Vor 50 Jahren wurde der „Radikalenerlass“ verabschiedet. Damit sollten „Verfassungsfeinde“ aus den Behörden und öffentlichen Institutionen herausgehalten werden. Federführend war der von Alt-Nazis aufgebaute Geheimdienst „Verfassungsschutz“, sodass vor allem tausende Linke betroffen waren. Noch immer werden Antifaschist:innen durch den Erlass belangt – unter anderem wegen ihrer Zusammenarbeit mit der „Roten Hilfe“. Diese fordert nun endlich Entschädigungen und ein Ende der Berufsverbotspraxis.
Am 28. Januar jährt sich zum 50. Mal die Verabschiedung des Radikalenerlasses. Unter Vorsitz des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt verabschiedeten die Ministerpräsidenten der Länder einen Beschluss, der die Behörden anwies, den Öffentlichen Dienst von sogenannten „Verfassungsfeinden“ zu säubern. Dafür stimmte auch der NS-Richter Hans Filbinger, damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Betroffen waren Postbot:innen, Lokführer:innen, Lehrer:innen, Verwaltungsbeamt:innen und viele andere mehr.
In den folgenden Jahren wurden ca. 3,5 Millionen Bewerber:innen für Berufe im Öffentlichen Dienst überprüft. Das Material lieferte der von Altnazis aufgebaute Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen „Verfassungsschutz“ (VS). Um die sogenannten „Regelanfragen“ zu jedem Anwärter zu bewältigen, wurde der VS zu einem gigantischen und nahezu unkontrollierbaren Apparat aufgebläht.
Die Überprüfungen führten bundesweit zu etwa 11.000 Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.256 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Betroffen waren Kommunist:innen, andere Linke bis hin zu SPD-nahen Studierendenverbänden, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und Gewerkschafter:innen. In Bayern traf es auch Sozialdemokrat:innen und in der Friedensbewegung engagierte Menschen.
Tausende linke Betroffen
Als gesetzliche Grundlage griffen die Regierenden auf die „Gewährbieteklausel“ des deutschen Beamtenrechts zurück, die aus dem nationalsozialistischen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom Mai 1933 stammt.
Ihr zufolge muss den Staatsbediensteten keine ablehnende Haltung gegenüber der Verfassung nachgewiesen werden, sondern es liegt umgekehrt an ihnen, die Zweifel des Dienstherren auszuräumen – ein praktisch unmögliches Unterfangen, das die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung außer Kraft setzt. Personen, die „nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt oder gar nicht erst eingestellt.
Es folgte eine mehr als zehn Jahre andauernde Hexenjagd auf radikale Linke, die bis hinein ins linksliberale und sozialdemokratische Lager Opfer forderte. Rechte waren trotz der offiziellen „antiextremistischen“ Begründung
des Radikalenerlasses faktisch nie betroffen. Die politische Kultur der BRD wurde durch das so geschaffene Klima von Einschüchterung und Duckmäusertum nachhaltig geprägt, auch wenn die einschlägigen juristischen
Bestimmungen nach 1984 nur vereinzelt angewendet wurden.
Nach 1990 weiter verwendet
Auch nach dem Ende der Sowjetunion wurde der „Radikalenerlass“ weiter angewendet. Prominente Fälle waren der Realschullehrer Michael Csaszkóczy im Jahr 2004 und der Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger im Jahr 2016. Beiden wurde unter anderem ihr Engagement für die Rote Hilfe e.V. vorgeworfen. In beiden Fällen konnte das Berufsverbot schließlich durch eine breite Solidaritätskampagne abgewendet werden, im Fall Csaszkóczys allerdings erst nach jahrelangen Prozessen.
Die ungezählten Betroffenen der 1970er und 1980er Jahre fordern bis heute vergeblich ihre Rehabilitierung und Entschädigung. Stattdessen hat die neue Bundesregierung ausgerechnet zum 50. Jahrestag des Radikalenerlasses angekündigt, wieder verstärkt auf die unheilvolle „Gewährbieteklausel“ zurückgreifen zu wollen, um „Verfassungsfeinde
schneller aus dem Öffentlichen Dienst zu entfernen“. Begründet wird dies wieder einmal mit der Gefahr eines „Extremismus von links und rechts“.
Dass ausgerechnet der mit der rechten Szene eng verbundene Inlandsgeheimdienst erneut mit der Beurteilung der vermuteten „Verfassungstreue“ beauftragt wird, lässt schon jetzt erahnen, gegen wen sich die Jagd auf „Verfassungsfeinde“ erneut richten wird.
Hierzu erklärt Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.: „Die Rote Hilfe e.V. erteilt zum 50. Jahrestages des Radikalenerlasses erneut allen Bestrebungen, das antidemokratische Repressionsinstrument der Berufsverbote wiederzubeleben, eine klare Absage. Wir fordern die längst überfällige Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen. Der sogenannte
‚Verfassungsschutz‘ muss endlich entmachtet und aufgelöst werden.“