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Mittwoch, April 24, 2024
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    Wer Betriebsräte stärken will, darf über “Union Busting” nicht schweigen!

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    Das “Betriebsrätemodernisierungsgesetz” der SPD ist mehr als peinlich. Und dafür wurden Saisonarbeiter/innen verraten und verkauft! – Ein Kommentar von Elmar Wigand

    Der Niedergang der SPD dürfte noch nicht beendet sein. Einiges deutet darauf hin, dass die einstige Arbeiterpartei bei der bevorstehenden Bundestagswahl nicht viel mehr als 10% der Stimmen erhält.

    Die Zukunft ist zwar stets ungewiss – das lahme Betriebsrätemoderiniserungsgesetz dürfte den Abwärtstrend der “Genoss:innen” aber verstärken, vor allem, weil es durch die Zustimmung der SPD zu einer weiteren arbeitsrechtlichen und sozialen Grausamkeit (in der langen Geschichte der Sozialdemokratie) erkauft wurde: statt bislang 70 Tage nun 102 Tage sogenannte Saisonarbeit ohne jedwede Sozialversicherung!

    Am 20./21 Mai 2021 wird der Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition die allerletzten Punkte “abarbeiten”, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurden. Um die Lage der Betriebsräte in Deutschland zu verbessern, entwarf das SPD-geführte Arbeitsministerium unter Hubertus Heil zunächst ein “Betriebsrätestärkungsgesetz”.

    Die “Aktion Arbeitsunrecht” rief den Arbeitsminister daraufhin auf: “Verabschieden sie ein Gesetz, das diesen Namen auch verdient!” Immerhin ein Gesetz, das seinen Namen verdient, bekommen wir jetzt. Das Gesetz heißt nun “Betriebsrätemodernisierungsgesetz” – von “Stärkung” ist keine Rede mehr.

    Auch Hans-Böckler übt Kritik

    Neben ein paar Petitessen gibt es nur einen Punkt, der Betriebsratsgründer:innen etwas besser stellt: Statt drei sollen in Zukunft sechs Personen Kündigungsschutz erhalten, sobald sie eine notariell beglaubigte Betriebsratsgründung anstreben.

    Doch selbst die traditionell SPD-nahe Hans-Böckler-Stiftung übte in der letzten Anhörung im Bundestag Kritik: Deren Sachverständige Johanna Wenckebach beklagte Rückschritte beim außerordentlichen Kündigungsschutz im Vergleich zum Referentenentwurf.

    So sei er nur noch fragmentarisch und verfehle das Ziel des Gesetzgebers. Eine weitere Schutzlücke, die dringend geschlossen werden müsse, gäbe es bei den befristet Beschäftigten, deren Anteil an den Belegschaften immer weiter steige.

    Interessant ist, was fehlt: Unternehmer als Täter:innen

    Tatsächlich stehen in dem “Betriebsrätemodernisierungsgesetz” nur Kleinigkeiten. Interessant ist, was fehlt: Von “Union Busting”, professioneller Betriebsratsbehinderung, Mobbing, Rechtsnihilismus, gar bandenmäßiger Verabredung, Anstiftung zu Straftaten durch Union Busting-Kanzleien, Detektive, Provokateure etc. ist keinerlei Rede.

    Dabei sind Union Busting (Gewerkschaftszertörung) und Fertigmacher-Methoden inzwischen sehr gut dokumentiert. Doch Unternehmensmilieus, die systematisch Rechtsbrüche fördern – Täter/innen in Nadelstreifen – sind für die SPD und ihre loyalen Vasallen in der DGB-Spitze offenbar bis heute nicht der Rede wert – weder in Geschäftsführungen und Personalabteilungen, noch in Form von Anwälten, Unternehmensberatern, PR-Agenturen und ihren ihnen hörigen Dienstleistern.

    Woran liegt das? Offenbar sind genaue Analyse und scharfe Kritik der Realität bereits zu nah an Systemkritik gesiedelt, da sich systemkritische Gedanken geradezu aufdrängen. Das verdirbt die Laune und durchkreuzt das Weltbild: Der Kapitalismus ist schön — bis auf einzelne “schwarze Schafe” – und er ist vor allem ein unpersönliches System, das vielleicht Opfer kennt, aber keine Täter:innen und bitte auch keine selbstbewussten, rebellischen Arbeiter:innen.

    Union Busting als organisierte Kriminalität erkennen!

    Dagegen fordert die Aktion gegen Arbeitsunrecht zusammen mit “Labournet”, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung und vielen von Union Busting-Betroffenen und ihren Angehörigen:

    • Die Bundesländer müssen Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität einrichten, oder — falls diese vorhanden sind — Sonderabteilungen für Arbeitsbeziehungen, um Union Busting analog zur Steuerhinterziehung effektiv zu bekämpfen!
    • Strafmaß erhöhen: Betriebsratsbehinderung als Offizialdelikt! Bislang kann Betriebsratsbehinderung nur durch den betroffenen Betriebsrat oder eine vertretene Gewerkschaft angezeigt werden. Auf Betriebsratsbehinderung steht derzeit dieselbe Strafe wie auf Beleidigung. Doch Union Busting ist kein Kavaliersdelikt. Union Busting ist gegen das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit am Arbeitsplatz gerichtet.
    • Verpflichtendes Melderegister für Betriebsratswahlen! Die genaue Zahl der Betriebsräte und Betriebsratsgründungen in Deutschland ist ebenso unbekannt, wie ihre Entwicklung oder ihr Scheitern. Bislang gibt es nur grobe Schätzungen aufgrund von Stichproben. So sollen laut dem IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) nur noch ca. 9% aller wahlberechtigten Betriebe mit fünf oder mehr Angestellten einen Betriebsrat haben. Doch der Befund ist umstritten und vermutlich zu optimistisch. Es fehlen genaue, empirische Daten.

    Schmutziger Deal: 102 Tage der Schande. Spargelstecher:innen ohne Rentenversicherung

    Um ihr lahmes, zögerliches Reförmchen namens “Betriesbrätemodernisierungsgesetz” durchzubringen, ist die SPD einen parlamentarischen Kuhhandel auf dem Rücken von Saisonarbeiter_innen in Deutschland eingegangen: Statt 70 Tage können Spargelstecher:innen aus Osteuropa, deutsche Zeitungsausträger:innen und viele andere nun 102 Tage ohne Sozialversicherung ausgebeutet werden!

    Das sind – wenn wir sechs Arbeitstage pro Woche zu Grunde legen – vier ganze Monate. Die Lobbys der industriellen Landwirtschaft und Zeitungsverleger jubilieren. Für das Schlucken dieser Kröte erreichte die SPD mit diesem Gesetz: so gut wie nichts. Ob die Sozis sich damit im kommenden Wahlkampf ernsthaft rühmen wollen?

    Trotz Niedergangs: Arroganz der (ehemaligen) Macht

    Zum faktischen und praktischen Versagen als Gesetzgeber und Schutzmacht der “hart arbeitenden Menschen” (Martin Schulz), kommt schlechter politischer Stil, der durchblicken lässt, dass die SPD trotz ihrer fortschreitenden Marginalisierung wenig dazu gelernt hat.

    Das SPD-Arbeitsministerium weigert sich tatsächlich, 1.500 Unterschriften von Beschäftigten, Betriebs- und Personalratsmitgliedern und Union Busting-Betroffenen entgegen zu nehmen. Anlass wäre eine Prostest-Kundgebung zur Gesetzesverabschiedung am 20. Mai 2021 um 18:30 Uhr vor dem Bundestag gewesen. Doch das Arbeitsministerium zeigte kein Interesse. Nun wird der Protest eben ohne Heil stattfinden!

    So kommt es, dass nicht nur DIE PARTEI mit der SPD im BTW21 an der 5% Hürde verabredet ist (laut Martin Sonneborn). Die Aktion gegen Arbeitsunrecht ist mit SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil verabredet.

    Der SPD-Direktkandidat für den Bundestag darf sich auf spontanen Wahlkampf-Besuch in seinem Wahlkreis Gifhorn/Peine einstellen. Denn wir finden: Er hat die Verpflichtung, 1.500 Unterschriften (plus weitere, die dazu kommen werden) entgegen zu nehmen. Diese Arroganz der Macht, ernsthafte Vorschläge und viele qualifizierte Unterzeichner:innen einfach abzuwimmeln, kann sich ein Minister im Jahr 2021 nicht mehr leisten. Dachten wir. Eigentlich…

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