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Dienstag, März 19, 2024
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    Von mackerigen Brötchenverdienern und armen Arbeiterinnen

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    Frauen, die mehr verdienen als “ihre Ehemänner”, seien statistisch unglücklicher. Das will eine Auswertung des “Sozioökonomischen Panels” für die FAZ herausgefunden haben. Frauen seien also besser beraten, wenn sie die Dazuverdienerinnen seien. – Ein Kommentar von Olga Wolf.

    “Arme Hauptverdienerinnen” titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Ein Psychologe nimmt Stellung zu einem Modell aus Daten des “Sozioökonomischen Panels” (SOEP). Das ist eine der größten Bevölkerungsumfragen in Deutschland, sie kann unter Anderem Auskunft über die Lebenszufriedenheit geben.

    Frauen, die in einer heterosexuellen Familie leben und mehr verdienen als ihr Partner, haben im erstellten Modell eine statistische Lebenszufriedenheit von 7.4 auf einer Skala von 0 bis 10. Bei Frauen, die weniger oder genau so viel verdienen wie die männlichen Lebenspartner, ist die Lebenszufriedenheit mit 7.7 Punkten etwas höher. Etwas, statistisch.

    0.3 Skalenpunkte bei einem so komplexen Sachverhalt wie der Lebenszufriedenheit sind nicht der Stoff, aus dem Schlagzeilen gemacht sind. Denken wir nur an unsere eigene Lebenszufriedenheit – sie ist veränderlich und unglaublich komplex, also schwer messbar. Da der/die AutorIn sich aber entschieden hat, das Modell zu einer Schlagzeile zu verarbeiten, möchte ich hier eine andere Perspektive eröffnen:

    “Frauen, die Karriere machen, hadern oft mit ihren Leben”

    FAZ-Autor Patrick Bernau schreibt im heute erschienen Artikel “Viele Frauen wollen keine Karriere machen”: “Wenn Frauen mehr verdienen als ihre Partner, hadern sie oft mit ihrem Leben – das zeigen Daten aus der Wissenschaft.”. Es ist keine Raketenwissenschaft, um zu erkennen, dass 0.3 Skalenpunkte aus einer hohen Lebenszufriedenheit kein Hadern machen. Die Lebenszufriedenheit mag im Modell geringer sein – eine 7.4 ist im Vergleich mit der 7.7 aber eben kein niederschmetterndes Ergebnis.

    Viel problematischer ist, was die Autoren und im Artikel zitierten Wissenschaftler schlussfolgern: Frauen seien einfach unglücklich in der Rolle der Ernährerin, fühlten sich unwohl, wenn es keinen männlichen Brötchenverdiener gibt. Für Frauen sei es wohl das beste, maximal ein bisschen dazu zu verdienen – der Zufriedenheit wegen. Diese Empfehlung ist unwissenschaflich und sexistisch.

    Vor allem möchte ich darauf hinweisen, dass jemand anderes ganz unzufrieden ist, wenn Frauen im Haushalt mehr verdienen: Ein Großteil der Männer kann sich nicht vorstellen, dass die Partnerin mehr verdient. Geschweige denn, zugunsten der beruflichen Laufbahn einer Frau den Großteil der Care-Arbeit zu leisten. In einem lustigen Höhepunkt gipfelt das, wenn ein Mann “Vater des Jahres” wird, weil er Sorgearbeit leistet, damit die Ehepartnerin eine Raumfahrt unternehmen kann. Der traurige Höhepunkt ist, dass Mehrverdienerinnen ein erhöhtes Risiko haben, Opfer von Partnerschaftsgewalt zu werden. Denn Männer, die mit einem fragilen, patriarchalen Menschenbild leben, fühlen sich offensichtlich von ökonomisch selbstständigen Frauen bedroht.

    Aber warum denn dann die Unzufriedenheit?

    Ich kenne das Modell nicht, mit dem die geringere Lebenszufriedenheit berechnet wurde. Es ist aber denkbar, dass Frauen, die mehr verdienen als ihr Partner, eine geringere Lebensqualität haben. Warum?

    Zum einen der oben genannte Aspekt: Männliche Partner fühlen sich fälschlicherweise “entmannt”. Sie haben das Gefühl, die eigene Geschlechtsrolle, zu der sie erzogen wurden, nicht gut zu erfüllen. Die Zufriedenheit der engsten PartnerInnen und auch die Qualität der Lebenspartnerschaft haben einen signifikanten Einfluss auf die eigene Lebenszufriedenheit.

    Zweitens die Familienrolle und Aufteilung der Hausarbeit: In unserer patriarchalen Gesellschaft herrscht eine ganz klare, schädliche und heteronormative Aufgabenteilung. Die Aufgabe von Männern in der Familie ist, diese zu ernähren, Frauen sollen sie (unbezahlt) versorgen. Dafür sollen Männer eine Karriere anstreben, Frauen eher nicht. Wenn Männer also beruflichen Erfolg haben, erfüllen sie ihre gesellschaftliche Familienrolle – bei Frauen ist genau das Gegenteil der Fall. Ihre berufliche Karriere steht in Konkurrenz mit allem, was die Gesellschaft von ihnen in der Familie erwartet.

    Dadurch entsteht Druck. In der Regel ist es so, dass die unbezahlte Hausarbeit nicht im selben Maß verteilt wird, in dem Frauen lohnarbeitstätig sind. Die mehrfache Belastung durch Lohnarbeit und Sorgearbeit wird also immer schwerer, je mehr eine Frau berufstätig ist – die Lebensqualität sinkt.

    Gender Pay Gap und Gläserne Decke

    Außerdem die ungleiche Bezahlung und Bewertung von Lohnarbeit: Arbeit von Frauen wird noch immer weniger wertgeschätzt. Wenn eine Frau also mit dem selben Lohn eine Familie ernähren will, wie ein Mann es täte, dann ist es möglich, dass sie sich dafür härter beweisen muss. Frauen kämpfen in Unternehmen noch immer gegen benachteiligende Vorurteile und strukturelle Diskriminierung an. Dadurch gelangen sie schwieriger in Positionen, die gut genug bezahlt werden, um mehr als sich selbst zu ernähren. Man nennt das die “Gläserne Decke”, weil die Barrieren meist nicht sichtbar sind.

    In sozialen Berufen, die oft fast ausschließlich von Frauen erledigt werden, gibt es diese Benachteiligung im Unternehmen weniger. Dafür findet sie gesamtgesellschaftlich statt: Die Arbeit von beispielsweise Grundschullehrerinnen, Kranken- und Altenpflegerinnen wird gleich in der gesamten Gesellschaft so wenig wertgeschätzt, dass es sehr schwer ist, vom Lohn überhaupt eine Familie zu ernähren.

    Viele gesellschaftliche Mechanismen können dazu führen, dass Frauen, die auch noch lohnarbeiten, etwas weniger zufrieden sind. Eine biologisch vorgesehene Arbeitsteilung gehört sicher nicht dazu.

    Rabenmutter oder Heimchen am Herd?

    Die Studie und die naturalisierenden Schlussfolgerungen zeigen uns einmal mehr: Frauen haben in den Köpfen namhafter Journalisten bloß die Freiheit zu wählen, ob sie lieber Rabenmutter und Karrierefrau oder abhängiges Heimchen am Herd sind. Sozialwissenschaftliche Studien zeigen, dass diese Wahrnehmung von vielen geteilt wird.

    Das ist eine Freiheit, die wir schon lange nicht mehr hinnehmen wollen! Seit Jahrzehnten fordern Frauen auf der ganzen Welt: Wahre Freiheit, ökonomische Unabhängigkeit, selbstbestimmte Familienplanung. Die geschlechtergetrennte Arbeitsteilung in männliche Lohnarbeit und weibliche, unbezahlte Hausarbeit ist aber ein Grundpfeiler, auf dem der Kapitalismus aufbaut. Es gilt also, am ganzen Gerüst zu wackeln.

    Dann muss nicht mehr Jede allein diesen Kampf gegen Rollenbilder und Diskriminierung ausfechten, in ihrem Betrieb oder im Umfeld. Und nicht jede Familie müsste für sich austragen, wer auf welche Weise das Überleben sichert – sondern die gesamte Gesellschaft kann diese Aufgabe tragen. Und wir müssten dann alle nicht mehr die lauwarmen Empfehlungen männlicher Wissenschaftler und Journalisten lesen, die Frauen erklären wollen, wie wir uns mit Kapitalismus und Patriarchat am besten arrangieren.

    • Perspektive-Autorin seit 2017, Redakteurin seit 2018. Aus dem Rheinland, Sozialwissenschaftlerin. Schreibt am liebsten über das Patriarchat und internationale Frauensolidarität dagegen.

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