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    Die schlimmste Wirtschaftskrise aller Zeiten? Teil 2

    Die Arbeitslosigkeit in den USA und anderen Ländern schießt schon jetzt in enorme Höhen. Die Bundesregierung erlaubt Insolvenzverschleppung. Billionenpakete der Staaten schüren die Angst vor einer Inflation. Was macht diese Krise so heftig, und was wird uns in den nächsten Monaten erwarten? – Ein Hintergrundbericht und Ausblick von Thomas Stark.

    Teil 2: Die Auswirkungen der Krise: Arbeitslosigkeit, Inflation, Gewinner und Verlierer

    Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Überproduktionskrise unter den Bedingungen einer noch nie dagewesenen globalen Verschuldung. Seit einigen Jahren werden zudem die weltweiten Produktionsketten der Industrie tendenziell entflochten und regional zusammengezogen, was von einer Verschärfung des Kampfes um Wirtschaftsräume zwischen den großen kapitalistischen Staaten begleitet ist. Die Corona-Pandemie platzt nun in diese Gemengelage, führt zu einer massiven Verschärfung der Krise und beschleunigt die Kapitalvernichtung und Neuordnung des Weltkapitalismus. Wir wollen nun betrachten, wie sich die Krise auf die ArbeiterInnen auswirkt, und wie sich KapitalistInnen auf Kosten der ArbeiterInnen bereichern.

    Rekordanstieg der Arbeitslosigkeit

    Der Corona-Shutdown hat in zahlreichen Staaten bereits jetzt zu einem historischen Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. In den USA haben in den letzten zwei Wochen 10 Millionen Menschen Arbeitslosenhilfe beantragt. Die Tendenz geht weiter deutlich nach oben: Pessimistische Schätzungen gehen von einer Steigerung der amerikanischen Arbeitslosenquote auf bis zu 30 Prozent aus. In Österreich ist die offizielle Zahl der Arbeitslosen durch den Shutdown um über 50 Prozent auf gut 562.000 angestiegen. Spanien bringt es auf 900.000 Jobverluste.

    Für Deutschland rechnet das Institut für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, bei einem sechswöchigen Shutdown mit einem Anstieg der offiziellen Arbeitslosenzahl von 2,28 auf 2,47 Millionen (also ca. 190.000) und einem erneuten Absinken dieser Zahl bis zum Jahresende. Diese – eher vorsichtige – Schätzung beinhaltet aber bereits, dass in der Spitze etwa 2 Millionen ArbeiterInnen in Kurzarbeit geschickt werden. Hält der Shutdown zehn Wochen an, gehen die Forscher der Arbeitsagentur von einer Steigerung der Arbeitslosenzahl auf über 3 Millionen aus. Das Münchener Ifo-Institut hält sogar Szenarien für möglich, bei denen in Deutschland 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs in der Krise abgebaut werden und mehr als 6 Millionen ArbeiterInnen in Kurzarbeit müssen.

    Zeitversetzter Job-Kahlschlag?

    Das Muster des Job-Kahlschlags ist dabei immer weitgehend ähnlich: Als erstes trifft es die ArbeiterInnen in unsicheren Jobs wie LeiharbeiterInnen, befristet Beschäftigte oder MinijobberInnen. Über die Hälfte der neuen Arbeitslosen in Spanien waren vorher ZeitarbeiterInnen. Für Deutschland liegen noch keine entsprechenden Zahlen vor, sodass man nur erahnen kann, wie viele ZeitarbeiterInnen, aber auch KellnerInnen, Köche, Reinigungskräfte, jobbende Studierende und viele andere schon auf die Straße gesetzt worden sind. Bekannt ist bis jetzt nur, dass 470.000 Betriebe Kurzarbeit angezeigt haben.

    Doch das dürfte nur der Anfang sein: Gerade für viele kleine und mittlere Unternehmen ist das wirtschaftliche Überleben jetzt nur noch eine Frage von Wochen oder Tagen. Die Pleitewelle, die ganz sicher kommt, wird zunächst aber noch kaschiert: nämlich zum einen durch staatliche Kredite. Zum anderen hat die Bundesregierung die Pflicht für Firmen, im Falle der Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anzumelden, für die nächsten Monate ausgesetzt. Das bedeutet zum Beispiel, dass Unternehmen jetzt Staatskredite beantragen können, um ihre Einnahmen während des Shutdowns zu sichern, und dann erst in einigen Monaten in die Insolvenz zu gehen.

    Es ist also zu erwarten, dass sich die Pleitewelle durch die staatlichen Maßnahmen erst zeitversetzt und in Schüben durch die Unternehmen, und von dort zu Gläubigerbanken zieht. Für die Beschäftigten heißt das, dass sich die Angriffe auf die Jobs ebenfalls zeitversetzt und in Schüben durch die Branchen ziehen werden – und damit zunächst etwa von den „prekär“ Beschäftigten hin zu den qualifizierten ArbeiterInnen in Vollzeitjobs. Wer sich heute also z.B. als Bankangestellte/r im Homeoffice bei vollem Lohn noch recht sicher fühlt, könnte in einigen Monaten selbst von Arbeitslosigkeit betroffen sein.

    Die ArbeiterInnen zahlen doppelt für Unternehmenspleiten

    Für KapitalistInnen ist das obige Szenario übrigens ein gutes Geschäft: Denn es ist zu erwarten, dass der Staat im Rahmen von Insolvenzverfahren auf einen Teil seiner Kredite verzichten wird – wovon mutmaßlich vor allem die Eigentümer großer Kapitalien profitieren werden: Die Firmeneinnahmen wären dann während des Shutdowns weitergelaufen und würden am Ende doppelt durch die ArbeiterInnen bezahlt: Erstens in Form von Jobverlusten, wenn die Unternehmen in der zeitversetzten Insolvenzwelle saniert oder abgewickelt werden müssten. Zweitens über den Staatshaushalt, denn dieser speist sich in Form von Steuern größtenteils aus dem Lohn der ArbeiterInnen. – Die staatlichen Bankenrettungen während der letzten großen Krise 2008/2009 bieten reichlich Anschauungsmaterial für die Verstaatlichung von Schulden.

    Die Bundesregierung hat bis jetzt die Bereitstellung einer Summe von 1,2 Billionen Euro beschlossen, um die Wirtschaft in der Krise zu stabilisieren. Dazu gehören ein Nachtragshaushalt mit einer Rekordneuverschuldung des Bundes in Höhe von 156 Milliarden Euro und die Schaffung des Rettungsfonds für Unternehmen mit einem Volumen von 600 Milliarden Euro. Der Ökonom Ashoka Mody von der Princeton University hält es sogar für möglich, dass diese Summe noch einmal verdoppelt werden muss.

    Am Ende wird aber jemand die Rechnung für solche staatlichen Pakete bezahlen müssen: In bisherigen Krisen war ein gängiges Verfahren hierfür z.B. die Erhöhung von Massensteuern, etwa der Mehrwertsteuer oder der Steuern auf bestimmte Konsumgüter (Tabak, Benzin o.ä.), welche die ArbeiterInnen beim Einkaufen bezahlen müssen.

    Geldentwertung

    Bei solchen Steuererhöhungen allein wird es jedoch nicht bleiben. Parallel zu den staatlichen Maßnahmen steigen jetzt auch die Notenbanken direkt in die Krisenrettung ein: Die Europäische Zentralbank (EZB) etwa stabilisiert den Markt für Unternehmenskredite, indem sie selbst Anleihen von Firmen aufkauft – direkt am 3.4.2020, dem ersten Tag, in einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro.

    Die zunehmende direkte Finanzierung von Staaten und Unternehmen durch die Notenbanken befeuert Warnungen vor einer erheblichen Entwertung des Geldes. So erinnert der ehemalige Bundesbank-Chefvolkswirt Thomas Mayer in einem Beitrag für die Wirtschaftswoche an die Hyperinflation 1923 infolge des „Ruhrkampfes“: Im Januar 1923 hatten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzt, um das Deutsche Reich zur Zahlung von Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg zu zwingen:

    „Die Weimarer Regierung reagierte darauf mit einem Aufruf zum passiven Widerstand. Es kam zum Generalstreik und Stilllegung der Produktion. Steuereinnahmen fielen weg und der Staat übernahm die Lohnfortzahlung für rund zwei Millionen Ruhrarbeiter. Da er keine andere Möglichkeit hatte, finanzierte er sein Budgetdefizit durch Kredite von der Reichsbank. Die Inflation war schon 1922 sehr hoch, aber mit dem ‚Ruhrkampf‘ stieg sie in die Stratosphäre.“

    Die Parallele zu heute liege laut Mayer in der weitgehenden Unterbrechung der wirtschaftlichen Aktivität in Kombination mit staatlicher Geldflutung. Solange der Shutdown anhielt, sei alles noch im Rahmen geblieben. Als aber die Unterbrechung vorüber war, habe der umlaufenden Geldmenge wegen der stillgelegten Produktion keine entsprechende Menge von Waren gegenübergestanden. Die Folge: Die Inflation explodierte, Arbeiterlöhne waren innerhalb von Stunden nichts mehr wert, ein Brot kostete zeitweise 100 Milliarden Reichsmark.

    Ob ausgerechnet dieses Extrem-Szenario auch für heute realistisch ist, sei einmal dahingestellt – hier spielt nämlich noch mit hinein, wie sich die Widersprüche zwischen den Staaten der Eurozone weiterentwickeln. Eine große Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von ArbeiterInnen zu KapitalistInnen über den Weg der Geldentwertung wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit stattfinden.

    Was der Ex-Bundesbanker in seiner historischen Analogie übrigens nicht erwähnt, ist der eigentliche Grund für die massive Inflation 1923: Damals hatten deutsche Kapitalkreise die Stützung der Mark und damit den „passiven Widerstand“ gegen die Ruhrbesetzung nämlich selbst hintertrieben – und zwar um kurzfristig ein Riesen-Geschäft zu machen: Sie konnten im Zuge des „Ruhrkampfes“ nämlich billige Staatskredite aufnehmen, diese in ausländische Finanzprodukte investieren und – nach dem Verfall der Mark – die Kredite zu einem Bruchteil des ursprünglichen Wertes zurückzahlen.1

    Wer macht den Riesengewinn?

    Die genannten Beispiele machen deutlich, dass es gerade in extremen wirtschaftlichen Krisen auch immer extreme Profiteure gibt, und zwar dort, wo die wirtschaftliche Macht ohnehin schon konzentriert ist: In einem interessanten Beitrag für Telepolis weist der Aalener Volkswirtschaftsprofessor Christian Kreiß auf den Börsencrash von 1907 hin: Diesen hatte der Bankenmonopolist J.P. Morgan quasi im Alleingang durch eine Reihe ausgefuchster Kreditgeschäfte ausgelöst, um – nach einer zweimonatigen Panik – selbst als spendabler Retter der Märkte aufzutreten. In der Zwischenzeit hatte er jede Menge an Konkurrenten in den Ruin getrieben und in großen Mengen billige Aktien aufgekauft – was ihm einen erheblichen Machtzuwachs brachte.

    Professor Kreiß wirft die Frage auf, ob die Art und Weise der heutigen Pandemie-Bekämpfung – nämlich  die teilweise Stilllegung von Europa und Amerika – nicht auch einem unmittelbaren Geschäftszweck für finanzkapitalistische Kreise diene und durch entsprechende Stimmungsmache in den Medien politisch vorbereitet worden sei. Diese – durchaus berechtigte – Frage wird man erst mit einigem Zeitabstand sicher beantworten können, nämlich wenn klar ist, wie gefährlich das Virus denn nun tatsächlich ist, welche Mediziner mit ihren Handlungsempfehlungen richtig lagen und wer in diesen Wochen und Monaten das große Geschäft gemacht hat.

    Bislang zeichnen sich Amazon und Microsoft als die großen Gewinner des Corona-Shutdowns ab. Die Bank Morgan Stanley sieht ebenso Alphabet (Google) und Facebook – trotz zeitweilig einbrechender Werbeeinnahmen – auf dem Vormarsch. Andere Firmen im E-Commerce wie der deutsche Versandhändler Zalando konnten dagegen bislang nicht profitieren. Die Neuordnung der Machtverhältnisse unter den großen Kapitalisten wird aber erst dann richtig klar werden, wenn die Übernahmeschlachten infolge weltweiter Firmenpleiten tatsächlich stattgefunden haben.

    Der weltweite Kapitalismus befindet sich in der Corona-Pandemie also mitten in einem grundlegenden Einschnitt. Die Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und Staaten werden sich in kürzester Zeit neu ordnen. Das wird für die ArbeiterInnen nichts Gutes bedeuten, wenn sie nicht auf entschlossene Gegenwehr vorbereitet sind.

    In einem dritten Teil dieses Artikels wollen wir uns deshalb in der nächsten Woche anschauen, wie sich die Krise auf die Konflikte zwischen den Staaten auswirkt. Ist die NATO auf dem absteigenden Ast, während Russland und China von der Krise profitieren können? Wohin steuert Europa? Und: Wie „deglobalisiert“ wird der Kapitalismus nach der Krise denn nun sein?

    1 Dieses ‘Ganovenstück’ wurde damals in der Wirtschaftszeitschrift der Kommunistischen Internationale ausgiebig analysiert: vgl. E. Varga, „Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im zweiten Vierteljahr 1923“, S. 11

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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