`
Donnerstag, April 18, 2024
More

    AstraZeneca ist ein Problem des Kapitalismus

    Teilen

    Mit der Entscheidung der Ständigen Impfkommission (STIKO) und des Gesundheitsministeriums, den Impfstoff von AstraZeneca nicht mehr an unter 60-Jährige zu verimpfen, ist das Chaos perfekt. Das Impfdebakel zeigt auf neue Weise altbekannte Probleme des Kapitalismus auf. – Ein Kommentar von Paul Gerber

    Nachdem noch vor wenigen Wochen AstraZeneca kurzzeitig gar nicht verimpft wurde und kurz nach der Zulassung zunächst nur für unter 65-Jährige empfohlen wurde, soll es nun ein Impfstopp bei den unter 60-Jährigen richten. – Das Chaos ist perfekt.

    Zu Beginn der Impfkampagne in diesem Land sollte der Impfstoff nur an Jüngere verimpft werden, da seine Wirksamkeit bei älteren Menschen in Frage stand und ein nicht vollständiger Schutz gegen das Coronavirus sich bei älteren Menschen deutlich dramatischer auswirken könnte. Nun aber soll ausgerechnet die andere Hälfte der Gesellschaft auf das Vakzin verzichten, da es allein in Deutschland in bislang mindestens 31 Fällen zu Blutgerinseln in den Hirnvenen gekommen war – neun der Betroffenen sind daran gestorben.

    Zynisch könnte man hierzu sagen, dass wohl die einzigen Menschen, die sich um den Impfstoff hierzulande keine Sorgen machen müssen, alle 60 bis 64-Jährigen sind. Denn nur für diese fünf Jahrgänge wurde bisher keine Warnung ausgesprochen.

    Politiker:innen wie Markus Söder suchen derweil ihr Glück in der Flucht nach vorne und banalisieren die Probleme, die mit dem Impfstoff einhergehen und die entsprechenden Ängste der Menschen. Die Frage, wer sich mit dem AstraZeneca-Vakzin impfen lässt, ist für Söder offenbar eine Art nationale Mutprobe: „Irgendwann wird man bei AstraZeneca speziell mit sehr viel Freiheit operieren und sagen müssen: Wer will und wer sich‘s traut, der soll auch die Möglichkeit haben.“ so der bayrische Ministerpräsident auf einer Pressekonferenz.

    Wäre AstraZeneca der einzige verfügbare und entwickelte Impfstoff, so würde sich sicherlich die Frage der Risiko-Abwägung zwischen den verhältnismäßig seltenen tödlichen Nebenwirkungen und den Gefahren des Corona-Virus anders stellen. Aber Fakt ist, dass nach derzeitigem Kenntnisstand sowohl weltweit als auch in Deutschland diverse Impfstoffe verfügbar sind, die mindestens die gleiche – wenn nicht eine höhere – Wirksamkeit als AstraZeneca aufweisen und weniger schwere Nebenwirkungen mit sich bringen.

    Verständlich also, wenn Menschen die angebotenen Impftermine mit diesem Impfstoff nicht wahrnehmen – entweder um das Risiko von Komplikationen zu vermindern oder sicherzustellen, dass sie voll gegen das Virus geschützt sind.

    Vor dem Hintergrund von faktischen Impfprivilegien, die im Hintergrund des politischen Tagesgeschehens vorbereitet werden – wie zum Beispiel einem europäischen Impfzertifikat und Modellprojekten für die Wiederöffnung von Konzerten – gerät das Problem aber auch zu einer zynischen Abwägungsfrage: Wer aufgrund seines Alters, beruflichen oder gesundheitlichen Situation, keine Priorität genießt, muss eben überlegen, ob er/sie den minderwertigen Impfstoff nimmt oder lieber noch ein paar Monate länger auf seine/ihre Reisefreiheit verzichtet.

    Erschwerend kommt hinzu, dass wir dieses ganze Debakel vor allem dem Kapitalismus zu verdanken haben. In einem sozialistischen Wirtschaftssystem wäre nämlich keinesfalls ausgeschlossen gewesen, dass verschiedene Forscher:innen an unterschiedlichen Impfstoffen und unterschiedlichen Ansätzen eigenständig arbeiten. Nur wäre nach einer notwendigen Testphase selbstverständlich der wirksamste und am besten verträgliche Impfstoff mit allen notwendigen und verfügbaren Kapazitäten produziert worden.

    Im Kapitalismus jedoch haben die Regierungen der größten Industrienationen, schon bevor der Impfstoff überhaupt fertig entwickelt war, Berge an Kapital zur Verfügung gestellt und gewaltige Kontingente von Impfstoff im Voraus gekauft, damit die Pharma-Riesen überhaupt mit ihrer Produktion anfingen. Die Profite schöpfen diese nun jedoch privat ab, einer Freigabe der Patente sperren sie sich beharrlich.

    Die Verteidiger:innen dieses Systems nennen so etwas „unternehmerische Planungssicherheit“. Ehrlicher wäre es, offen zu sagen: Die Sicherheit der Profite geht vor der Sicherheit der Menschen.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News