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Donnerstag, April 18, 2024
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    Sachsens Ministerpräsident als politischer Spielstein

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    Fast jeder kennt sie mittlerweile: die dunkelrote Deutschlandkarte mit den Inzidenzwerten der verschiedenen Landkreise. Auf dieser Karte kann man leichte Trends erkennen: Ende November färbte sich eine Region auf einmal wieder heller, obwohl der Inzidenzwert stieg. Das lag schlicht daran, dass man eine neue Farbe für die sächsischen Landkreise benutzte: pink.

    Der Inzidenzwert ging in den nächsten Wochen teilweise sogar über 1.000 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen hinaus. Journalist:innen und Politikforscher:innen wollten sich an diesem Thema probieren und fantasierten die spannendsten Geschichten daher: „Liegt es vielleicht daran, dass die Sachsen gerne die AfD wählen und die sächsischen Bürger:innen damit einhergehend alles ignorieren?“. Würde es auf diese Frage eine Schulnote geben, könnte man sie aus heutiger Sicht mit einem „befriedigend“ bewerten.

    Nach den großen Erfolgen der AfD hat es die sächsische CDU verschreckt. Es musste ein Kurswechsel her. Ein Kurs, der nicht offensichtlich in das rechtsradikale Lager überschlägt. Ein Kurs, der im Umkehrschluss dem rechtsradikalen Lager nicht noch mehr Nährboden bietet. So war er geboren: der politische Diskurs der sächsischen CDU, immer ein offenes Ohr für besorgte Bürger:innen zu haben und alles andere als „extrem“ abzustempeln. Als kleines i-Tüpfelchen ist es noch wichtig, seinen politischen Kurs weitestgehend offen zu lassen, damit die Bürger:innen nicht verschreckt werden.

    Die CDU stellt sich taub – nur auf dem rechten Ohr nicht

    Der Jahresrückblick 2020 der sächsischen CDU mit Blick auf den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer erzählt Bände, wie absurd sich diese Parteiausrichtung in der Realität darstellte. Während bundesweit und auch im genannten Bundesland über mehrere hunderttausend Menschen an den verschiedensten Protesten – wie Black Lives Matter oder dem Klimastreik von Fridays for Future – teilnahmen, reagierte der sächsische Ministerpräsident nicht.

    Im Gegenteil, teilweise wurden hier Gegenargumente gebracht, dass alles seine Zeit brauche. Doch nicht nur die Proteste der Bewegungen, sondern auch soziale Proteste für bezahlbaren Wohnraum, Kritik am neuen Polizeigesetz oder Demonstrationen zu Frauenrechten wurden gekonnt ignoriert. Auch an diesen Protesten nahmen Tausende Menschen teil.

    Am 16. Mai 2020 demonstrierten die ersten Querdenker:innen in Dresden. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer stattete den hundert Leuten einen Besuch ab und diskutierte mit ihnen – natürlich ohne Maske. Diesen besorgten Bürger:innen musste er natürlich sein Ohr schenken.

    Linke Forderungen werden ignorierte, rechte hofiert

    Nach weiteren Teilnahmen an moderateren Kundgebungen und Demonstrationen und einem Abflachen des Inzidenzwertes im Sommer traf die von Virolog:innen befürchtete zweite Welle ein. Trotz mehrerer Versuche der Opposition und anderer politischer Bündnisse wie z.B. #NichtaufunseremRücken, ein Ohr der sächsischen Landesregierung für einen notwendigen Wirtschaftlichen-Lockdown zu erringen, bewegte sich in Sachsen so gut wie nichts.

    In einem Interview erzählte Kretschmer sogar, dass ihm erst durch Krankenhausbesuche im Dezember die Augen geöffnet wurden, wie schlimm es wirklich um die Situation im Freistaat stehe. Ein harter Schlag ins Gesicht aller Verkäufer:innen und des gesamten Pflegepersonals in Sachsen.

    Einen Tag nach dem Interview besuchten über 30 Menschen den Ministerpräsidenten vor seinem eigenen Haus – eine Taktik, die von rechtsradikalen Kräften schon in der Flüchtlingskrise 2015 angewandt wurde. Auch hier ließ sich der Ministerpräsident wieder auf eine Diskussion ein und zeigte erneut ein offenes Ohr für rechte Wutbürger:innen. Dies dürfte sicher nicht die letzte Episode in der scheinbar unendlichen Geschichte über die Offenheit der sächsischen CDU und ihres Ministerpräsidenten Kretschmer nach rechts außen sein.

    • Perspektive-Autor seit 2019. Berichte von der ostdeutschen Provinz bis zur kritischen Infrastruktur. Lebt und arbeitet in Sachsen.

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