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Freitag, April 19, 2024
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    Warum Gerichtsurteile das Versammlungsrecht nicht schützen

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    Am 8. September sind gleich zwei späte Urteile verkündet worden, mit denen Gerichte linken Aktivist:innen im Nachhinein Recht gegeben haben. Nur – wem nützt es, nach der Verletzung der eigenen Grundrechte Recht zu bekommen? – Ein Kommentar von Paul Gerber

    Die Baumhäuser im Hambacher Forst mit Verweis auf den Brandschutz zu räumen, war also rechtswidrig. Zumindest sah das das Kölner Verwaltungsgericht am Mittwoch so. Es bemängelte insbesondere, dass in der entsprechenden Weisung des Ministeriums an die zuständige Gemeinde ersichtlich gewesen sei, dass der Brandschutz nur ein vorgeschobener Grund sei.

    Es ist schon besonders dreist, derartige Anweisungen für die eigene Dokumentation so zu schreiben, dass ein Gericht sie mit Verweis darauf drei Jahre später für rechtswidrig erklären kann. Nur nützt dieses Urteil weder den Aktivist:innen noch den Baumhäusern heute noch irgendetwas.

    Ganz ähnlich steht es um den extremen Tiefflug von einem Bundeswehr-Tornado über ein Protestcamp, das sich 2007 gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm stellte. Auch hier urteilte das Oberverwaltungsgericht Greifswald am Mittwoch, der Überflug sei nicht rechtmäßig gewesen und stelle eine unzulässige Einschränkung des Versammlungsrechts dar.

    Solche Fälle sind keine Seltenheit: Unter anderem im Frühjahr 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie war das Versammlungsrecht für einige Wochen faktisch außer Kraft gesetzt., mit Verweis auf die Pandemie wurden auch Versammlungen unter freiem Himmel mit politischem Charakter vielerorts grundsätzlich verboten. Das Bundesverfassungsgericht kritisierte dies am 15. April 2020 zwar, aber auch hier nützte das Urteil allen, die gerne vorher demonstriert hätten, nichts.

    Wahrscheinlich werden diese Beispiele in nächster Zeit zusätzlich vor allem angeführt werden, wenn Demonstrat:innen sich gegenüber Angriffen der Polizei entschlossen wehren oder gar unangemeldet demonstrieren, um zu beweisen, dass man nur auf den “Rechtsstaat” vertrauen müsse und dann ja auch Recht bekomme, wenn man im Recht sei.

    Nur beweisen die Urteile doch viel mehr das Gegenteil: Im Zweifel nützt es gar nichts, sich auf Gerichte zu verlassen, wenn die eigenen Grundrechte eingeschränkt werden. Sie urteilen meist erst dann, wenn die entsprechende Aktion oder Versammlung abgeschlossen ist – oft erst Jahre später.

    Auch die Konsequenzen für die konkret handelnden Polizist:innen, Bundeswehrsoldat:innen und Beamt:innen halten sich stets in äußerst engen Grenzen. Mehr als ein paar mahnende Worte dürften da wohl nicht drohen – ein effektiver Schutz gegen die nächste Grundrechtsverletzung wird dadurch jedenfalls nicht gewährleistet.

    Wer also weiter in diesem Land demonstrieren will, tut sicher gut daran, die eigenen Rechte und auch solche Urteile zu kennen – gegen staatliche Willkür hilft aber im Zweifel eher ein entschlossenes und gut organisiertes Auftreten der Demonstrant:innen.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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