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Donnerstag, April 25, 2024
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    Tatverdächtige wegen rechter Anschlagsserie in Berlin in Haft

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    In Berlin wurden am Mittwochmorgen zwei Tatverdächtige festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, zahlreiche Brandanschläge – u.a. auf den Linken-Politiker Ferat Kocak und den Buchhändler Heinz Ostermann – verübt zu haben. Beide Täter sind bekannte Gesichter der rechten Szene.

    Am Mittwochmorgen konnten die Ermittler:innen im Falle der mutmaßlich rechten Anschlagsserie von Neukölln zwei Tatverdächtige festnehmen. Dabei handelt es sich um Tilo P. und Sebastian T., die beiden wurden in ihren Wohnanschriften in Neukölln verhaftet. Es besteht der Verdacht, dass sie für die Brandanschläge auf den Linken-Politiker Ferat Kocak und den Buchhändler Heinz Ostermann verantwortlich sind. Bislang hatte der Verdacht trotz der langen Ermittlungen und zahlreicher Hinweise antifaschistischer Gruppen nicht für eine Verhaftung ausgereicht. Das scheint sich nun geändert zu haben.

    Bei T. ist neben dem Vorwurf der schwerer Brandstiftung noch der Betrug mit Corona-Soforthilfen dazugekommen. Diese Vorwürfe im Zusammenspiel mit der bestehenden Fluchtgefahr sollen letztendlich zu seiner Verhaftung geführt haben, heißt es aus Behördenkreisen.

    Betroffene sind erleichtert und kritisch zu gleich

    „Es ist richtig, dass jetzt Bewegung in die Sache kommt“, sagte Linken-Politiker Ferat Kocak der Berliner Morgenpost. Aus Betroffenensicht sei er zwar erfreut, allerdings sei auch die Angst vor Racheakten groß, wenn zwei Szenegrößen verhaftet werden. „Wir fordern weiter einen Untersuchungsausschuss zu den Ermittlungen“, erklärte Kocak weiter.

    Der Buchhändler Heinz Ostermann bewertet die Sache ähnlich. Er freue sich, dass die beiden Tatverdächtigen nun in Haft seien, allerdings habe er zu wenig Hintergrundinformationen, um die Sache wirklich beurteilen zu können. Ihm sei unklar, ob die Haftbefehle Bestand hätten, und daher sei seine Freude verhalten. Außerdem fügte er hinzu: „Uns interessiert die Aufklärung der Anschlagsserie und nicht der Betrug mit Corona-Soforthilfen“.

    Was war geschehen?

    2016 fand in Ostermanns Buchhandlung „Leporello“ eine AfD-kritische Veranstaltung statt, danach wurde sein Auto gleich zwei Mal angezündet. Keine zwei Jahre später wurde das Auto von Ferat Kocak am 1. Februar 2018 angezündet. Sein Auto ging in der Nacht in Flammen auf: „Heute Nacht gegen 3 Uhr haben Nazis einen Anschlag auf mich und meine Familie verübt. Wir schliefen keine 3 Meter von der Brandstelle, und ich wurde zum Glück vom hellen Feuer wach, so dass ich meine Eltern ins Freie geleiten konnte”, so Kocak auf seiner Facebook-Seite. Am nächsten Tag waren deutliche Fußspuren an der Fassade zu sehen. Ermittler:Innen bestätigen, dass es nichts als Glück gewesen sei, dass der Brand nicht zu Schlimmerem führte.

    Der Ablauf der Ermittlungen zur höchstwahrscheinlich rechten Anschlagsserie in Neukölln ist schon länger umstritten: „Der Brandanschlag gegen Ferat Kocak war versuchter Mord. Es ist ein Skandal, dass Polizei und Staatsanwaltschaft keine Ergebnisse vorzuweisen haben. Der infrage kommende Täterkreis ist seit Monaten bekannt, und trotzdem fühlen sich die Nazis so sicher, dass sie immer neue Anschläge begehen.“, so die Links-Partei in einer Pressemitteilung im Jahr 2018. Die Ermittler:innen wiesen diese Vorwürfe, etwas versäumt zu haben, stets von sich. Im Sommer 2020 übernahm dann die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen.

    Erneut rechte Brandanschläge in Berlin

    Seitdem hat der Innensenator von Berlin, Andreas Geisel (SPD), den früheren Bundesanwalt Herbert Dieser und die frühere Eberswalder Polizeipräsidentin Uta Leichsenring als Sonderermittler:innen eingestellt. Die beiden Sonderermittler:innen sollen mindestens 72 Taten wie Brandstiftung und Drohungen – vor allem zwischen 2016 und 2018 – erneut untersuchen. Die gesamten Ermittlungen sollen geprüft werden, um mögliche Fehler der Polizei aufzudecken.

    Die nun verhafteten Tatverdächtigen stehen schon länger im Fokus der Ermittlungsbehörden. Beide sind bekannte Gesichter der rechten Szene. Sebastian T. ist ein polizeibekannter Neonazi und Gewalttäter. Tilo P. ist ebenfalls bereits als gewaltbereiter Neonazi bekannt, engagierte sich darüber hinaus allerdings auch in der AfD.

    Nachdem bekannt wurde, dass er eventuell in die Anschlagsserie verwickelt sein könnte, endete seine Karriere innerhalb der AfD abrupt. Aus Angst vor einem Rufschaden überzeugte die Partei P. Anfang 2018 von einem Austritt.

    Kein Haftbefehl, trotz Beweisen?

    Chat-Protokolle, die der Berliner Morgenpost vorliegen, geben einen tieferen Einblick: In einer Unterhaltung der beiden Tatverdächtigen am 29. November 2016 reden sie beispielsweise über einen Vortrag in Ostermanns Neuköllner Buchhandlung „Leporello“ – das Thema des Vortrags: „Was tun gegen die AfD? Aufstehen gegen Rassismus!“. P. informiert daraufhin weitere Neonazis. Nicht einmal zwei Wochen später steht Ostermanns Auto in Flammen.

    Verdächtig sind auch die Nachrichten, die die beiden über Ferat Kocak austauschen, der sich bereits seit Jahren mit dem Kampf gegen rechts auseinander setzt. Bereits im Januar 2017 taucht Kocaks Name das erste Mal in Konversationen zwischen ihnen auf. Ein Jahr später am 15. Januar 2018 entdeckt Tilo P. den Linken-Politiker bei einer Veranstaltung der Linken. Daraufhin schrieb ihm T.: „Hör mal zu Dicker, du guckst jetzt einfach, ob der in die U-Bahn geht oder ob er mit dem Auto fährt“. „Er fährt Auto, ein roter Smart“, antwortet Tilo P. „Na, dann fahr hinterher“, erwidert T. Nur wenige Tage darauf brennt Kocaks Auto. Trotz dieser eindeutigen Kommunikation erfolgte lange kein Haftbefehl – das frustriert die Betroffenen bis heute.

    „Also der Strafvorwurf des versuchten Mordes reichte nicht, da musste Corona-Betrug dazu kommen, um Haftbefehl zu erlassen.“ Müsse man bei Rechtsterror jetzt immer warten, bis Leistungserschleichung begangen werde, fragte die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, Martina Renner, am Mittwoch über den Kurznachrichtendienst Twitter.

    Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) äußerte sich im September: „Es gibt klare Vermutungen, wer die Verantwortlichen für diese Taten sind.“ Er räumt ein, dass es Versäumnisse und Pannen bei der Aufklärung gegeben hat. Opfer seien nicht gewarnt worden, obwohl Verfassungsschutz und Polizei wussten, dass die verdächtigen Neonazis sie ausspähten. Polizeipräsidentin Barbara Slowik gibt im Herbst zu, dass die damalige Ermittlungsgruppe der Kriminalpolizei in Neukölln zu klein und das Personal „nicht ausreichend“ gewesen seien.

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