Gerade in den Hochphasen der Corona-Pandemie mieden viele Menschen Arzt- und Krankenhausbesuche. Das führt nun zu einem Anstieg zahlreicher unbehandelter anderer Krankheiten. Dabei wären viele von ihnen durch die übliche Vorsorgeuntersuchungen verhinderbar gewesen.
Im „Pandemie-Jahr“ 2020 appellierte die Bundesregierung an die Bevölkerung, möglichst alle Kontakte zu anderen Menschen zu meiden. Dadurch, und durch die Möglichkeit der digitalen Krankschreibung und Verschiebung von Untersuchungen und Operationen bzw. Behandlungen kam es dazu, dass viele Menschen nur in den dringendsten Fällen den Gang zum Arzt oder zur Ärztin wagten. Das spiegelt sich nun in der zu späten Erkennung von verschiedenen Krankheiten wieder.
So zeige sich den Statistiken der AOK zufolge z.B. etwa bei den Besuchen zur Früherkennung von Hautkrebs ein Minus von 19,8 Prozent gegenüber 2019. Dieser Trend setzte sich auch im 1. Quartal 2021 mit minus 20,8 Prozent fort. Bei der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs waren es noch minus 5,5 Prozent. Die AOK befürchtet nun, dass die Rückgänge bei den Untersuchungen häufiger zu unerkannten Krankheiten führen könnten, die durch die späte Erkennung noch tödlicher seien: „Dies könne sich mittelfristig in einem größeren Anteil höherer Schweregrade bei den Erkrankungen zeigen und auf die Sterblichkeit auswirken.“
Laut der Zahlen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) gab es ab April 2020 bei allen Fachärzt:innen einen Rückgang der Inanspruchnahme von Untersuchungen. So sanken bei den Kinder‐ und Jugendärzt:innen im April 2020 die Zahlen mit ‐34,9 % am deutlichsten, gefolgt von der Gruppe der Fachärzt:innen (‐26,7 %), der Hausärzt:innen (‐23,5 %) und der Psychotherapeut:innen (‐12 %). Bei der Gruppe der Fachärzt:innen sind neben den Augenärzt:innen (‐42,9 %) und den HNO‐Ärzt:innen (‐37,5 %) insbesondere die Strahlentherapeut:innen betroffen, deren Fallzahlen bei der Behandlung gutartiger Erkrankungen bzw. nach strahlentherapeutischer Behandlung am stärksten sinken (‐58,2 % bzw. ‐69,4 %).
Dieser Negativtrend zeichnet sich auch bei den Lungenkrebsfällen ab. Report Mainz hat die 20 Krankenhäuser mit den meisten Lungenkrebs-Patient:innen angefragt. Von denen, die Angaben machen konnten, sehen 71 Prozent jetzt mehr Patient:innen mit schweren Lungentumoren als vor Corona im Jahr 2019. An der Thorax-Klinik in Heidelberg beläuft sich die Steigerung nach eigenen Angaben auf 20 Prozent, auch am Evangelischen Lungenkrankenhaus in Berlin sehen die Ärzt:innen ein Fünftel mehr Fälle mit schwerem Verlauf.
Weitere Anfragen von Report Mainz ergaben eine dramatische Verschlechterung der Lage von Diabetiker:innen in Kliniken. 50 Prozent der Kliniken, die über Zahlen verfügen, sehen eine deutliche Steigerung schwerer Fälle. Beim Schmerz berichten 44 Prozent über eine deutliche Verschlechterung der Situation ihrer Patient:innen, oftmals weil der Arztbesuch versäumt wurde.
Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit, betont nun, dass möglichst alle versäumten Untersuchungstermine nachgeholt werden sollen. Sie wirft dem Gesundheitsministerium vor nicht angemessen mit der Angst der Leute umgegangen zu sein. Es hätte klar kommuniziert werden sollen, dass Vorsorgeuntersuchungen und andere Arztbesuche auch in Zeiten der Pandemie eingehalten werden sollen.