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Donnerstag, April 25, 2024
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    Razzien bei der Polizei NRW: wird der Staat das Nazi-Problem lösen?

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    200 Polizisten durchsuchten vor kurzem 34 Wohnungen und Dienststellen ihrer KollegInnen. Hintergrund war ein intern bekannt gewordenes faschistisches Netzwerk. Geht der Staat nun konsequent gegen Faschisten in seinem eigenen Apparat vor? Oder ist es nur Maskerade? – Eine Einschätzung von Tim Losowski

    Hitler-Bilder, Geflüchtete in Gaskamern – in internen Chat-Gruppen der Polizei-NRW wurden über Jahre hinweg offen faschistische Gedanken, „Witze“, Bilder usw. ausgetauscht. Nun ist die NRW-Polizei mit einer Großrazzia gegen die eigenen Leute vorgegangen. Auch der Präsident des Bundeskriminalamt äußerte sich: „Das sind Vorfälle, die das Vertrauen in die Polizei erheblich erschüttern“, erklärte BKA-Präsident Holger Münch.

    Damit bringt er auf den Punkt, worin die Spitzen der Gewalt-Institutionen in Deuschland das größte Problem sehen. Nämlich darin, dass aufgrund der fast täglichen Enthüllungen über Faschisten im Staatsdienst die vergleichsweise sehr hohe Zustimmung zu Polizei und Militär bei der Bevölkerung schwinden könnte.

    Große Mehrheit vertraut der Polizei – noch

    Denn wenn es um Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen geht, steht die Polizei in Deutschland seit Jahren auf Platz 1. Rund 80% erklären regelmäßig, dass ein hohes Vertrauen in die Polizei hätten. Damit liegt diese Berufsgruppe noch vor Ärzten (77%) und Universitäten (77%). Zum Vergleich: der „Presse“ vertrauten laut einer Forsa-Umfrage 2019 nur etwa 41%. Nicht mal jeder fünfte vertraut politischen Parteien.

    Auch im internationalen Vergleich ist das Vertrauen hoch. Im europäischen Durchschnitt vertrauen im Jahr 2017 etwa 70 Prozent der Polizei, weltweit lag der Durchschnitt bei 63 Prozent.

    Hohes Vertrauen als strategischer Vorteil

    Ein hohes Polizeivertrauen ist für einen Staat ein strategischer Vorteil wenn es darum geht, die eigene Herrschaft abzusichern. Denn die Polizei ist eine zentrale Kraft zur gewaltsamen Verteidigung der Staatsordnung. Und was könnte es besseres geben, als wenn die Masse der Bevölkerung der Polizei, denen sie in Demonstrationen, Streiks und Protesten gegen die Regierung gegenüberstehen, „vertrauen“? Wenn die Masse der Bevölkerung den Verteidigern der kapitalistischen Ordnung, welche sie arm macht und entrechtet, „vertrauen“?

    Die aktuellen Razzien führen vielleicht dazu, dass noch mehr Menschen, die nicht jeden Tag die Nachrichten verfolgen, sehen, dass Faschisten in der Polizei keine „Einzelfälle“ sind. Tatsächlich geh dadurch vordergründig „vertrauen verloren“.

    Doch bei den Razzien geht es auch darum, genau dieses Vertrauen wieder aufzubauen. Denn immerhin – so soll es scheinen – wird jetzt mal richtig „aufgeräumt“. Es soll der Eindruck entstehen, als gebe es doch noch den „guten Schutzmann“ und der gegen den bösen Nazi-Cop vorgeht. Und dass die Guten am längeren Hebel säßen. Doch ist das so?

    Geht der Staat nun gegen Rechts vor?

    Um die Frage zu beantworten ob nun wirklich “aufgeräumt wird”, reicht es sich anzuschauen, wenn Innenminister Reul (CDU) nun zum internen „Sonderbeauftragten rechtsextremistische Tendenzen in der nordrhein-westfälischen Polizei“ berufen hat.

    Es ist Uwe Reichel-Offermann, bislang stellvertretender Leiter der Verfassungsschutzabteilung. Er soll zunächst ein Lagebild zum Rechtsextremismus in der Polizei erstellen.

    Was ist von diesem Mann zu erwarten? Dafür reicht ein Blick auf seine Rolle beim NRW-Untersuchungschuss über den rechten Terror des NSU. Hier konnte er sich nämlich im wesentlichen an nichts erinnern. (Link zu seiner Vernehmung als Zeuge)

    Und eine weitere Personalie macht klar, wie “konsequent” die Untersuchungen geleitet werden. Die Durchsuchungen bei den NRW-Nazi-Cops wurde vom Polizeipräsidium Bochum geleitet. Dessen Chef heißt Jörg Lukat. Dieser war mal beim Staatsschutz in Dortmund. Zu seiner Zeit fand der NSU-Mord an Mehmet Kubaşık statt, doch Richtung Rechts wurde nicht ermittelt. Dabei galt Dortmund schon damals als Nazi-Hochburg. Bei einer Befragung durch den NSU-Untersuchungsausschuss will er sich zu V-Leuten nicht äußern.

    Allein diese zwei Personalien zeigen schon, wie ernst es mit wirklicher Aufklärung ist. Tatsächlich geht es darum mit den Razzien ein “Zeichen” zu setzen, bei der vielleicht der ein oder andere Polizist seinen Job verliert. Doch die Strukturen, welche aber unter anderem die Aufklärung des NSU verhinderten existieren weiter. Sie dürfen jetzt sogar die “Aufklärung” übernehmen. Zeit Vertrauen in die Polizei zu verlieren.

    • Perspektive-Autor und -Redakteur seit 2017. Schwerpunkte sind Geostrategie, Rechter Terror und Mieter:innenkämpfe. Motto: "Einzeln und Frei wie ein Baum und gleichzeitig Geschwisterlich wie ein Wald."

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