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Donnerstag, April 25, 2024
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    Apotheker bittet Polizei, nicht auf seinem Parkplatz zu kontrollieren – diese reagiert mit Schlägen und Festnahme

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    In Hessen wurde im vergangenen September ein Apothekeninhaber von zwei Polizisten mit Schlagstöcken zusammengeschlagen. Er hatte diese zuvor darum gebeten, seine privaten Parkplätze nicht mit ihrem Polizeiauto zu blockieren. Der Fall reiht sich ein in eine lange Liste von gewaltsamen Übergriffen durch Polizist:innen.

    Am 20.09.2021 bemerkte Dr. Okan Osman-Oglou, der Inhaber einer Apotheke im hessischen Kelsterbach, zwei Polizeibeamte, die auf dem Parkplatz seiner Apotheke Verkehrskontrollen durchführten. Dabei blockierten sie Parkplätze auf seinem Grundstück und kontrollierten zudem die Kund:innen der Apotheke.

    Nachdem der Inhaber die Polizisten darauf ansprach und bat, die Kontrollen nicht auf seinem Parkplatz durchzuführen, reagierte einer der beiden Beamten aggressiv. Nachdem Dr. Osman-Oglou seine Forderung darauf hin wiederholte, verlangten die Polizisten seinen Ausweis, der sich zu dieser Zeit noch in seinem Büro in der Apotheke befand.

    Auf seine Bitte hin, den Ausweis zu holen zu dürfen, hielt einer der Polizisten ihn mit Gewalt fest und verlangte die sofortige Vorlage der Papiere. Die Situation eskalierte, der Polizeibeamte drückte den Apothekeninhaber Richtung Schaufensterscheibe und forderte ihn auf, sich auf den Boden zu legen.

    Als dieser sich weigerte, da es keinen offensichtlichen Grund für eine Festnahme gab und darum bat, die Angelegenheit auf dem Polizeirevier zu klären, begann der Beamte einem Zeugenbericht zufolge, mit einem Teleskop.Schlagstock „in die Kniekehlen und seitlich auf die Beine“ des Apothekers einzuschlagen, um ihn zu Fall zu bringen.

    Erst durch die Courage von Zeug:innen, die die Polizisten lautstark auf ihren Machtmissbrauch hinwiesen, hielten die Polizisten inne und brachten Dr. Osman-Oglou zum Polizeirevier. Dort wurde er nach 30 Minuten wieder freigelassen und ließ sich seine Verletzungen in Form von zahlreichen Prellungen und Ödemen in einem Krankenhaus attestieren.

    Gegenseitige Anklage

    Außerdem erhob Osman-Oglou Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt, sowie eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Polizeipräsidium Südhessen.

    Kommt es zu einer Anzeige wegen Polizeigewalt, ist es üblich, dass auch die Polizei ihrerseits mit einer Anklage reagiert. In diesem Fall wirft sie ihm Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Die Aussagen der Polizei, der Apotheker sei „laut brüllend auf die Streife“ zugegangen und habe in Folge „einen Beamten leicht im Gesicht“ verletzt, widersprechen dabei den zahlreichen Berichten von Augenzeug:innen des Vorfalls.

    Laut dem Nachrichtenportal Apotheke-Adhoc, das zuerst über diesen Fall von Polizeigewalt berichtete, haben bisher bereits sieben Zeug:innen die Darstellung des Vorfalls aus der Sicht des Apothekers Osman-Oglou bestätigt. Insgesamt könnten 20 Zeug:innen den genauen Tathergang vor Ort beobachtet haben. Hinzu kommt, dass Passant:innen den gewaltsamen Übergriff mit ihrem Smartphone filmten, wodurch die Beweislage eindeutig gegen die Polizisten sprechen sollte. Der Anwalt des Apothekers schätzt die Dauer des beginnenden Rechtsstreits dennoch auf über 2 Jahre.

    Fast alle Anzeigen gegen die Polizei werden fallengelassen

    Obwohl es immer wieder glaubhafte Berichte von massiver Polizeigewalt gibt, zeigen Untersuchungen der Ruhr-Universität Bochum wie selten Polizist:innen für ihren Amtsmissbrauch wirklich zur Rechenschaft gezogen werden. Von 3.400 untersuchten Fällen, endeten nur sieben damit, dass ein:e Polizist:in auch wirklich verurteilt wurde. Damit werden 93 Prozent der Ermittlungen gegen Polizeibeamt:innen eingestellt, was wiederum dazu führt, dass nur neun Prozent der Opfer von Polizeigewalt überhaupt Anklage erheben wollen.

    Studie zu Polizeigewalt: jährlich mindestens 12.000 Übergriffe – doch die Polizei kommt nahezu immer davon

    Dies hängt damit zusammen, dass in solchen Fällen automatisch von Seiten der Polizei Gegenanzeige erstellt wird, die – wie auch hier – meist auf den Tatbestand des „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ hinausläuft. Da Gerichte auf die Zusammenarbeit und Verlässlichkeit der Polizei bei ihrer Arbeit angewiesen sind, schenken sie tendenziell den Täter:innen in Uniformen mehr Glauben.

    Dadurch müssen Opfer von polizeilicher Gewalt zusätzlich zu ihren traumatischen und schmerzhaften Erfahrungen mit Polizist:innen noch mit Repressionen durch die Gerichte rechnen.

    Eine unabhängige Ermittlungsstelle, die Polizeigewalt neutral und unabhängig untersucht, fehlt hierzulande immer noch. Stattdessen müssen Kolleg:innen gegen Kolleg:innen ermitteln, wodurch eine gewissenhafte und neutrale Ermittlung zu bezweifeln ist. Dabei ist vor allem der sogenannte „Korps-Geist“ zu beachten, der dafür sorgt, dass sich Polizist:innen gegenseitig auch bei offensichtlichen Fehltritten decken.

    Tobias Singelnstein, Professor der TU Berlin, nennt diesen Zusammenhalt auch „Mauer des Schweigens“: es dürfe nicht gegen Kolleg:innen ausgesagt werden, ansonsten habe man mit „negativen Folgen“ zu rechnen.

    Diese Missstände in Deutschland wurden bereits mehrfach von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisiert, passiert ist in Deutschland diesbezüglich aber kaum etwas.

    Struktureller Rassismus bei der Polizei

    Auf Twitter äußerten User:innen kurz nach Veröffentlichung außerdem den naheliegenden Verdacht, die mutmaßlichen Täter in Südhessen hätten zudem rassistisch gehandelt, da der Apotheker einen ausländisch klingenden Namen trägt.

    In der Tat zeigen unzählige Erfahrungsberichte, dass die Polizei ein strukturelles Problem mit Rassismus hat. Alltag ist vor allem das sogenannte „Racial Profiling“, bei dem Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei überdurchschnittlich oft verdächtigt und kontrolliert werden.

    Die Tode von Oury Jalloh in Dessau, Amad Ahmad in Kleve oder Robble Warsame in Schweinfurt; die Verstrickung von deutschen Polizist:innen in die „Nordkreuz“-Gruppe, mehrere Polizist:innen-Chats mit rechtsradikalen Inhalten; oder zuletzt die Weitergabe von Informationen über Ermittlungen gegen Lina E. an einschlägige Neonazis – sie alle zeigen unter anderem, dass die Polizeiprobleme nicht bei rassistischen Kontrollen aufhören, sondern sich auch tief in faschistische Netzwerke hineinziehen, die nicht vor Feindeslisten und mutmaßlichen Morden zurückschrecken.

    Die Forscher:innen der Ruhr-Universität Bochum gehen in einer Untersuchung von jährlich 12.000 rechtswidrigen Übergriffen durch Polizeibeamt:innen aus, das sind fünf Mal so viele wie angezeigt werden. Der Fall Dr. Osman-Oglou reiht sich damit ein in die lange Liste von gewaltsamen Übergriffen durch die Polizei. Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens diesmal durch die erdrückende Beweislage die Polizisten für ihr gewalttätiges Verhalten bestraft und suspendiert werden.

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