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Zeitung für Solidarität und Widerstand

„Die bundesweite Solidarität war überwältigend und hat Jo und Dy den Rücken gestärkt“

Mitte Oktober 2021 erhielten zwei Antifaschisten mit den Spitznamen Jo und Dy hohe Haftstrafen von 4,5 und 5,5 Jahren. Sie sollen an einer handfesten Auseinandersetzung mit Mitgliedern der rechten Scheingewerkschaft „Zentrum Automobil“ beteiligt gewesen sein. Es folgten Solidaritätsaktionen und eine große Antifa-Demo in Stuttgart. Wie werden der Prozess und das Urteil eingeschätzt und wie geht es weiter in der Antirepressionsarbeit? – Wir haben mit Carla von der Solidaritätskampagne „Antifaschismus bleibt notwendig“ gesprochen.

Die Antifaschisten Dy und Jo wurden im Oktober zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Wie bewertet ihr den Prozess und das Urteil?

Das gesamte „Wasen-Verfahren“, sowie der Prozess gegen die Antifaschisten Jo und Dy sind politisch motiviert und stellen einen staatlichen Angriff auf die antifaschistische Bewegung dar. Der Baden-Württembergische CDU-Innenminister kommentierte die Hausdurchsuchungen im Sommer 2020 mit den Worten „Wir kriegen euch“.

Der Prozess gegen Jo und Dy wurde bewusst in das Gebäude des Oberlandesgerichts im Knast in Stuttgart-Stammheim verlegt, dass extra für sog. „Terrorprozesse“ gebaut wurde und damit in die Nähe des Terrorismus gestellt. Das Ganze, obwohl eigentlich vor dem „normalen“ Landgericht verhandelt wurde.

„Bereits die Anklage gegen die beiden Antifaschisten beruht einzig auf Indizien.“

So konnte im Prozess kein Zeuge Jo oder Dy direkt erkennen oder belasten. Einzig die DNA-Abgleiche, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese durch unsaubere Arbeit der Ermittler entstanden sind, sollen die Anklage stützen. Hinzu kommt eine Aussage einer Vertrauensperson, die Dy beschuldigen soll.

Hier ist weder bekannt, woher diese Aussage stammt, noch wie glaubwürdig sie ist und auch Aussagen und Erkenntnisse, die eher für Jo und Dy sprechen würden, wurden als mögliche Interpretationen abgetan. Schon früh zeichnete sich ab, dass an Jo und Dy ein Exempel statuiert werden sollte und dass sich das Gericht auch schon vor einem Urteilsspruch in der Verurteilung und seiner Höhe sicher war.

Dies bestätigte das letztendliche Urteil, bei dem eine klare, politische Begründung dargelegt wird und es dem Gericht offen um eine politische Delegitimierung antifaschistischer und revolutionärer Politik geht. Beispielsweise spricht es von Handeln aus „ideologischer Verblendung“ und von „Linksextremisten, wie man sie sich vorstellt“.

Wie geht es den beiden Antifaschisten jetzt? Zu welchen konkreten Unterstützungsaktionen ruft ihr auf?

Jo und Dy geht es den Umständen entsprechend: Dy sitzt auch nach dem Urteilsspruch weiterhin in Untersuchungshaft. Das sind seit November 2020 nun bald 1,5 Jahre. Jo, der bereits nach sechs Monaten Untersuchungshaft im Januar 2021 entlassen wurde, ist aktuell in Freiheit.

Die bundesweite Solidarität im Anschluss an die Hausdurchsuchungen und zum Urteil war überwältigend und hat allen Betroffenen, insbesondere Jo und Dy, den Rücken gestärkt.

„unzählige Soli-Bilder wurden geschossen, viele Briefe nach Stammheim geschickt und Soli-Abende und Aktionen veranstaltet.“

Die kommenden Wochen, Monate und vielleicht auch Jahre werden ein langer und zäher Weg für alle Betroffenen, der neben Zeit und Nerven vor allem auch Geld kosten wird. Allein ein Prozesstag hat uns rund 40€ für Verpflegung und Material etc. gekostet. Zusätzlich fallen neben den direkten Folgen der Hausdurchsuchungen auch Gerichts- und Anwaltskosten für alle Betroffenen an und es stehen hohe Schadensersatzforderungen der Nazis im Raum.

Schreibt also weiter Briefe, organisiert weitere Soli-Abende und spendet für die von Repression betroffenen Antifaschist:innen aus Baden-Württemberg. Ansonsten steht der Tag der politischen Gefangenen, der 18.03., vor der Tür, und sobald es im Verfahren weitergeht, werden wir auch dieses wieder begleiten.

Was erwartet ihr vom anstehenden Revisionsprozess?

Das Urteil gegen Jo und Dy ist noch nicht rechtskräftig. Sowohl die Anwälte der Verteidigung, als auch die Nazi-Nebenklageanwälte haben Revision eingereicht. Bis zu einer möglichen Entscheidung über die Revision kann es aber noch circa sechs Monate dauern. Stand jetzt gibt es kleinere Verfahrensfehler. Wir gehen aber trotz einiger formeller Fehler nicht davon aus, dass die Revision große Änderungen des Urteils mit sich bringt.

Das Gericht handelt nach den bürgerlichen Gesetzen des Staates. Dieser soll die Interessen der herrschenden kapitalistischen Klasse absichern und aufrecht erhalten. Die Justiz ist deshalb keine neutrale Instanz, sondern schützt die wirtschaftliche und politische Herrschaft einer kleinen Klasse.

„Wir sprechen hier von Klassenjustiz.“

Eine organisierte linke Politik und militante Ansätze bieten aktuell das Potential einer Keimzelle, die aufkommende soziale Widersprüche aufgreifen und entwickeln kann – hin zu einer revolutionären Überwindung des bestehenden Systems. Wir denken nicht, dass diese Gefahr für die Herrschenden gerade wirklich real ist, das heißt aber nicht, dass sie sich ihrer nicht bewusst sind und dementsprechend präventiv handeln.

Welche weiteren Verfahren gibt es derzeit gegen Antifaschist:innen in Baden-Württemberg?

Genau wie in vielen Teilen Deutschlands kommt es auch in Stuttgart immer wieder zu kleinen und größeren Prozessen gegen Antifaschist:innen und Linke.

Neben Dy sitzt auch der Antifaschist Findus seit Juli 2021 in Haft. Nach einer Reihe an Verurteilungen und Anklagepunkten, die überwiegend in Verbindung mit antifaschistischem Widerstand stehen, musste er eine zweieinhalbjährige Haftstrafe antreten.

Acht Antifaschist:innen blockierten im September 2020 eine AfD-Veranstaltung im Stuttgarter Rathaus. Trotz Schutzes durch Cops, LKA und BKA ist es ihnen gelungen, die Blockade im Inneren, vor dem Veranstaltungsraum durchzuführen. Aktuell stehen alle acht vor Gericht.

Ein weiterer Verfahrenskomplex richtet sich gegen acht Genoss:innen, denen die Beteiligung an einer kämpferischen Spontan-Demonstration am Tag nach dem rassistischen Anschlag in Hanau 2020 vorgeworfen wurde.

Auch der Kommunist und Revolutionär Chris ist mit einem Verfahren konfrontiert, in dem er bereits erstinstanzlich zu einer Knast-Strafe verurteilt wurde. Dazu kommen weitere, noch ausstehende Verfahren, sodass eine Haftstrafe eigentlich unausweichlich ist.

Darüber hinaus gibt es dann noch weitere Verfahren gegen Einzelne, Bußgeldbescheide oder Strafbefehle, z. B. wegen Protesten gegen die AfD oder Querdenken oder sog. Versammlungsdelikte bei Demonstrationen.

Wie sehen eure weiteren Pläne als antifaschistische Solidaritäts-Kampagne aus?

Der Prozess gegen die Antifaschisten Jo und Dy ist mit dem Urteil im Oktober 2021 vorerst beendet. Die Revision, sowie die anderen Prozesse mit weiteren Betroffenen im sogenannten „Wasen-Verfahren“ stehen noch aus, und auch Dy sitzt weiterhin in Untersuchungshaft. Als Solidaritätskampagne werden wir die kommenden Prozesse begleiten und Dy hinter Gittern unterstützen.

Aktuell halten wir in verschieden Städten Deutschlands eine Info- und Diskussionsveranstaltung ab, bei der wir das Verfahren und seine Hintergründe beleuchten, unsere Solidaritätsarbeit greifbar machen und unsere Erfahrungen gemeinsam diskutieren wollen.

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