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Mittwoch, April 24, 2024
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    Polizeigewalt bei #VersGStoppen: “Ich wurde über mehrere Minuten hinweg von der Polizei in einer Tiefgarage misshandelt”

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    Am Samstag demonstrierten mehrere Tausend in der Landeshauptstadt NRWs gegen das geplante Versammlungsgesetz. Im Zuge dessen kam es zu heftigen Repressionen und massiver Polizeigewalt. Baran Kizil* wurde in eine Tiefgarage gezerrt und dort verletzt. – Im Interview mit Perspektive berichtet er – auch davon, warum ihn diese Gewalt nicht aufhält. 

    Perspektive Online: Am Samstag protestierten tausende von Menschen gegen das geplante Versammlungsgesetz in NRW. Du warst einer von den Demonstrierenden. Welche Beweggründe brachten dich an diesem Tag auf die Straße?

    Ich möchte mich erst einmal bei euch dafür bedanken, dass ihr die Ereignisse am vergangenen Samstag in Düsseldorf aus unserer Perspektive in die Öffentlichkeit tragt. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, und wir haben alle gesehen, wie selbst Journalist:innen ebenfalls von der massiven Polizeigewalt betroffen waren. Mehrere tausend Menschen haben sich am Samstag in Düsseldorf zusammengefunden und demonstrierten gegen das geplante Versammlungsgesetz in NRW, da es einen offensichtlichen Angriff auf unsere Versammlungsfreiheit darstellt und so nicht hingenommen werden kann.

    Als Antifaschist:innen und Antikapitalist:innen beobachten wir seit mehreren Jahren eine Reihe an Repressionen und sich verschärfenden Gesetzen, die uns einschüchtern sollen. Doch gemeinsam haben wir wieder einmal gezeigt, dass nicht die rechten Politiker:innen im Landtag das Sagen haben. Ich möchte als Arbeiter das Recht haben dürfen, mit meinen Arbeitskolleg:innen in Arbeitsuniform zu streiken ohne einem „Uniformierungsgesetz“ zu unterliegen.

    Gleichzeitig akzeptiere ich als Internationalist auch keine härteren Maßnahmen, weil ich gegen die Nazis, die mit ihrer rechten Propaganda in unseren Stadtteilen zu spalten versuchen, protestiere. Für die CDU kann dies Meinungsfreiheit sein, für uns als Migrant:innen ist es aber eine konkrete Gefahr auf unsere Existenz und wird auch weiterhin nicht unbeantwortet bleiben.

    Die Polizei griff noch während der Demonstration ein, und am Ende des Tages gab es mehrere Verletzte. Welche Beobachtungen und Erfahrungen hast du am Samstag mit der Polizei gemacht?

    Die Angriffe der Polizei waren willkürlich und unbegründet. Erst griffen sie den antifaschistischen Block an und danach auch andere Blöcke wie den antikapitalistischen-internationalistischen Block, in dem ich mich befand. Die Brutalität der Polizeigewalt war an diesem Tag noch viel stärker als sonst. Es machte den Anschein, als würden sie schon praktische Ausführungen ihrer härteren Maßnahmen gegen die Versammlungsfreiheit vollbringen.

    Die Polizei zeigte wieder einmal, auf welcher Seite sie steht. Nach mehreren Fällen von faschistischer Organisierung innerhalb der Polizei wundert uns dies nicht sonderlich. Viele Kinder und Jugendliche wurden an diesem Tag von Polizisten verletzt. Eine Genossin im Rollstuhl behindertenfeindlich beleidigt und eine weitere Genossin während ihrer Festnahme sexistisch angegangen. Ich musste mir anhören, dass ich nichts auf einer Demonstration zu suchen habe, wenn ich kein Deutsch könne. Dies ist nur ein Teil des Erlebten, aber sagt bereits viel über die Haltung der Polizei am vergangenen Samstag.

    Augenzeug:innen berichteten davon, dass du kurz vor der Ankunft am Landtag in eine Tiefgarage gedrängt wurdest und sie danach nur noch Schreie hörten. Was genau ist geschehen?

    Während ich mit weiteren Demonstrant:innen gegen die Angriffe der Polizei protestierte, erlebte ich massive Polizeigewalt, die meinen Protest zu stoppen versuchte. Ein Polizist kam während der Auseinandersetzung auf mich zu und schlug mir auf die Brust. Ich konnte danach nur noch schwer atmen. Ich wurde weggezerrt und mehrere Polizisten rannten auf mich zu und umzingelten mich. Obwohl ich mich nicht wehrte, schubsten sie mich danach mit dem Kopf voran zu Boden und drückten mir den Hals so zu, dass ich kaum noch Luft bekam.

    Ich schrie, doch sie machten weiter und fesselten meine Handgelenke und Knöchel. Umstehende Demonstrant:innen versuchten, die Polizisten zur Vernunft zu bringen, doch sie hörten nicht. Sie zerrten mich den Boden entlang in den Eingang einer Tiefgarage, somit war ich außer Sichtweise der Augenzeug:innen. Obwohl ich mehrfach schrie und sagte, dass sie mir wehtue, stürzten sie sich weiterhin auf mich. Ich frage mich welche Maßnahme dies erforderlich machte, denn ich war ja bereits fixiert.

    Weder Sanitäter:innen, noch Journalist:innen wurden in meine Nähe gelassen. Über mehrere Minuten hinweg konnte die Polizei mich ohne Sicht der Demonstrant:innen in der Ecke einer Tiefgarage mit ihrer Polizeigewalt misshandeln. Sie trugen mich durch einen anderen Ausgang heraus, indem sie ihre Schlagstöcke zwischen meine Arme und Beine schoben. Sie wollten mich demütigen, doch solange du weißt, dass du auf der richtigen Seite stehst, bringen diese Versuche relativ wenig.

    Danach wurde ich in einen Wagen gesetzt und nach längerer Zeit mit einer anderen Genossin, die danach verhaftet wurde, in das nächste Polizeirevier gebracht, aus dem ich erst kurz vor Mitternacht entlassen wurde. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Menschen bedanken, die sich mit mir solidarisch zeigten und mich nicht alleine ließen.

    In welchem Zustand befindest du dich jetzt?

    Meine physischen Verletzungen stellen eine lange Liste da. Im ganzen Gesicht, am Kopf, an den Schultern, an den Armen, an den Knöcheln, an den Rippen und am Hals befinden sich noch die Spuren der Tat. Meinen Kopf kann ich nicht richtig drehen und meine Arme schwer heben. Für die kommenden Tage erklärte der Arzt mich für arbeitsunfähig. Kaum zu glauben, wenn man sich vorstellt, dass es sich „allein“ um die Teilnahme an einer Demonstration handelt.

    Die Erfahrungen werden auch weiterhin psychische Narben hinterlassen. Doch für mich ist klar, dass dies ein Grund mehr ist, um weiterhin zu demonstrieren und unsere Grundrechte zu verteidigen. Als Teil der antifaschistischen Bewegung werden wir die Antwort auf diese Angriffe auf der Straße zeigen. Die willkürlichen Angriffe der Polizei am Samstag zeigen klare Einschüchterungsversuche und die Bestrebung, das geplante Versammlungsgesetz in NRW auf jeden Fall durchzusetzen.

    Gestern zeigten wir mit mehreren Tausenden, dass wir dies nicht akzeptieren. So werden wir auch morgen auf den Straßen sein und zeigen, dass wir die Polizeigewalt nicht hinnehmen werden. Politik wird auf der Straße und nicht hinter verschlossenen Räumen gemacht. Die Entscheidung zum geplanten Versammlungsgesetz wurde somit bereits von den Menschen gefällt – und abgelehnt. Die Landesregierung sollte dies akzeptieren und den Entwurf endlich zurückziehen. So oder so ist für uns klar: Der Widerstand muss weitergehen!

    *Name geändert. Wirklicher Name ist der Redaktion bekannt.

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