Der Staatsanwalt des „Internationalen Strafgerichtshofs“ (IStGH) hat angekündigt, die Wiederaufnahme von Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in Afghanistan anzugehen. Dabei will er sich auf die Aktionen der Taliban und des Ablegers ISIS-K konzentrieren. Untersuchungen von Kriegsverbrechen der US-Streitkräfte sollen derweil „depriorisiert“ werden. Ein Anwalt für mutmaßliche Opfer von US-Folter in Afghanistan zeigte sich „fassungslos“.
Der Internationale Strafgerichtshof wurde 2002 gegründet, um Kriegsverbrechen nachzugehen, die durch die nationalen Regierungen ungesühnt bleiben. Die USA haben den Gerichtshof von Beginn an nicht anerkannt, um die Aufklärung ihrer eigenen Kriegsverbrechen – unter anderem in Afghanistan und im Irak – zu verhindern.
Der IStGH hatte bereits 15 Jahre für die Voruntersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen in Afghanistan gebraucht, bevor er letztes Jahr eine umfassende Untersuchung einleitete.
Das Gericht hatte dabei festgestellt, dass zwischen 2003 und 2014 viele Kriegsverbrechen verübt wurden, darunter mutmaßliche Massentötungen von Zivilisten durch die Taliban sowie vermutliche Folterungen von Gefangenen durch afghanische Behörden – aber eben auch in geringerem Maße durch US-Streitkräfte und die CIA.
Die Untersuchung des in Den Haag ansässigen IStGH war im Jahr 2020 jedoch auf Eis gelegt worden, nachdem die jetzt gestürzte Regierung in Kabul angekündigt hatte, sie wolle versuchen, Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen selbst zu untersuchen.
Druck zeigt Wirkung
Im April hatte die US-Regierung zudem Sanktionen gegen die Staatsanwaltschaft wegen der Untersuchung zur Rolle der US-Streitkräfte verhängt. Im April wurden diese zurückgenommen. Doch die Aktion der Trump-Regierung scheint Wirkung gezeigt zu haben.
So heißt es auf der Website des IStGH am Montag, dass ein Antrag zur Untersuchung von Kriegsverbrechen in Afghanistan angesichts der Entwicklungen seit der Übernahme der Taliban über das Land an die Richter des Gerichts gestellt wurde.
Arim Khan, der im Juni das höchste Amt am Gerichtshof übernahm, erklärte dazu, dass die Situation in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban dazu geführt habe, dass Kriegsverbrechen wahrscheinlich nicht mehr ordnungsgemäß untersucht würden.
Die begrenzten Ressourcen des IStGH und die Notwendigkeit, sich auf Fälle zu konzentrieren, die am wahrscheinlichsten zu Verurteilungen führen, führten jedoch dazu, dass er seinen Fokus nun auf bestimmte Verbrechen in Afghanistan verengen müsse.
„Deshalb habe ich beschlossen, die Ermittlungen meines Büros in Afghanistan auf Verbrechen zu konzentrieren, die angeblich von den Taliban und dem Islamischen Staat – Provinz Khorasan – begangen wurden, und andere Aspekte dieser Ermittlungen zurückzuziehen“, sagte er. Diese „anderen Aspekte“ sind die Verbrechen der NATO-gestützten afghanischen Armee und natürlich auch der NATO-Armeen, insbesondere der US-Streitkräfte.
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Keinen Fokus auf US-Verbrechen
Ein Anwalt für mutmaßliche Opfer der US-Folter in Afghanistan zeigte sich „fassungslos“, nachdem Khan angekündigt hatte, die Ermittlungen gegen die amerikanischen Streitkräfte zu „depriorisieren“.
Der IStGH-Ankläger erwähnte als zukünftigen Untersuchungsgegenstand ausdrücklich den tödlichen Angriff vom 26. August auf den Flughafen von Kabul, der von der ISIS-K reklamiert wurde, bei dem mehr als 100 afghanische Zivilisten und 13 US-Soldaten getötet wurden.
Ein unmittelbar danach erfolgter Drohnenangriff durch die US-Streitkräfte, bei dem nach aktuellen Kenntnissen keine ISIS-K-Kämpfer, sondern 10 Zivilisten, darunter 7 Kinder getötet wurden, soll demnach nicht vertieft untersucht werden.
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