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Dienstag, April 23, 2024
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    Zwangsräumung bald per App?

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    Ein Kölner Wohnungsunternehmen hat ein voll digitalisiertes Gebäude mit 32 Mietwohnungen fertig gestellt. Hier werden klingelnde Besucher:innen mit Bild aufs Handy gesendet und die Heizung wird bei zu lange geöffnetem Fenster automatisch heruntergefahren. Auch einen eigenen Schlüssel hat man nicht mehr, sondern öffnet Keller, Briefkasten und Haustüre über das Smartphone. – Eine Erfolgsgeschichte oder Dystopie für Mieter:innen?

    „Klapprige Schlüssel bekommen hier einen grauen Bart – denn was es gar nicht gibt, kann man auch nicht verlieren.“ – so preist das Kölner Immobilien-Unternehmen sein neues Wohnungsobjekt in Köln-Ehrenfeld an. Bei dem Neubau mit 32 Mieteinheiten gibt es nämlich keinen Schlüssel mehr.

    Auf den ersten Blick mag dies komfortabel scheinen: das Haus verschließt sich selbst, wenn man es verlässt – Freunde kann man auch von unterwegs aus ins Haus lassen.

    Und nicht nur das: eine IP-Klingelanlage kündigt Besucher:innen in Ton und Bild via App auf dem Mobiltelefon an; Jalousien und Lichtschalter können per Smartphone gesteuert werden; die Heizung kann automatisch heruntergefahren werden, sobald Fenster oder Balkontür zu lange geöffnet bleiben.

    Zudem sollen alle energetischen Daten auch bequem per App ablesbar sein können. Auch das Soziale hat man nicht vergessen: eine Kita befindet sich gleich im Objekt mit drin.

    Digitale Revolution oder Ort des Schreckens?

    Solche und andere Neuentwicklungen in verschiedenen Bereichen rund um das „Smart Home“ schwanken zwischen netten Spielereien und tatsächlichen Alltagserleichterungen. Doch auch die „Nebenwirkungen“ solcher Digitalisierungen sind auf den ersten Blick zu erkennen.

    Digitalisierte Verbrauchsanzeigen ermöglichen einer:m Vermieter:in potenziell eine 24/7-Übersicht über das Verhalten „seiner“ Mieter:innen in der Mietswohnung – wie lange brennt das Licht? Wo wird wie lange geheizt? All dass lässt Schlussfolgerungen auf das Mieter:innen-Verhalten zu. Dass die Kontrolle über diese Daten ausschließlich in der Hand der Mieter:innen bleibt, ist unwahrscheinlich.

    Auch den eigenen Schlüssel aus der Hand zu geben, birgt Gefahren. Was geschieht in Zukunft bei Mietstreitigkeiten? Wenn der Mietende zum Beispiel wegen eines Mangels die Miete über längere Zeit mindert, der/die Vermieter:in dies jedoch nicht anerkennt? Zwei Monatsmieten können da schnell zusammenkommen, die einer:m Vermieter:in eine fristlose Kündigung ermöglichen.

    Kann man dann ab dem Kündigungsdatum einfach nicht mehr in die eigene Wohnung, weil der „Smartphone-Schlüssel“ gesperrt ist, auch wenn ein Rechtsstreit noch läuft? Im schlimmsten Fall können solche Entwicklungen in Zukunft die Zwangsräumung per App bedeuten.

    Smart-Home für junge Familien mit großem Geldbeutel

    Für die neuen Mieter:innen in Köln-Ehrenfeld dürften diese Gefahren noch weit entfernt sein. Denn über Probleme bei der Mietzahlung dürften sich diese selten Gedanken machen. 17€ kostet der m² – kalt. Ein Single kommt dann in der 2-Zimmer-Wohnung mit 53m² auf 901€ Kaltmiete. Nur wer zu den obersten Zehntausend gehört, zieht in eine solche Wohnung ein.

    Für das ehemalige Arbeiter:innen-Viertel Köln-Ehrenfeld dürfte dieses neue Luxus-Mietshaus sicher ein Beschleuniger der viel diskutierten „Gentrifizierung“ sein. Damit wird für Mieter:innen mit durchschnittlichem Geldbeutel die Verdrängung aus ihren angestammten „Veedeln“ die unmittelbarste Folge eines solches “Smart-Home” in der Nachbarschaft sein. Doch was, wenn solche „digitalisierten Wohnungen” in zehn oder zwanzig Jahren Schule machen?

    Großkonzerne stehen in den Startlöchern

    „Noch rechnet sich das nicht“, erklärt der Geschäftsführer des Kölner Unternehmens gegenüber dem Handelsblatt. Doch wie so oft werden neue Technologien mit der Zeit immer billiger und dann auch oftmals auf Massenbasis eingeführt.

    Großkonzerne bereiten sich bereits darauf vor. So kommuniziert Deutschlands größter Vermieter Vonovia mittlerweile auch per App mit seinen Mieter:innen. 45.000 Menschen nutzen dieses Angebot pro Tag. „Das führt natürlich zu einem besseren Service, aber auch zu niedrigeren Kosten“, erklärte Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender des umstrittenen Wohnungskonzerns.

    Sobald auch digitalisierte Wohnungen zu “niedrigeren Kosten” führen – beispielsweise indem säumige Mieter:innen schneller ‘entfernt’ werden – werden auch Deutschlands größte Wohnungsunternehmen diese Elemente einführen. Kein guter Moment für diejenigen, die dann keinen dicken Geldbeutel haben.

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