Scham lieber schweigen.

    Ich glaube ihr!

    #IbelieveHer fordert, dass wir Frauen einander glauben – Und Frauen können einander glauben: Die Zahl an Falschbeschuldigungen ist selbst in offiziellen Quellen so verschwindend gering, dass sie in kaum einer Statistik auftauchen. Die genauen Zahlen: Rund 80 – 95 % der Frauen zeigten eine Vergewaltigung nicht an, in angezeigten Fällen kommt es nicht einmal in jedem zehnten Fall zu einer Verurteilung. Ein Online-Ratgeber, der offensichtlich Beschuldigte juristisch berät, schreibt: „Die Falschbeschuldigung einer Vergewaltigung ist wahrscheinlich in etwa so alt wie die Menschheit und findet sich sogar in der Bibel“.  Na wenn es in der Bibel steht… Obwohl offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird, zeigt das Zitat, dass Frauen, die erlebte sexualisierte Gewalt öffentlich machen, auch schon zu biblischen Zeiten nicht geglaubt wurde. Auch heute noch leben wir in einer patriarchalen Gesellschaft, ebenso wie zu den Ursprungszeiten der Bibel.

    Wenn Richter uns im Stich lassen: Wir für einander!

    Frauen in Irland äußern vielfach auf twitter und facebook: Das Letzte, was ihnen einfallen würde, wäre, eine Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen. Frauen trauen sich oft nicht, mit anderen Frauen über die erlebte Gewalt zu sprechen, dabei ist statistisch die Chance hoch, dass ihre Erfahrungen ähnlich sind. Vergewaltigung ist ein Tabu-Thema.

    Ich habe erlebt, dass Frauen versucht haben, sich damit zu übertrumpfen, auf welche Weisen sie belästigt wurden und „drüber hinweggekommen sind“, um sich ihre Stärke zu beweisen. Das war leider einer der wenigen Momente, in denen ich erlebt habe, dass Frauen offen über Gewalt an ihnen sprechen, hinter der Maske der Unantastbarkeit. Diese Unantastbarkeit als Ventil, um nicht daran zu zerbrechen, das auszusprechen, was viel zu selten gehört wird. Wir Frauen müssen erkennen, dass unsere Stärke nicht das Aushalten oder unsere Belastbarkeit ist. Wenn eine auf uns zu kommt und sich traut, ihre Geschichte zu erzählen, dann ist es an uns, anzuerkennen, was sie fühlt, und hinter ihr zu stehen. Gerade weil Frauen sich in diesen Dingen auf Richter und Gerichte nicht verlassen können.

    Die Bewegung hinter #IbelieveHer weiß, dass in einer patriarchalen Gesellschaft der männliche Täter eher angehört wird als eine Frau. Sie fordert, das zu ändern – ob die Gesetzgebung reagiert ist fraglich, doch auch in unserem eigenen Umgang läuft das oft noch falsch. Und sie fordert Frauen auf, zu unserer stärksten Waffe in diesem Fall  zu greifen: Unsere Solidarität! Weil Frauen wissen, wie es ist, als Frau in unserer Gesellschaft zu leben. Ebenso wie in Nordirland und Großbritannien können Erlebende sexualisierter Gewalt sich auch in anderen Teilen der Erde nicht auf staatliche Einrichtungen verlassen. Daher sind wir selbst gefragt, einander zuzuhören, zu glauben was wir hören, und dementsprechend zu handeln.

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    • Perspektive-Autorin seit 2017, Redakteurin seit 2018. Aus dem Rheinland, Sozialwissenschaftlerin. Schreibt am liebsten über das Patriarchat und internationale Frauensolidarität dagegen.

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