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Donnerstag, März 28, 2024
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    Ein Jahr „Fridays for Future“ – eine Bilanz

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    Vor einem Jahr streikte die schwedische Schülerin Greta Thunberg das erste Mal, um auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen. – Ein Kommentar von Ashraf Khan.

    Greta Thunberg hat Geburtstag! Also eigentlich nicht wirklich, aber zumindest ihre unfassbare Medienpräsenz feiert einjähriges Jubiläum. Montag, der 20. August 2018 wäre für Greta der erste Schultag in der neunten Klasse gewesen. Stattdessen setzte sich die damals 15-jährige Schwedin mit gerade mal einer Hand voll UnterstützerInnen vor das Parlamentsgebäude in Stockholm. Mit dabei ihr berühmtes Schild: „Skolstreijk för Klimatet“. Übersetzung nicht nötig. Damit brach für sie und die gesamte Klimabewegung eine aufregende Zeit an.

    Im September 2018 begann Greta jeden Freitag zu streiken – solange, bis Schweden das Pariser Klimaabkommen einhalten werde. Dieses wertlose Blatt Recyclingpapier wurde bereits 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet und beinhaltet unter anderem, dass die Klimaerwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 66% unter zwei Grad Celsius bleiben solle. Ein Ziel, das eine Katastrophe bedeuten würde, und dennoch sind auch Schweden und Deutschland sehr weit davon entfernt, zur Erreichung dieses Ziels etwas beizutragen. Realpolitisch hat sich seit der Konferenz nichts geändert.

    Dieser Zustand stinkt nicht nur Greta, sondern Millionen junger Menschen weltweit, die sich ihre Zukunft nicht dadurch verbauen lassen wollen, dass sich unter anderem UnternehmerInnen im Energiesektor die Taschen mit schmutziger Kohlekraft voll machen. In Schweden wuchs die kleine „Fridays for Future“-Bewegung schnell an, und Anfang Dezember 2018 kam es auch in Deutschland zu den ersten Schulstreiks.

    Streiken alleine reicht nicht!

    Hassgestalt für Rechte

    Heute ist „Fridays for Future“ eine Massenbewegung, vielleicht sogar die größte Protestbewegung in Europa seit Ende des Vietnamkriegs. Doch mit dem Durchbruch der jungen KlimaaktivistInnen zogen auch ihre Feinde alle Register. Längst sind es nicht mehr nur die Kommentarspalten sozialer Medien, in denen quasi ehrenamtliche Kohle-, Diesel- und Massentierhaltungslobbyisten sich für die Inhaftierung der „Schulschwänzer“ aussprechen oder Greta als „behinderten Roboter“ im Auftrag irgendwelcher Geheimbünde bezeichnen.

    Die Polarisierung durchdringt alle Teile der Gesellschaft, und die großen Medienhäuser wissen gut, wie sich daraus finanzielles und politisches Kapital schlagen lässt. Der Blick, eine der größten Tageszeitungen der Schweiz, nennt die DemonstrantInnen offenbar prinzipiell nur noch „Greta-Jünger“, als handele es sich um irgendeine verrückte Sekte. Die Wählerschaft der Schweizer Volkspartei (SVP), der etablierten und übermächtigen Schwester der AfD, kauft das Blatt natürlich fleißig. Gestärkt von dieser Medienhetze kann die SVP-Jungendorganisation dann auch auf ihrer Webseite behaupten, der “Smile for Future“-Kongress in Genf sei das Werk von brandgefährlichen „Hardcore-Jungsozialisten“. Und auf wahnsinnige Sekten-SozialistInnen muss man nicht hören – das finden natürlich auch die Schweizer Banken, die profitable Anlagemöglichkeiten wie die Erdöl- oder Kohleindustrie auf keinen Fall verlieren möchte.

    Falsche Freunde der Klimagerechtigkeitsbewegung

    Doch noch gefährlicher als ihre offenen Feinde sind für die jungen KlimaschützerInnen ihre zahlreichen falschen Freunde. Es existiere bei „Fridays for Future“ ein noch nie dagewesener Personenkult um Greta Thunberg. Dass ihr Gesicht mittlerweile jeden einzelnen Tag in den Zeitungen abgebildet ist, liegt nicht daran, dass sie die Führerin einer Bewegung wäre, sondern die Medien haben sie genau dazu stilisiert. Natürlich nutzt sie diese Öffentlichkeit, alles andere wäre taktisch kompletter Unsinn. Ob ihr das gelingt, ist aber fraglich: Denn natürlich ist es für die/den DurchschnittsjournalistIn um einiges bequemer, wenn er/sie irgendetwas über Gretas Asperger-Syndrom, ihre Familie oder ihre Bootsreise schreiben kann, als sich wirklich mit der Klimakrise und den verschiedenen Forderungen der extrem diversen „Fridays for Future“-Bewegung auseinanderzusetzen.

    Der medieninszenierte Greta-Hype ist aber noch harmlos im Vergleich zu den Vereinnahmungen aus der Politik. Denn hiermit hatten die falschen Freunde ihre größten Erfolge: Auf die Frage „Was wollen wir?“ werden einem auf einer Freitagsdemo tausende „Klimagerechtigkeit“ entgegenbrüllen. Klimagerechtigkeit – ein Begriff, der sich ganz bewusst vom bürgerlichen Klimaschutzgedanken á la „Ich kaufe im Bioladen ein und baue mir Solarzellen auf mein Eigenheim“ absetzt.

    Klimagerechtigkeit meint, dass effektiver Umweltschutz nicht auf dem Rücken der arbeitenden Klasse ausgetragen werden kann. Nicht das individuelle Kaufverhalten ist ausschlaggebend, sondern die Klimakrise ist ein gesellschaftliches Problem, das auch gesellschaftliche Lösungen braucht. Die Enteignung und Vergesellschaftung des gesamten Energiesektors wäre z.B. ein naheliegender Lösungsansatz, denn so könnte schnell für einen Netzausbau und die Umstellung auf grüne Energiequellen gesorgt werden. Das steht aber nicht im Forderungskatalog der offiziellen „Fridays for Future“-Organisation. Stattdessen: CO2-Steuer! Eine Idee, unter deren Umsetzung die große Mehrheit der Menschen in Deutschland ganz konkret leiden wird!

    Nationaler Energieplan oder Kampf gegen kapitalistische Umweltzerstörung?

    Die großen Medien, gerade öffentlich-rechtliche Sender, betteln bei jeder Gelegenheit, die sich bietet – ob beim Kommentar in den Tagesthemen oder in Kolumnen – um diese Steuer und tarnen sich dabei – mit Querverweisen auf die Schulstreikbewegung – als fortschrittlich. Der Gipfel dieses sogenannten „greenwashing“ sind „Entrepreneurs for Future“, ein Verband aus Unternehmen, die die Marktlücke für „grüne“ Produkte nutzen wollen.

    Weniger leicht zu durchschauen sind die ParteikarrieristInnen der „Grünen“, die schon seit langem daran arbeiten, die junge Klimabewegung in einem systemkonformen Rahmen zu halten und sich gleichzeitig selbst in den Vordergrund zu rücken. Die „Grünen“ und ihre Anhänger versuchen Forderungen wie die nach einer CO2-Steuer als einziges Mittel gegen die Umweltkatastrophe zu verkaufen. Bei vielen haben sie damit auch Erfolg und treiben somit eine Spaltung der Bewegung weiter voran. Doch auf der anderen Seite wird auch der Ruf nach einem „System Change“ immer lauter. Einem Wechsel zu einem Wirtschaftssystem, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse von Mensch und Natur an erster Stelle stehen. Das Ende des Kapitalismus also.

    Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Spannungen weiter entwickeln werden. Ob es den „Grünen“ gelingen wird, die Schulstreiks zu entpolitisieren, ob die antikapitalistischen Kräfte die Bewegung vorantreiben, ob der Greta-Hype schlagartig endet, wenn sie sich in dieser Debatte anders positioniert, als es den Mainstream-Medien gefällt – wir werden noch viel davon lesen dürfen, bis zum zweijährigen Jubiläum. Das ist sicher.

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