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Dienstag, März 19, 2024
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    Baluchistan: Schlacht um die Grenzarbeit

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    Seit dem 22.02.2021 kommt es in Baluchistan im südöstlichen Iran zu teils tödlichen Zusammenstößen zwischen den prekärsten Teilen der arbeitenden Klasse und dem islamisch-faschistischen Regime. Die brutale Unterdrückung der Arbeiter:innen und Minderheiten im Iran ist ebenso wenig neu wie die Proteste dagegen. Angriffe aus der Luft und mit schweren Waffen wie aktuell in Baluchistan sind jedoch auch von Seiten des iranischen Regimes eher selten. – Ein Kommentar von Hassan Maarfi Poor

    Wie jeden Tag machte sich auch am 22. Februar eine Gruppe von Baluchen auf den Weg, den Treibstoff vom iranischen Baluchistan über die Grenze nach Pakistan zu bringen. Was vielen Menschen in der Region als einzige Einkommensquelle bleibt, wird vom iranischen Regime als illegal deklariert. Dieser Gesetzeslage verlieh die sogenannte  „Revolutionsgarde Sepâh” – eine paramilitärische Armee in Zusammenarbeit mit der offiziellen Armee Irans – am 22.02. lebensbedrohlichen Nachdruck: Sie schloss die Grenze und eröffnete dann das Feuer auf die protestierenden Transportarbeiter:innen. Sie tötete mehrere Menschen aus den ärmsten Familien in der Region und verletzte viele weitere zum Teil schwer. Die getöteten und verletzten Menschen sind weder die Besitzer:innen der Waren noch der Autos. Sie mussten als Lenker:innen der Autos ihre Arbeitskraft täglich und stündlich verkaufen, um ihr Leben zu finanzieren. Für eine Fahrt erhielten sie 50 Cent.

    Die Lage der arbeitenden Klasse und Minderheit in Baluchistan

    Die Lage in Baluchistan ist ähnlich der Lage im iranischen Kurdistan und in anderen Städten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung direkt oder indirekt unter großen Schwierigkeiten vom Transport von Waren über die Grenze lebt.

    Baluchistan im Südosten des Iran ist eine der ärmsten Region des Landes. Die meisten Menschen dort haben weder einen festen Arbeitsplatz noch Zugang zu institutioneller Bildung. Es fehlt an Schulgebäuden und selbst an genügend sauberem Trinkwasser. Die Mehrheit der Arbeiter:innen ist entweder arbeitslos oder verdient ihren Unterhalt durch die Arbeit an der Grenze zu Pakistan. Die Arbeiter:innen transportieren Treibstoff vom Iran über die Grenze nach Pakistan und bringen teilweise Reis aus Pakistan in den Iran. Der iranische Staat erklärt das für illegal und bekämpft diese Arbeit.

    Ein Staat wohlgemerkt, an dessen Spitze die sogenannte „Revolutionsgarde“ (Sepâh) die größte Verteilerin von Opium und anderen harten Drogen ist. Sepâh ist in ihrer Funktion vergleichbar mit einer bewaffneten faschistischen Organisation wie der SS im Nationalsozialismus in Deutschland. Als Drogen-Mafia und terroristische Organisation macht sie Jagd auf Kommunist:innen und Partisan:innen in den Bergen Kurdistans und terrorisiert die gesamte Region.

    Diese Armee also beschoss die Menschen in Baluchistan, weil sie schlicht Treibstoff über die Grenze transportierten. Die Schüsse auf den ärmsten Teil der Arbeiter:innenklasse des Iran sind nicht einfach Schüsse auf „Schmuggler“, wie sie von den Anhängern des Regimes bezeichnet werden. Es ist ein Angriff und eine Warnung für die gesamte Arbeiter:innenklasse im Iran, gegen die Politik des Regimes Widerstand zu leisten. Es ist gleichzeitig ein rassistischer Angriff auf die Bevölkerungsgruppe der Baluchen, die weder in der Zeit des Schah-Regimes noch im islamischen Regime der letzten 42 Jahren die minimalsten Grundrechte zugestanden bekommen haben.

    Die Menschen werden weiterhin aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit und Ethnie unterdrückt und angegriffen. Hinzu kommt unter Khomeini die Unterdrückung bis Vernichtung aufgrund von religiöser oder konfessioneller Zugehörigkeit. Was aktuell in Baluchistan passiert, reiht sich damit in eine lange, grausame Tradition ein und erinnert an ihre dunkelsten Zeiten. In den 1980er Jahren marschierte die Armee ein, besetzte Gebiete in verschiedenen Regionen und ermordete alle Menschen, die sich ihr in den Weg stellten, oder die der sunnitischen Konfession, einer ethnischen Minderheit oder dem kommunistischen Widerstand angehörten.

    Gewaltsame Monopolisierung des Kapitals durch das Regime

    In einer Zeit, in der die Mehrheit der Bevölkerung des Iran sechs- bis zwölffach unterhalb der Armutsgrenze leben, versucht die Revolutionsgarde, als konkurrenzloses Monopol aufzutreten und – von der Ölindustrie bis zum Finanzkapital – alles in ihren Händen zu monopolisieren.

    Diese Monopolisierung kann einerseits als ein Versuch im Sinne der sogenannten ursprünglichen Akkumulation durch Gewalt, Raub und Mord nach Marx verstanden werden. Anderseits ist sie ein Versuch der Beseitigung aller kleinen Konkurrent:innen und Unternehmer:innen z.B. in der Teppich- und Pistazien-Industrie. Sogar die prekärsten Formen der Arbeit werden bekämpft, wie der Waren- und Treibstofftransport über die Grenze im Südosten nach Pakistan oder in den kurdischen Gebieten im Westen aus dem Irak in den Iran.

    Laut Gesetz können alle Bewohner:innen der „freien Regionen“ an der iranischen Grenze einen Bewohnerausweis erhalten, der ihnen erlaubt, mit dem Transport von Gütern und Waren über die Grenze Geld zu verdienen. Seit einiger Zeit berichten jedoch Aktivist:innen aus der Region, dass das Regime nur denjenigen einen solchen Ausweis ausstellt, die sich der Herrschaft des Regimes unterordnen. Nur wer mit dem Geheimdienst “Basidsch” zusammenarbeitet und dies mit einem Basidsch-Ausweis nachweisen kann, darf „gesetzlich“ an der Grenze arbeiten. Viele Menschen sind jedoch nicht dazu bereit, wegen der Arbeit einen solchen Ausweis zu beantragen.

    Die Besitzer des Treibstoffs arbeiten meist eng mit dem Regime zusammen. Wenn sie nicht selbst den Treibstoff über die Grenze transportieren, verdienen sie sich an dem Transport durch massiv unterbezahlte Arbeiter:innen eine goldene Nase. Bis vor kurzem konnten Personen mit einem Bewohner-Ausweis diese Arbeit legal ausüben. Seitdem die Sepâh den Schutz der Grenzen vor einigen Tagen übernommen hat, wollen sie den Großteil des Kuchens haben. Aus diesem Grund wurde die Grenze geschlossen.

    Proteste gegen Grenzschließungen

    Nachdem Tausende mit Treibstoff beladene Autos an der Grenze Pakistans in Saravan stundenlang aufgehalten wurden, brachen die ersten Proteste los. Die Transportarbeiter:innen schafften es, das Grenztor zu öffnen. In Reaktion beschoss die Sepâh sie mit Maschinengewehren. Bei diesem ersten Protest an der Grenze wurden mehrere Menschen verletzt und ermordet. Seitdem die Bevölkerung der Stadt Saravan sich mit den Prosten der Arbeiter:innen zusammengeschlossen hat, schießt die Sepâh auf alle: Frauen, Männer und Kinder. Dabei feuert das Regime seine Geschosse auch von Panzern und Hubschraubern aus ab. Die Bevölkerung hat die Polizeistationen und das Rathaus erobert und bereitet eine Blockade vor. Denn Verstärkung für das Regime ist bereits aus den Städten Isfahan und Kerman unterwegs.

    Solidarität und Unterstützung der Proteste

    Wir haben bei den Protesten im Iran im Januar 2017 und Oktober 2019 gesehen, dass sie schnell blutig niedergeschlagen werden, wenn die Arbeiter:innenklasse nicht landesweit durch Streiks oder einen Generalstreik und dauerhafte Proteste das Regime schwächt. Aus diesen Erfahrungen muss die Arbeiter:innenklasse jetzt Konsequenzen ziehen und im ganzen Land zu Streiks und Protesten aufrufen. Die Menschen müssen in großen Massen auf die Straße gehen, und auch auf internationaler Ebene müssen alle Menschen, die für ein besseres Leben kämpfen, sich mit diesen Protesten solidarisieren. Nur so kann ein Massenmord an den schwächsten Teilen der Arbeiter:innenklasse durch das faschistische Regime im Iran verhindert werden, das in seinem 42jährigen Bestehen bereits hunderttausende Menschen hingerichtet und ermordet hat.

    Wenn die Bevölkerung im Widerstand zu Waffen greift, muss sie sich entweder durchsetzen, um die alltägliche Gewalt der Herrschenden zu beenden, oder sie wird von den Herrschenden angegriffen, bis jeder Widerstand gebrochen und zerschlagen ist. Das hat die Geschichte der Revolutionen und Konterrevolutionen gezeigt. Den Schritt zu den Waffen sind die Baluch:innen gegangen. Noch sind sie damit allein, doch die Menschen in anderen Regionen des Iran beginnen, auf die Straße zu gehen und sich mit den Arbeiter:innen in Baluchistan zu solidarisieren.

    Das iranische Regime bekämpft Unterdrückte in ähnlicher Weise wie damals im deutschen Faschismus. Es treibt in der gesamten Region eine imperialistische Politik und konzentriert das Kapital in den Händen der faschistischen Organisation Sepâh. Wer dieses imperialistische Regime mit seiner faschistisch-islamistischen Weltanschauung immer noch antiimperialistisch nennt, schlägt sich auf die Seite der Faschist:innen, die den Völkermord durchsetzen, und macht sich an diesem Völkermord mitschuldig.

    Die Arbeiter:innenklasse in allen iranischen Städten und auch international hat ein gemeinsames Interesse. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen haben ein gemeinsames Schicksal, unabhängig von ihrer Nationalität, Religion, Weltanschauung und ethnischen Zugehörigkeit. Wenn die Arbeiter:innenklasse in einem Teil des Iran geschlagen und ermordet wird, dann müssen alle Arbeiter und Arbeiterinnen iran-weit und weltweit diesen Angriff als Angriff auf die gesamte Arbeiter:innenklasse verstehen.

    In diesen Tagen, in denen das faschistische Regime das Internet in der Region Baluchistan ausgeschaltet hat, um den derzeitigen Genozid in Ruhe durchführen zu können, müssen wir internationalistische Solidarität leben. Wir müssen weltweit zu Protesten aufrufen!

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