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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Für Rüstung reicht das Geld, für alles andere nicht?!

In einer Sondersitzung des Bundestags am Sonntag kündigte Olaf Scholz (SPD) an, dass die Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden für Investitionen und Rüstungsvorhaben erhalten soll. – In welche Ausgaben dieses Geld fließen wird, in welche Vorhaben die 100 Milliarden lieber fließen sollten und wo eigentlich das ganze Geld her kommt: ein Kommentar von Tabea Karlo.

Olaf Scholz (SPD) stellte in einer Sondersitzung des Bundestages am Sonntag einen gewagten Plan vor: Deutschland soll wieder Militärmacht werden. Auch wenn er es so harsch und direkt niemals ausgedrückt hätte, ist das die Konsequenz aus der 100 Milliarden Euro schweren Bundeswehrinvestition, die er fordert. Scholz stellt damit einen Aufrüstungsplan in einem Ausmaß vor, wie sich ihn viele von uns vor ein paar Wochen noch gar nicht hätten vorstellen können und wie es ihn historisch in Deutschland noch nie gab. Mit 100 Milliarden soll die ganze Chose allerdings nicht enden.

Scholz, die anderen Parteien und das Kapital wollen mehr: Sie wollen darüber hinaus auch in Zukunft mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in „unsere Verteidigung investieren“. Die zwei Prozent sind eine Richtlinie der NATO, an die sich möglichst jeder Mitgliedsstaat halten soll. Über zwei Prozent – so könnte man sagen – ist verdächtig überambitioniert.

Eine der ersten Fragen, die sich aufdrängt, ist sicherlich, wie man dieses enorme Rüstungspaket finanzieren möchte. Erst einmal wird das Geld wie üblich aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt. Um leichter über das Geld verfügen zu können und rechtlich überhaupt zu ermöglichen, eine 100-Milliarden-Ausgabe zu tätigen, nutzt man das Mittel des „Sondervermögens“. Ein Beispiel, in dem das Sondervermögen bereits genutzt wurde, ist der „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF).

Das KTF zeigt ganz gut, dass man mit Sondervermögen jegliche Grauzonen ausschöpfen und neue legale Möglichkeiten schaffen kann. Es ermöglicht der Regierung zum Beispiel im nächsten Jahr, weiter Mittel aus dem KTF zu nutzen, auch wenn dann die Schuldenbremse vermutlich wieder greift. So stellte Lindner 60 Milliarden Euro ungenutzter Kredite im Dezember in den KTF ein. Die kann der Bund nun nutzen, ohne die kommende Schuldenbremse zu berücksichtigen.

Rechtlich ist das ganze Vorgehen wie bereits erwähnt umstritten. Nun kommt mit dem Sondervermögen ein weiterer Schritt hinzu, der mindestens in einer Grauzone liegt. Denn grundsätzlich erlaubt die Schuldenbremse laut Grundgesetz nur zusätzliche Schulden auf Grund der Pandemie. Was das KTF, aber vor allem die 100 Milliarden Militärausgaben, nun mit Corona zu tun haben, ist eine ausgezeichnete Frage.

Um diese Bedenken aus dem Weg zu räumen, möchte Scholz das Ganze im Grundgesetz festschreiben. Eine Erklärung, die zu wünschen übrig lässt, ist sie doch im besten Falle ein grober Umkehrschluss im Sinne von „ist es legal – ist es auch in Ordnung“. Für diese Verfassungsänderung wird es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag brauchen, sowie die Zustimmung der Länder.

Was wir dabei immer im Kopf behalten sollten: Der Bundeshaushalt, das sind wir Arbeiter:innen. Wir finanzieren diese 100-Milliarden-Ausgabe, und wir und die nächsten Generationen dürfen diese Schulden abstottern. Und wir sind es auch, die unter den Investitionen, die stattdessen fehlen, leiden werden. Die Pfleger:innen, für die man in der Pandemie mit Biegen und Brechen grade mal eine Milliarde klargemacht hat, die sie noch nicht mal vollständig erhalten werden, oder die Tatsache, dass noch immer keine Luftfilter in die Schulen eingebaut sind, sprechen hier eine klare Sprache.

Wo das Geld herkommen soll, hätten wir jetzt geklärt: Aus unserer Tasche. Aber bei 100 Milliarden Militärausgaben stellen sich ja noch mindestens genau so viele andere Fragen. Die vermeintlich offensichtlichste ist die Frage nach dem „Warum“. Scholz argumentiert dabei wie erwartet, dass es nach dem russischen Angriff auf die Ukraine „neue, starke Fähigkeiten“ brauche. Das Ziel dabei sei eine leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr.

Scholz versucht hier ein strategisches Vorhaben der Bundeswehr und des deutschen Kapitals als eine taktische Notwendigkeit zu verkaufen. Klarer ausgedrückt: Scholz versucht letztlich in Namen des deutschen Kapitals, eine ganze Nation zum Narren zu halten. Die Pläne zur Aufrüstung der Bundeswehr sind nicht erst Thema, seitdem die Situation in der Ukraine eskaliert ist. Unser Kollege Julius Strupp hat das bereits gestern ausführlich in seinem Kommentar besprochen: Die Pläne für ein 100 Milliarden Euro schweres Aufrüstungspaket lagen schon lange in der Schublade!

Interessant ist darüber hinaus übrigens auch die heitere Stimmung unter den deutsche Abgeordneten im Bundestag. So beschreibt der Freitag-Verleger Jakob Augstein die Situation: „Was taten die Abgeordneten? Sie erhoben sich von ihren Stühlen und klatschten lange Beifall. Ja, die Worte des Kanzlers gingen im Applaus unter. Es war gespenstisch. Die deutschen Parlamentarier feierten die größte Aufrüstung, die es in der deutschen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg je gegeben hat. Schweigen und stiller Ernst wären angemessen gewesen. Stattdessen war es, als habe der Bundestag an diesem Tag im Februar sein August-Erlebnis. Die Abgeordneten bewilligten im Reichstagsgebäude die 100 Milliarden so, wie ihre Vorgänger im Sommer 1914 die Kriegskredite bewilligt hatten: begeistert und mit gutem Gewissen.“

Wenn man das Beste im Menschen sehen möchte, dann zieht man vielleicht den Schluss, dass die Abgeordneten sich dem Ernst der Lage nicht bewusst waren. Möchte man sie allerdings als Politiker:innen ernst nehmen, dann muss man es böse sagen: Diesen Menschen sind die Opfer in der Ukraine egal.

Sie feiern im Bundestag fröhlich, dass Deutschland grade wieder den Weg zur Militärmacht beschreitet. Mit der neuen 100 Milliarden Investition katapultiert sich Deutschland nämlich von einem schwachen achten Platz direkt auf den dritten Platz der Länder mit den höchsten Militärausgaben der Welt.

Letztlich muss man einen unangenehmen Schluss ziehen: Dieser Krieg wird nicht für Menschenleben geführt, und die Prioritäten der Ausgaben, die der Staat aus dem Bundeshaushalt tätigt, hängen nicht direkt mit den Bedürfnissen der Menschen zusammen, sondern vor allem mit denen des Kapitals.

Würde es um die ukrainische Bevölkerung gehen, dann würde Deutschland nicht versuchen, taktisch die Kosten für Russland in die Höhe zu treiben, um diese als Staat zu schwächen, indem es Waffen für einen voraussichtlich Monate oder sogar Jahre andauernden Krieg liefert. Das ist der erste Beweise dafür. Der andere ist, dass diese Ausgaben gezeigt haben, wie einfach es sein kann, Staatsausgaben locker zu machen, wenn es einem das wert ist. Trotzdem wurden keine Luftfilter in Schulen installiert oder diese digitalisiert, und trotzdem ist der Zugang zu Sozialleistungen so schwer, wie er ist, und diese sind so niedrig, wie wir sie kennen.

Dieser Staat gibt unser Geld in Milliardenhöhe aus, ohne mit der Wimper zu zucken, aber nicht in unserem Interesse!

Tabea Karlo
Tabea Karlo
Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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