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Donnerstag, April 25, 2024
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    Über das „Wir“ und „Die“

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    Viele suchen angesichts der dramatischen Entwicklung in der Coronakrise den Schulterschluss mit der Regierung. Doch zwischen denen, die das Gesundheitssystem kaputt gespart haben und uns gibt es kein „Wir“. – Ein Kommentar von Florian von Dekay

    Merkels warme Worte

    „Eine anständige Rede hat die Kanzlerin da gehalten“, sagte mir ein alter Bekannter am Telefon direkt nach der Fernsehansprache von Angela Merkel und ein von mir sonst durchaus geschätzter linker Aktivist schrieb dazu „Ich bin wirklich froh, von einer Merkel und nicht von völlig Wahnsinnigen wie Trump oder Johnson regiert zu werden.“ Auch wenn er noch hinterher schob „Das macht Merkel noch lange nicht zu einer ´Guten´“, sollten bei einem doch alle Alarmglocken klingeln, wenn das Bedürfnis, sich in Zeiten der Krise hinter (oder unter?) die Kanzlerin zu stellen, jetzt bis in die politische Linke hinein geht.

    Doch was hat Merkel eigentlich getan? Sie hat mit ruhiger Stimme und in heuchelnder Art und Weise ein paar Gesundheitsvorschriften erläutert und sich beim Krankenhauspersonal bedankt. Das scheint einige offenbar so stark berührt zu haben, dass sie glatt vergessen haben, welche Politik diese Dame in ihrer Amtszeit so betrieben hat. Angela Merkel jetzt für ihre warmen Worte zu danken, nachdem sie über Jahrzehnte daran mitgewirkt hat, das System kaputt zu sparen, Krankenhäuser zu privatisieren und die unmöglichen Zustände fürs Personal zu forcieren, scheint mir doch reichlich absurd.

    Ist es nicht auch die neoliberale Politik einer Angela Merkel, die seit sehr langer Zeit mit dafür gesorgt hat, dass Krankenhäuser in immer krasserem Maße zu Profit-Maschinen geworden sind, in denen es nicht zuoberst darum geht, Menschen zu heilen, sondern vor allem darum, das große Geld zu machen? Die Folgen sind den meisten Leuten bekannt: Am Personal wurde überall heftig gekürzt, der zeitliche Druck für das Krankenhauspersonal stieg ständig, und das alles bei sehr schlechter Bezahlung. Die Bedingungen in deutschen Krankenhäusern waren schon vor Corona für die MitarbeiterInnen eine Zumutung und Angela Merkel schien damit bislang auch nie ein Problem zu haben.

    Hat Angela Merkel in ihrer schwülstigen Rede eigentlich irgendetwas zu den eigentlich wichtigen Themen gesagt? Hat sie etwas dazu gesagt, ob die KollegInnen in den Kliniken jetzt genügend Schutzkleidung bekommen? Bekommen die KrankenpflegerInnnen jetzt etwa mehr Gehalt? Muss man negative Tests nicht mehr selber bezahlen? Gibt es staatliche Hilfsangebote für Obdachlose? Oder hat Angela Merkel sich zumindest für ihre desaströse Gesundheitspolitik entschuldigt? Wenn es jetzt schon reicht, dass die Kanzlerin im Stile einer guten Sozialpädagogin mit ruhiger Stimme ein paar wohltuende Worte zu ihrem Volk spricht, dann sollten sich vor allem selbsternannte Linke fragen, ob sie sich nicht völlig verrannt haben.

    Corona trifft die Ärmsten stärker

    Nun konnte man vielerorts lesen, dass Corona ja „uns alle“ treffen würde. Nichts ist falscher als so eine Einschätzung. Es ist nicht das gleiche, ob ein Wohlhabender mit hunderttausend Euro Rücklagen ein paar Wochen ungeplanten Sonderurlaub erhält, die er mit Selbstfindung oder im Whirlpool verbringt, oder ob eine alleinerziehende Mutter jetzt nur noch 60% ihres ursprünglichen Gehalts bekommt und zeitgleich noch ihre Studienschulden bezahlen muss. Es ist nicht das gleiche, wenn jemand in einer großen Privatvilla ein paar Wochen in Quarantäne verbringt oder wenn eine Familie in einem sozialen Brennpunkt mit mehreren Kindern nun die Zeit in einer engen Wohnung fristen muss. Psychische und soziale Konflikte lassen sich hier kaum abfedern, und aus China wurde vermeldet, dass die Quote häuslicher Gewalt, also von Männern, die ihre Frauen schlagen und umgekehrt, bei Isolierten um 300% gestiegen sein soll.

    Für viele Kinder gibt es keine Möglichkeit, den gewalttätigen Eltern oder der Belastung durch die Gewalt, die ihre Eltern sich gegenseitig antun, zu entkommen. Der Kontakt zu den üblichen AnsprechpartnerInnen wie SozialarbeiterInnnen, VertrauenslehrerInnen oder FreundInnen ist stark eingeschränkt.

    Übrigens ist die neoliberale Kahlschlagspolitik, die in den letzten Jahrzehnten vor allem Südeuropa hart traf, auch eine direkte Ursache für den katastrophalen Zustand des italienischen Gesundheitssystems. Deutschland und auch Angela Merkel haben maßgeblich dazu beigetragen, dass uns nun von dort solch fürchterliche Bilder erreichen. Es ist übrigens auch nicht Deutschland, sondern das kleine Kuba, das Italien nun in Zeiten der Not hilft.

    Autoritäre Träume

    Corona bringt eine weitere gefährliche Komponente mit sich, die nicht im Virus selbst liegt, sondern in seiner Instrumentalisierung.

    Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde derart stark in Grundrechte eingegriffen. Dennoch nimmt man – bis ins linke Milieu hinein – derzeit eine völlig bedingungslose Gefolgschaft und Unterwerfung wie auch Zustimmung wahr zu allem, was die Bundesregierung jetzt sagt und tut. Jeglicher Kritik oder Infragestellung von Geplantem oder Gemachtem wird zunehmend mit großer Aggression begegnet.

    In so einer Stimmung ist es natürlich ein leichtes, Bürgerrechte zu schleifen, Überwachungsmaßnahmen zu forcieren, eventuell sogar Pressefreiheit – unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Fake-News (denen man argumentativ begegnen muss) – einzuschränken. Man würde gern eine Wette eingehen, dass von diesen Einschränkungen auch über die Pandemie hinaus einiges bleiben wird. Die Herrschenden nutzen jede Krise schamlos aus. Man erinnere sich bitte an die Anschläge vom 11. September 2001, als hernach die Herrschenden viele autoritäre Träume, die sie schon immer in der Tasche hatten, umsetzten.

    Die Kritiker der Kritik würde ich gerne fragen: Wo kommt eigentlich euer blindes Vertrauen in eine Regierung her, die seit Ewigkeiten durch Sparmaßnahmen und Kürzungsorgien, Privatisierung und Profitorientierung verantwortlich ist für den Zustand des deutschen Gesundheitssystems? Ist das massenpsychologische Bedürfnis nach einer guten Führung, die die Sache regelt, etwa so groß, dass man sich gerne in Merkels warmen Worten sonnt und alles abwehren muss, was dieses Bedürfnis stört?

    Dem Bundestagsabgeordneten Niema Movassat ist nur zuzustimmen, wenn er sagt: „Mehr als zwei Personen sollen sich nicht mehr ansammeln dürfen. Man darf aber weiter mit 200 anderen in einer Werkshalle arbeiten. Aber mit den Nachbarn fünf Minuten unterhalten ist verboten. Dieses Kontaktverbot ist nicht verhältnismäßig. Es ist absurd.“ Manchmal hat man dieser Tage den Eindruck, das neue Grundgesetz ist jetzt das Infektionsschutzgesetz.

    Solidarische Gegenwehr

    In solchen Zeiten ist es schön zu sehen, dass die einfachen Menschen, also wir, oft so gar nicht dem Bild des nur auf sich selbst bedachten Egoisten entsprechen. Auch wenn in den großen Medien das Bild des „andere rücksichtslos anhustenden, hamsternden Egomanen“ gepflegt wird, gibt es vielerorts selbstorganisierte Solidarität. Jüngere Menschen kaufen für ältere Personen ein, unterstützen und beraten sich in alltäglichen Problemlagen gegenseitig, geben sich Tipps und Ratschläge. In meiner Nachbarschaft hat sich jüngst ein Kollektiv gebildet: Wir beraten darüber, wie der Umzug des Nachbarn trotz Coronakrise zu bewerkstelligen ist, eine Anwältin gibt kostenlosen Rat zum Thema Kurzarbeit und ein Therapeut hat angeboten, telefonisch für Krisengespräche zur Verfügung zu stehen.

    Die Journalistin Laura Meschede hat neulich erst darauf hingewiesen: “Eine der gefährlichsten Ideologien unserer Zeit ist „die von den “dummen” und den “bösen Menschen”. Diese Ideologie zeigt sich überall. (…) Aktuell sehe ich jeden Tag bei Facebook und Twitter siebenhundert Nachrichten von Leuten, die sich über ihre Mitmenschen empören. Weil diese weiter rausgehen, ihnen alle anderen egal seien, sie permanent Corona-Partys feiern würden. (…) Hängen bleibt: Die Menschen sind verantwortungslos und ignorant, der gute Staat muss sie zwingen, das Richtige zu tun. (…)”

    Auch gegen diese Ideologie gilt es anzukämpfen. Einmal dadurch, dass wir es praktisch anders machen, zum Beispiel mit konkreter Solidarität. Und wir müssen deutlich machen: Zwischen einer Angela Merkel, die auch diese Krise wieder im Sinne der Banken und Konzerne bewältigen wird, und „uns“ gibt es kein „Wir“. Da kann sie noch so ruhig und besonnen daher quatschen.

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