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Freitag, März 29, 2024
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    Wirtschaftskrise: Für die ArbeiterInnen ist “Stay the Fuck Home” keine gute Idee

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    Die Wirtschaftskrise hat, befeuert durch Corona-Epidemie und Ölpreiskrieg, zum Börsencrash geführt. Kapital und Staaten bereiten weltweit drastische Krisenprogramme auf Kosten der ArbeiterInnen vor. Teile der politischen Linken in Deutschland unterwerfen sich derweil dem staatlichen Ausnahmezustand. – Ein Kommentar von Thomas Stark

    Der Börsencrash in den vergangenen beiden Wochen dürfte eigentlich niemanden mehr überrascht haben: Schließlich ist er spätestens seit Anfang 2018 in Dutzenden Artikeln, Interviews, YouTube-Videos und Büchern – teilweise in reißerischer Form – vorhergesagt worden. Die weltweite Überproduktionskrise, die seine Grundlage bildet, entwickelt sich zudem seit mehr als einem Jahr.

    Woher kommt die Wirtschaftskrise?

    Dass nun ausgerechnet mitten in dieser Überproduktionskrise auf dem Fischmarkt von Wuhan ein neuartiger Virus vom Tier auf den Menschen überspringt und eine weltweite Pandemie auslöst, ist sicherlich eine Überraschung. Sie ist aber auch nicht mehr als eine typische Zufälligkeit, wie sie in jedem Krisenzyklus des Kapitalismus der notwendigen Kapitalvernichtung zur Durchsetzung verhilft und sie verstärkt.

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    Die schweren Kursverluste an den weltweiten Börsen in der letzten Woche wurden jedoch nicht nur durch das Corona-Virus befeuert, sondern ebenso sehr durch den Ölpreiskrieg zwischen Saudi-Arabien und Russland, der eine Kreditblase im US-amerikanischen Energiesektor zum Platzen bringen könnte.

    Wer zahlt für die Krise?

    Das Ergebnis dieser Entwicklung ist dasselbe wie in jeder Krise, nur in einer neuen Dimension: Weltweit beschließen die Regierungen Krisenbewältigungsprogramme von historischem Ausmaß. In Deutschland stellt die Regierung 500 Milliarden Euro bereit und kündigt, falls es hart auf hart kommt, „unbegrenzte Kredite“ für Unternehmen an. Steuererleichterungen und Kurzarbeit sind schon seit letzter Woche beschlossen. Die EZB öffnet die Kreditschleusen für die Banken und weitet ihr Anleihenkaufprogramm aus.

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    Für Arbeiterinnen und Arbeiter bedeutet das, dass sie für die Krise zur Kasse gebeten werden, denn:

    • Erstens wird SPD-Finanzminister Scholz das Geld, das er den Unternehmen in „unbegrenzter Höhe“ verspricht, aus dem Lohn der ArbeiterInnenklasse entnehmen, nämlich in Form von Steuern.
    • Zweitens werden die Arbeitslöhne durch Kurzarbeit nach unten gedrückt.
    • Drittens wird die nächste Geldschwemme durch die Notenbanken zu Inflation und damit zu Preissteigerungen im Alltag führen. Je nach Dauer der Krise können diese drastisch ausfallen.
    • Viertens wird es, entgegen aller jetzigen Beteuerungen, zum Abbau von Arbeitsplätzen kommen.
    • Fünftens zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Corona-Epidemie zum Anlass genommen wird, die Digitalisierung der Arbeitswelt im Hauruck-Verfahren durchzusetzen: Unternehmen stellen jetzt aufs Homeoffice um, Schulen und Universitäten auf Online-Unterricht.

    Nach Corona wird es kein einfaches Zurück zum vorherigen Status quo geben. Im Kapitalismus dient die Einführung technischer Neuerungen aber stets dazu, mehr Profit aus jeder Stunde Arbeit herauszuholen und die Kontrolle über den Arbeitsprozess zu verschärfen. Mobiles Arbeiten kann im Zweifel z.B. die Entgrenzung der Arbeitszeit und die permanente Erreichbarkeit als neuen Standard bedeuten.

    • Sechstens wird die Verbindung aus Digitalisierung und hohen Kosten für die Unternehmensrettung über kurz oder lang die Frage nach „Strukturreformen“ – sprich: einer neuen Agenda 2010 – aufwerfen: Schließlich wollen Arbeitszeiten, Arbeitsschutz, Arbeitslosenversicherung, Rente und vieles mehr an die neue digitale, flexible Arbeitswelt angepasst werden.

    Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Unabhängig davon, ob der Corona-Ausnahmezustand vier Wochen anhält oder sechs Monate, unabhängig davon, ob der Euro in der nächsten Krisenwelle erneut gerettet wird oder es zur Währungsreform kommt: Kapital und Staat werden in den nächsten Monaten schwere Angriffe auf die Lebenslage von ArbeiterInnen unternehmen, die eine organisierte Gegenwehr erforderlich machen.

    Wer organisiert die Gegenwehr?

    Womit wir nun bei der politischen Widerstandsbewegung in Deutschland wären: Hier droht sich leider ein größeres politisches Desaster zu entwickeln. Während in den Jahren 2008/2009 immerhin noch zahlreiche Organisationen bundesweit gemeinsame Demonstrationen unter dem Slogan „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ organisiert haben, geht der Trend gerade genau in die entgegengesetzte Richtung.

    Viele politische Organisationen haben die Solidarität mit Corona-Risikogruppen in den letzten Tagen damit verwechselt, sich dem staatlichen Ausnahmezustand freiwillig zu unterwerfen. Dieser folgt aber letztlich nur der kalten Logik, Menschenversammlungen zu unterbinden, die nicht dem Zweck der Kapitalverwertung und der Realisierung von Profiten dienen. Für eine ArbeiterInnenklasse, die gerade vor einer Welle von Angriffen auf ihre Rechte steht, ist „Stay the fuck home“ hingegen keine gute Idee – Corona hin, Corona her: Nach dieser Logik hätte es 1918/19, mitten in der weltweiten Spanische-Grippe-Welle mit vielen Millionen Toten, auch keine Novemberrevolution geben dürfen.

    Dass reihenweise Initiativen ihre Proteste in der letzten Woche freiwillig abgesagt haben, hat es mit ermöglicht, dass das Versammlungsrecht in vielen deutschen Städten in kürzester Zeit geschliffen werden konnte – während sich z.B. die Gelbwesten die Straßen von Paris nicht haben nehmen lassen. Jetzt wird es darauf ankommen, dass sich der politische Widerstand in Deutschland nicht weiter desorganisieren lässt, sondern die zahlreichen Ansätze und Ideen für eine Arbeit in der Bevölkerung in dieser Lage aufnimmt und in die Tat umsetzt.

    Trotz Corona und Krise: Die richtigen Fragen stellen!

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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