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Freitag, März 29, 2024
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    Proteste in Serbien: “Die wirtschaftliche und politische Krise verschärft sich und man sollte mit neuen Versuchen rechnen”

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    Ab dem 7. Juli erlebte Serbien für mehrere Tage landesweite Proteste gegen die Politik von Präsident Aleksandar Vucic. Deutsche Medien sprachen über Polizeibrutalität, Corona-Botschaften und rechtsgerichtete Demonstranten, die das Parlament stürmten. Aber was passierte wirklich bei diesen Demonstrationen und was ist ihr Hintergrund? – Ein Interview mit der serbisch-kroatischen sozialistischen Organisation “Crvena akcija / Crvena inicijativa”.

    In Serbien gab es eine Welle von Protesten gegen die Regierung. Warum gingen die Menschen auf die Straße?

    Diese Proteste begannen spontan aufgrund der Ankündigung, wegen der Pandemie eine neue Ausgangssperre einzuführen. Die Wut eskalierte, weil die Lage der Pandemie vor den Wahlen am 21. Juni versteckt worden war – nur um nach den Wahlen die repressivsten Maßnahmen erneut umzusetzen.

    Auch die Rolle der Wahlen bei der Ausbreitung der Infektion war unbestreitbar. Die Verantwortung für den katastrophalen Zustand eines Gesundheitssystems liegt größtenteils bei der Regierung, während die Regierung diese an das einfache Volk abschieben möchte.

    Präsident Vucic nannte die DemonstrantInnen „Faschisten“. Welche politischen Kräfte beteiligen sich an dem Protest und wer führt diese Bewegung an?

    Trotz der Tatsache, dass der serbische Präsident in seinen öffentlichen Ansprachen häufig beleidigende Begriffe gegenüber vielen verwendet, ist es wahr, dass es in der großen Masse der Demonstranten auch extrem rechte, sogar faschistische Kräfte gab.

    Vor allem kamen sie dorthin, um die Gelegenheit zu nutzen, in der Masse zu handeln, aber auch, um die Masse an Demonstrierenden auszunutzen. Dies taten sie durch Unterwanderung, sie versuchten ihre Positionen als Meinung der gesamten Demonstrationen zu erklären, indem sie religiös auftraten und die Kosovo-Frage in den Vordergrund rückten.

    Es muss jedoch auch gesagt werden, dass sich die Mehrheit von diesen Gruppen distanziert hat – es gab sogar einige physische Konfrontationen unter den DemonstrantInnen.

    Der konservativste und reaktionärste Teil dieser Demonstrationen setzt sich übrigens aus einer Mischung aus der traditionellen religiösen Rechten, einer neuen trumpistischen Strömung, die als Souveränisten auftreten, Verschwörungstheoretikern gegen das 5g-Netzwerk, Unterstützer der Anti-Impf-Bewegung und rechtsextremen Fußballrowdys zusammen. Letztere waren sowohl unter den Demonstrierenden als auch unter der paramilitärischen Polizei und den Polizeigruppen anwesend, deren vollständige Rolle noch nicht geklärt ist.

    Es gibt Berichte über harte Polizeibrutalität. Wie reagiert der Staat auf die Aktionen der Menschen?

    Die Reaktion der Polizei war brutal und das ist nichts Neues. Auch die Schlussfolgerung des Ombudsmanns, dass die Polizei weder gegen das Gesetz verstoßen noch brutale Gewalt angewendet habe, ist nicht neu. Auf der anderen Seite gibt es Tausende von Zeugnissen und Videomaterial, die auf Polizeibrutalität hinweisen.

    Wie haben sich die Corona- und Wirtschaftskrise auf das serbische Volk im Allgemeinen ausgewirkt?

    Was die Wirtschaft betrifft, gibt es keine offiziellen Daten. Die Regierung hält geheim, wie viele Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Auf der anderen Seite sind wir Zeugen davon geworden, wie die schlechten Arbeitsbedingungen in den Unternehmen, die ihre Geschäfte während der Pandemie fortgesetzt haben, zur Ausbreitung der Krankheit beigetragen haben und immer noch beitragen. Die politischen und medizinischen Beamten sprechen überhaupt nicht über dieses Thema.

    Wie geht es nun weiter, wird sich eine Bewegung entwickeln?

    Dies war keine Bewegung, sondern ein spontaner Wutausbruch. Indem die Regierung die Einführung einer Ausgangssperre aufgab, wurde der Grund für ihre Existenz beseitigt. Die versammelte Masse wurde versucht, von vielen Kräften in die eigene politischen Kämpfe einzubinden, aber bisher schaffte es niemand. Zuletzt verschärft sich jedoch die wirtschaftliche und politische Krise, und zweifellos sollte man mit neuen Versuchen rechnen.

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