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Samstag, April 20, 2024
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    Der fast perfekte „Sturm auf Berlin“

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    Während sich auf der einen Seite linke und bürgerliche DemokratInnen noch fragen, wie sie das, was am Wochenende in Berlin passiert ist, in ihr Weltbild einordnen können, feiern „Querdenker“, Reichsbürger und andere Faschisten ihre gelungene Inszenierung. – Ein Kommentar von Kevin Hoffmann

    Die Linke scheint mal wieder sprachlos zu sein über das, was sich am vergangenen Wochenende in Berlin abspielte. Während die einen noch unter Schock stehen und ganz urplötzlich das „Dritte Reich“ wieder aufstehen sehen (im übrigen witziger Weise in Übereinstimmung mit den fanatischen Träumen so mancher Demo-TeilnehmerInnen), schreien die anderen nach immer härterem Durchgreifen der Polizei und jubeln über den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken. – Was für eine verkehrte Welt?!

    Doch fassen wir zunächst noch einmal kurz das Offensichtliche zusammen: Gemeinsam mit tausenden ImpfgegnerInnen, verstörten Hippies oder Putin- und Friedens-Freunden, trafen sich am vergangenen Samstag FaschistInnen aller Couleur zum „Staatssturz-Happening“ in Berlin. Während die einen ihrer Angst vor kruden und zu meist antisemitischen Verschwörungen Ausdruck verliehen, wähnten sich die anderen auf ihrem hitler’schen „Marsch nach Berlin“ und dem Beginn einer „nationalen Revolution“.

    Nein, das ist nicht die Machtergreifung der Faschisten

    Sicher stimmen einen die Bilder vom Wochenende in Berlin besorgt. Sie zeigen das gemeinsame Agieren tausender FaschistInnen über jede organisatorischen und ideologischen Unterschiede hinweg. Sie zeigen, wie – auch schon bei Hogesa und Pegida – eine weit verzweigte, gefestigte Basis an AnhängerInnen, die sie mobilisieren und als gigantischen Mob aufmarschieren lassen können.

    Die Bilder zeigen jedoch auch, dass die FaschistInnen es schaffen, soziale Bewegungen zu konstruieren bzw. sich an deren Spitze zu stellen, mit ihrer Ideologie zu unterfüttern und zu radikalisieren. Von links gibt es dem kaum etwas entgegen zu setzen. Dabei ist es heute mehr denn je notwendig, all jene Teile solcher Bewegungen zu erreichen, die eben noch kein gefestigtes faschistisches Weltbild haben, anstatt diese weiter den Rechten in die Arme zu treiben.

    Nein, es gab kein „Staatsversagen“

    Viel wird jetzt darüber diskutiert, wie es denn nur zum Sturm der Reichstagstreppen kommen konnte, warum die Gerichte die Demonstrationen nur erlaubt hätten und dass ein Demonstrationsverbot den Tag gerettet hätte. Es könne sich also nur um „Staatsversagen“ handeln…

    Noch weiter an der Realität vorbei kann eine politische Analyse wohl kaum gehen. Es gab kein „Staatsversagen“! Die Bilder und Videos zeigen deutlich: es war überhaupt nicht gewollt, dass die eingesetzten Polizisten irgendwelche Anweisungen an diesem Tag durchsetzen können.

    Wer die Bilder und das Vorgehen der Polizei während der „Auflösung“ der Demonstrationen dabei vergleicht mit solchen, wo linke Demonstrationen aufgelöst werden, der wird klar erkennen: niemand hatte ernsthaft vor, hier irgendetwas „aufzulösen“. Ähnlich kann man auch die Szenen am Reichstag oder andernorts in der Stadt bewerten. Hier gab es kein „Versagen“, sondern hier wurden die Bilder produziert, die nun in der kommenden Debatte um weitere Gesetzesverschärfungen und den Abbau der noch bestehenden Grundrechte genutzt werden.

    Niemand braucht eine Linke, die nach mehr staatlichem Durchgreifen schreit

    Dass sich nun einige Linke hinstellen und applaudieren, wenn auch mal ein paar Rechte ‘auf die Fresse kriegen’, macht das Ganze wohl kaum besser. Haben wir nicht in den vergangenen Wochen immer wieder gegen (tödliche) Polizeigewalt demonstriert? Und nun wird sich darüber beschwert, dass die Polizei nicht hart genug zugeschlagen hätte?

    Sicherlich wurden die FaschistInnen am Wochenende in Berlin mit Samthandschuhen angefasst – aber dass wir uns im antifaschistischen Kampf weder auf den Staat verlassen, noch stützen können, sollte mittlerweile doch hoffentlich in das Bewusstsein all derjenigen, die wirklich etwas gegen rechts tun wollen, vorgedrungen sein!

    • Autor bei Perspektive seit 2017 und Teil der Print-Redaktion. Freier Autor u.a. bei „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“

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