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Donnerstag, April 25, 2024
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    Das neue “Lieferkettengesetz” ist ein Schlag ins Gesicht von Opfern neokolonialer Ausbeutung

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    2013 stürzte in Bangladesch eine Textilfabrik ein, es starben mehr als 1.000 Menschen. In ihr ließen auch deutsche Firmen nähen, zivilrechtlich haften mussten sie für nichts. Nach dem neuen „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“, das die Bundesregierung beschlossen hat, müssen sie das auch in Zukunft nicht. Das Gesetz ist nichts anderes als ein PR-Gag und Schlag ins Gesicht der Opfer neokolonialer Ausbeutung. – Ein Kommentar von Tim Losowski

    Am Morgen des 24. April 2013 stürzte in einem Vorort von Dhaka (Bangladesch) der achtstöckige Fabrikkomplex Rana Plaza ein und begrub tausende Menschen unter sich. Mehr als 5.000 Arbeiter:innen befanden sich damals in den Textilwerkstätten. 1.136 von ihnen starben an den Folgen des Einsturzes, über 2.000 wurden verletzt.

    Schon am Tag vor dem Unglück wurden Risse in dem Gebäude entdeckt, viele Menschen wurden jedoch gezwungen, ihre Arbeit fortzusetzen. Man kann also von einem Arbeitsmord sprechen. Sie hatten hauptsächlich Kleidung für den Export produziert, unter anderem für europäische Modefirmen wie Primark, Benetton, Mango, C&A und auch deutsche Unternehmen wie KiK oder Adler beziehungsweise deren Zulieferer.

    Es war der Auslöser für eine weltweite Debatte zur „Verantwortung“ von Großkonzernen für ihre Zulieferer.

    Die Sachlage ist dabei recht eindeutig: die seit einigen Jahren vor sich gehende Internationalisierung der Produktion entlang von weltumspannenden Produktionsketten hat einen einfachen Grund – die Steigerung des Profits.

    Denn das Verhältnis von Ausgaben für Arbeitskraft und für Maschinen ist am Anfang der Produktionskette – in den neokolonialen Ländern, in denen viel Arbeit noch mit bloßer Hand geleistet wird – besonders günstig für das Kapital. In Worten von Karl Marx könnte man sagen, dass damit dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegengewirkt wird. Insgesamt können die Weltmonopole am Ende des Produktionsprozesses den größten Teil des Profits einstreichen.

    Das ist die grundlegende Logik des Kapitalismus, die aber mit dem neuen „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ (LkSG) nicht angegriffen wird, das der Bundestag gestern beschlossen hat. CDU und SPD und Grüne stimmten dafür, die Linkspartei enthielt sich, FDP und AfD stimmten dagegen.

    Lieferkettengesetz ohne Lieferkettenanfang

    Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll offiziell den Weg ebnen von unverbindlichen Absichtserklärungen („Corporate Social Responsibility“) zu wirklich handfester Durchsetzung von „Menschenrechten“ entlang der Produktionsketten.

    Es tritt 2023 in Kraft und gilt zunächst für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter:innen. Ab 2024 soll es dann auch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter:innen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland gelten. Kleinere Unternehmen müssen offenbar nicht auf Menschenrechte achten.

    Großunternehmen sollen in Zukunft Risikomanagement und „Risikoanalysen“ durchführen. Für mittelbare Zulieferer jedoch nur „anlassbezogen“, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ über eine mögliche menschenrechtliche Verletzung erlangen. Dabei findet Überausbeutung besonders am Anfang der Lieferkette statt.

    Damit ist schon der Handlungsbereich, in dem die Unternehmen aktiv werden müssen, massiv eingegrenzt. Wirklich interessant wird es jedoch, wenn es um die Frage geht, was denn geschieht, wenn Menschenrechtsverletzungen entlang von Produktionsketten festgestellt werden?

    Lobbyisten-Politiker:innen richten über Großkonzerne

    Verstoßen Unternehmen gegen ihre „Sorgfaltspflichten“, handeln sie in Zukunft ordnungswidrig (es ist also keine Straftat!). Dann können sie von der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Wirtschaft-und Ausfuhrkontrolle (BAFA), mit Bußgeldern belegt werden, die sich an der Schwere des Vergehens wie auch an dem Gesamtumsatz des Unternehmens orientieren. Bei erheblichen Verstößen gegen das Sorgfaltspflichtengesetz ab einer Bußgeldhöhe von mindestens 175.000 Euro ist ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen vorgesehen.

    Das könnte sich nach einer realen Einschränkung anhören. Die Krux ist aber: Das BAFA ist eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi). Gerade von dort aus wurden in den letzten Monaten nochmal viele Abschwächungen eingefügt. Das BAFA ist gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium weisungsgebunden und damit auch den obersten Lobbyisten des Kapitals in Deutschland wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.

    Tatsächlich können Unternehmen in Zukunft also nur durch eine Unterbehörde vom deutschen Wirtschaftsministerium bestraft werden. Es fehlt eben eine zivilrechtliche Haftungsregel, wonach Unternehmen für Schäden haften, die sie durch Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben.

    Das heißt: Eine Betroffene, wie z.B. die Tochter einer getöteten Fabrikarbeiterin, kann nicht gerichtlich klagen, sondern nur das BAFA auffordern, aktiv zu werden. Damit ist weder Schadensersatz noch Wiedergutmachung für die Geschädigten drin. Es ist also insgesamt ein absolut zahloser „Tiger“ und damit nicht mehr als ein PR-Gag, ein nächster Schritt des Kapitalismus, das Image ein bisschen aufzupolieren, ohne etwas an der Ausbeutung zu ändern. Es ist damit ein Schlag ins Gesicht der über 1.000 Opfer vom Rana Plaza und vielen weiteren Rana Plazas weltweit.

    • Perspektive-Autor und -Redakteur seit 2017. Schwerpunkte sind Geostrategie, Rechter Terror und Mieter:innenkämpfe. Motto: "Einzeln und Frei wie ein Baum und gleichzeitig Geschwisterlich wie ein Wald."

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