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Samstag, April 20, 2024
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    In deutschen Medien haben Terror und Amok eine Hautfarbe

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    Wenn Europäer Amok laufen, ist das anscheinend erweiterter Suizid – ein Kommentar von Olga Wolf

    Der „massenwirksame Suizid“ in Münster

    Zur Berichterstattung über die Amokfahrt in Münster werden PsychologInnen konsultiert, die Rede ist von “erweitertem Suizid”. Der Täter habe seinen finanziellen Misserfolg nicht verkraftet, sich nach Aufmerksamkeit gesehnt. Geradezu mitleiderregend.

    Populär und ähnlich ist auch das Beispiel von Stephen Paddock, dem Mann, der mehr als 800 Menschen in Las Vegas mit seiner Schusswaffe verletzte und zahlreichen das Leben nahm. Hätte er einen afrikanischen, fernöstlichen oder muslimischen Hintergrund gehabt, wäre die Rhetorik eine Altbekannte gewesen. Da er aber ein weißer alter Mann war, entschied man sich, vor seiner Hauseinfahrt zu drehen und von dem „einsamen Wolf“ aus der Vorstadt zu sprechen.  Wie rassistisch gehen Medien mit diesen Fällen um und welche Konsequenzen hat ein solches Täterbild?

    „Gedenkkultur“ für weiße Täter

    Ich fordere keineswegs, dass auch derjenigen gedacht wird, die faschistische Anschläge in jedweder Art verüben. Ich möchte, dass das Weichspülen und Romantisieren der Taten von Münster , Las Vegas, Charleston beendet wird. Dass eine Gräueltat diesen Ausmaßes der einzige Anlass ist, zu dem deutsche Medien realisieren, dass Einsamkeit und psychische Krankheit ein lebensbedrohliches Problem in der westlichen Welt sind, gerade mit Blick auf die Knappheit von Therapieplätzen, ist traurig. Und ohne Frage ist es wichtig, bei Ermittlungen auch den emotionalen und psychischen Zustand der Täter nachzuvollziehen.

    Nichts rechtfertigt aber, von manchen Tätern ein Bild zu transportieren, dass Mitleid und Verständnis erwecken soll, während Darstellungen nicht-europäischer Täter dafür sorgen, dass Kriminalität, Misstrauen und Vorurteile gegenüber MigrantInnen sich immer fester verwurzeln.

    So weit, dass ein afro-amerikanischer Journalist eine Art „Erleichterung“ beschreibt, als er hört, dass der Massenmörder in Las Vegas gebürtiger US-Amerikaner war: „Unsere [die der dunkelhäutigen Bevölkerung der USA] Erleichterung, dass wir nicht aussehen wie der Mörder, geht mit Schuldgefühlen und Konflikten einher. Menschen sind tot und Familien zerstört. […] Aber ich weiß, wenn der Täter schwarz gewesen wäre, hätte sich die nationale Debatte um schwarze Kriminalität und die “Black lives Matter”-Bewegung gedreht.“

    Verkehrte Welt

    Wenn ein Münsteraner mittleren Alters also seinen Wagen in eine Menschenmenge fährt und dabei Menschen das Leben nimmt, wird das dargestellt als „erweiterter Suizid“. Sehen wir uns den umgekehrten Fall an: Dem jungen Mann Oury Jalloh aus Sierra Leone wurde das Leben genommen, als in der Gefängniszelle, in der er gefesselt war, ein Feuer gelegt wurde. Über ein Jahrzehnt lang war gängigerweise von „Selbstanzündung“ die Rede, trotz offensichtlicher Gewalteinwirkung.

    Deutsche Medien haben ein unfassbares, rassistisches Problem damit, Deutsche, in diesem Fall vor allem Polizeibeamte, korrekterweise als Täter zu bezeichnen. Und ein Blick in die USA zeigt, dass die Problematik dort ebenso besteht, in westlichen Medien sollen weiße Männer einfach nicht Täter sein.

    Hetze auf Twitter

    Diese rassistische Rhetorik, die unsere Gesellschaft zu spalten versucht, spielt dabei allen rechten Kräften in die Hände. Es entsteht der Eindruck, als würden AfD, Identitäre Bewegung und Co. nur auf den nächsten Anschlag warten, um tödliche Gewalt für eine rechte Werbekampagne zu missbrauchen.

    Twitter-Königin Beatrix von Storch twitterte noch am Tag des Attentats von Münster und ohne wenigstens anstandshalber ihr Beileid zu bekunden: „WIR SCHAFFEN DAS!“. Bezugnehmend auf Angela Merkels Flüchtlingspolitik macht sie schon vor Veröffentlichung jedweder Ermittlungsergebnisse einen Geflüchteten zum Täter. Und auch als man sie auf ihren widerlichen Irrtum aufmerksam macht, argumentiert sie sinngemäß: Hätte auch gut ein Geflüchteter sein können, war wohl ein Nachahmer islamistischen Terrors.

    Struktureller Rassismus

    Es mag keine überraschende Erkenntnis sein, aber deutsche Medien unterstützen und erbauen strukturellen Rassismus. Diese Darstellung, geradezu Manipulation, spielt rechten Kräften in die Hände und wird dankend angenommen.

    Richtig, unser System ist eins, in dem Menschen scheitern, in dem Persönlichkeiten zugrunde gehen, in dem Depressionen und Einsamkeit Menschen in den Wahnsinn treiben. Diese Last tragen aber Deutsche und MigrantInnen in Deutschland gleichermaßen, eher ist es ja so, dass Deutsche nicht zusätzlich mit rassistischer Diskriminierung zu kämpfen haben. Aber große Medienhäuser schüren die Spaltung der Gesellschaft, sichern weiße Privilegien und verhindern, dass wir uns gemeinsam dagegen wehren, diese Last tragen zu müssen.

    In Gedenken an die Opfer der Amokläufe und -fahrten und in Solidarität mit denjenigen, die aufgrund ihrer Hautfarbe und/oder Herkunft nach solchen Gewalttaten pauschal verdächtigt, diskriminiert und angegriffen werden.

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    • Perspektive-Autorin seit 2017, Redakteurin seit 2018. Aus dem Rheinland, Sozialwissenschaftlerin. Schreibt am liebsten über das Patriarchat und internationale Frauensolidarität dagegen.

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