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Dienstag, März 19, 2024
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    Massenmenschenhaltung in der Massentierschlachtung

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    Über die Rolle der Fleischproduktion bei Tönnies für den regionalen Corona-Ausbruch in NRW: Das System Tönnies und seine unmenschlichen Arbeitsbedingungen müssen nicht nur angeprangert, sondern überwunden werden. – Ein Kommentar von Paul Gerber.

    Das Corona-Virus und die mit ihm verknüpfte Wirtschaftskrise haben es in den letzten Wochen immer und immer wieder geschafft, wenigstens kurz die Situation der ärmsten und rechtlosesten Menschen in Deutschland ins Rampenlicht zu rücken: Kleinere Rebellionen in Gefängnissen, Proteste in Flüchtlingslagern, Demonstrationen von um den Lohn betrogenen ErntehelferInnen und nun eben die ArbeiterInnen in der Fleischindustrie.

    Bei einem der größten Schweinefleischhersteller der Welt, Tönnies, sind mehr als 1.500 der 7.000 Beschäftigten am Standort Rheda-Wiedenbrück positiv auf Corona getestet worden. Ministerpräsident Laschet bemühte sich noch vor einigen Tagen, einer kritischen Nachfrage zu den seiner Landesregierung beschlossenen Lockerungen entgegen zu halten: “Das sagt darüber überhaupt nichts aus. Weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren.”

    Berechtigterweise hat diese Äußerung viel Kritik hervorgerufen. Rumänische und bulgarische ArbeiterInnen als Sündenböcke für einen neuen Corona-Ausbruch? So absurd die Idee ist – vor allem weil die ArbeiterInnen seit Monaten, teilweise seit Jahren in Deutschland leben -, Rassismus in Worten hat wie so oft Taten zur Folge: So kam es prompt auch am Montag zu einer Brandstiftung an zwei Autos rumänischer ArbeiterInnen.

    Man muss – so unbefriedigend das ist – dem Unsympathen Laschet von der CDU zugestehen, dass er im zweiten Teil seines Statements den Kern der Sache angesprochen hat: Die Unterbringung der ArbeiterInnen und ihre Arbeitsbedingungen in den Fleischbetrieben.

    Es ist die Familie Tönnies selbst, die in ihren Statements immer wieder unfreiwillig darlegt, wie menschenunwürdig die Arbeits- und Lebensbedingungen der eigenen Beschäftigten sind. Einer der Tönnies-Eigentümer, Robert Tönnies, der sich eine Art Rosenkrieg mit dem Geschäftsführer und seinem Onkel Clemens Tönnies liefert, nutzte den Corona-Ausbruch beispielsweise als Gelegenheit, noch einmal in die Offensive zu gehen und die Ablösung seines Onkels als Geschäftsführer zu fordern.

    So wirft der Neffe dem Onkel in einem Brief vor, die schon für 2017 zugesagte Abschaffung der Werkverträge nicht eingehalten zu haben: “Dass gerade in Schlachtbetrieben die Infektionszahlen weit überdurchschnittlich hoch sind, ist ganz sicher auch dem System der Werkverträge geschuldet; es zwingt viele Arbeiterinnen und Arbeiter in unzumutbare Wohnverhältnisse, die mit einem hohen Ansteckungsrisiko verbunden sind und nur wenig Schutzmöglichkeiten bieten, wenn einmal eine Infektion auftritt.”

    Dass Robert Tönnies das Elend seiner Beschäftigten genauso unerträglich findet wie der fiese Wurstkönig Mauler aus Bertolt Brechts Theaterstück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ – nämlich nur zum Schein und nur aus taktischen Gründen – ändert nichts an der Richtigkeit der Aussagen.

    Unter dem Druck der Öffentlichkeit wiederholt der Konzern Tönnies nun sein Versprechen, Werkverträge abzuschaffen und die ArbeiterInnen direkt zu beschäftigen. Außerdem will das Unternehmen nach eigenen Angaben ausreichenden und angemessenen Wohnraum für die ArbeiterInnen der Unternehmensgruppe an den Standorten schaffen, wie der Spiegel berichtet.

    Auch hier wieder das Eingeständnis, dass der Wohnraum bisher eben nicht ausreichend und angemessen ist. Nach Aussagen der Beschäftigten teilen sich bisher mindestens 3 bis 7 Personen ein Zimmer.

    Tönnies ist dabei kein Einzelfall, sondern die Zustände, die in diesem Betrieb herrschen, stehen repräsentativ für die ganze Branche. Es gilt nun nicht dabei stehen zu bleiben, sich bitterlich über die Lebens- und Sterbensbedingungen der Schweine in diesem Betrieb zu beklagen, sondern anzuerkennen, dass dort seit Jahren unsere Mitmenschen wie Tiere behandelt werden.

    Passend dazu: Unter dem Titel „Schweinesystem“ ist zu diesem Thema ein Buch beim Verlag “Die Buchmacherei” erschienen. Es wurde am 18.6. in Rheda-Wiedenbrück vorgestellt.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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