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Samstag, April 20, 2024
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    So bereitet uns Deutschlands führender Ökonom darauf vor, dass wir ArbeiterInnen die Krise bezahlen

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    „Auch wenn es heute noch kein Politiker zu sagen wagt: Diese Krise wird für alle Deutschen sehr teuer“, heißt es im neuen Kommentar des ehemaligen Wirtschaftsweisen Bert Rürup im Handelsblatt. Er spricht aus, was wir bald zu erwarten haben: Kürzungen bei Bildung und Sozialem bei gleichzeitiger Steuererhöhung. Er entwickelt die politische Linie des Kapitals – wie sieht unsere aus? – Ein Kommentar von Tim Losowski

    Laut einer Umfrage der Financial Times gilt Rürup neben (und vor) Hans-Werner Sinn als einer der beiden deutschen Wirtschaftswissenschaftler mit nennenswertem Einfluss auf die Politik.

    Was er sagt hat also Gewicht, weshalb es sich lohnt genau hinzuhören, was er kürzlich in der Kapitalistenzeitung Handelsblatt veröffentlichte.

    Mit wenigen Zeilen macht Rürup hier vieles klar, was sonst selten so gesagt wird:

    1. Wir ArbeiterInnen sollen die Krise bezahlen

    „Sobald die deutsche Wirtschaft wieder Tritt gefasst hat und zurück auf einem Wachstumspfad ist, wird es sicher zu Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen kommen.“ Die Zeit der sich aus einem hohen und stabilen Wirtschaftswachstum „scheinbar von selbst finanzierenden Wahlgeschenke“ werde dann „auf eine längere Frist vorbei sein“, erklärt uns der ehemalige Wirtschaftsweise.

    Die Krise, und vor allem die über 1.000.000.000 Euro an Konzerngeschenken, wird also von uns bezahlt werden müssen und zwar durch „Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Im Klartext heißt das: Erhöhung der Mehrwertsteuer und Einführung neuer Steuern, Kürzungen im Bildungssystem und in den Sozialkassen, bei den Jugendzentren und Schwimmbädern.

    Was Rürup nicht sagt: Wenn er von „allen Deutschen“ spricht, welche die Krise bezahlen müssten, fallen die wahren Verursacher der Krise weg: die Großkonzerne, die von diesem Wirtschaftssystem profitieren. Sie werden die Milliarden für Lufthansa, die Kaufprämien für VW, die Lohnsubventionen durch Kurzarbeit nicht zurückzahlen müssen, weil das ja dann den „Wachstumspfad“ unterbrechen könnte. Zahlen tun also die Arbeiterinnen und Arbeiter.

    2. Wer regiert ist egal

    Rürup spricht es klar aus: Wer in Zukunft regiere, sei egal. Je nach Konstellation der nächsten Bundesregierung dürften „lediglich die Schwerpunkte der zwingend gebotenen Konsolidierung ein Stück weit variieren“, so das SPD-Mitglied.

    Welch’ Offenheit! Eigentlich sollen wir ja durch Wahlen bestimmen können, wie die gesellschaftliche Realität in diesem Land in Zukunft aussehen soll. Doch die jetzigen Ausgaben der großen Koalition sind bereits so gigantisch, dass damit jegliche soziale Politik für die nächsten Jahre, ja vielleicht Jahrzehnten zunichte gemacht wird. Lediglich „Schwerpunkte“ könne die Politik nun setzen.

    Tatsächlich werden die Möglichkeiten von Regierungen in einem globalen kapitalistischen System immer kleiner, denn der internationale Konkurrenzkampf steht im Vordergrund. Letztlich wird die deutsche Politik in den nächsten Jahren davon bestimmt werden, die eigenen Konzerne im Kampf mit den chinesischen und amerikanischen Unternehmen wieder ganz vorne zu platzieren – und die eigene Vormachtstellung in Europa auszubauen.

    Wer regiert, ändert dabei wenig. Für uns heißt das aber als Schlussfolgerung: Dann können wir aber auch gleich aufhören, auf die PoltikerInnen zu vertrauen und stattdessen beginnen, auf die eigene Kraft zu bauen.

    3. In der kommenden Zeit werden verschiedene Teile der ArbeiterInnenklasse gegeneinander ausgespielt werden

    Neben den obigen, allgemeinen Aussagen hat sich Rürup vor allem eine Gruppe von Menschen vorgenommen, die in Zukunft leiden sollen, die ebenfalls selbst früher vor allem ArbeiterInnen waren – die RenterInnen.

    So werde der von ihm vorgeschlagene Kürzungskurs auch die jetzigen und zukünftigen Rentner treffen, „die von der amtierenden und vorherigen Großen Koalition mit klientelspezifischen Wohltaten beglückt“ worden seien.

    Rürup ist sich nicht zu schade, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen, z.B. die Älteren gegen die Jugend: „Wenn ein immer größerer Anteil des Steueraufkommens für die Rente reserviert ist und gleichzeitig die Corona-Schulden zurückgeführt werden sollen, bleibt nur noch ein geringer Anteil des Budgets für Zukunftsaufgaben übrig. Investitionen in Digitalisierung, Umweltschutz und Zukunftstechnologien werden zurückstehen müssen – eine fatale Entwicklung!“

    Wenn die Rente nicht sinkt, werden die Zukunft und die Jugend leiden? – Solche Märchen werden hier von einem der führenden „Wirtschaftswissenschaftler“ im Bereich Ökonomie vorbereitet.

    Das Ziel ist durchsichtig: Der Verteilungskampf soll zwischen verschiedenen Teilen der ArbeiterInnenklasse stattfinden: Zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen, zwischen Deutschen und MigrantInnen – oder eben wie bei Rürup zwischen Jungen und Alten.

    Lassen wir uns nicht spalten!

    Solche „Klartext“-Beiträge sollten uns klarmachen: die Corona- und Wirtschaftskrise wird noch weit mehr auf unserem Rücken ausgetragen werden – wenn wir uns nicht wehren.

    Es gilt, die Spaltungspolitik von Rürup und den PolitikerInnen und Lobbyvereinen, die seiner Meinung sind und sein werden, zurückzuweisen. Es gilt, sich nicht gegeneinander ausspielen zulassen.

    Höhere Löhne und gute Arbeitslosenversicherung sind gleichzeitig möglich! Eine Zukunft für die Jugend und steigende Renten auch. Doch dafür muss das Kapital die Krise bezahlen.

    Rürups Kommentar erschien am Morgen des 1.Mai im Hausblatt des Kapitals – es war sein Ausrichtungsvorschlag für die Politik seiner Klasse. Nun ist es an der Zeit, auch die Politik unserer Klasse zu entwickeln. Und die heißt: Corona- und Wirtschaftskrise? Nicht auf unserem Rücken! Wir lassen uns nicht spalten, das Kapital soll die Krise bezahlen!

    • Perspektive-Autor und -Redakteur seit 2017. Schwerpunkte sind Geostrategie, Rechter Terror und Mieter:innenkämpfe. Motto: "Einzeln und Frei wie ein Baum und gleichzeitig Geschwisterlich wie ein Wald."

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