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Dienstag, März 19, 2024
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    Ukraine-Krieg: „Eine Frau hätte sowas nie gemacht!“ – über woke feministische Außenpolitik

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    Ist der Ukraine-Krieg eine Folge Putins fragiler Männlichkeit? Das ist zumindest eine populäre These. Doch die Geschichte zeigt: Frauen sind bei Weitem nicht friedlicher. Ein Kommentar darüber, warum Krieg und Frieden zwar viel mit dem Patriarchat, aber nichts mit scheinbar natürlichen, binären Unterschieden zwischen Männern und Frauen zu tun hat – von Olga Wolf.

    Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine wird viel über patriarchale Gewalt geschrieben. „Toxische Männlichkeit bringt uns um“, titelt das Handelsblatt. „Keine zwei von Frauen geführten Länder würden jemals in den Krieg ziehen.“, erklärt facebook-COO Sheryl Sandberg. Viral ging auch die Argumentation eines taz-Artikels, die Panzer an der ukrainischen Grenze als Phallus-Symbole deutete. Ukraine militärisch zu verteidigen sei feministische Außenpolitik, Frauensolidarität, sozusagen, denn es ist DIE ukraina – ein feminines Genus.

    Auch Frauen waren und sind brutale Herrschende

    Dass wir weniger weibliche Kriegsverbrecherinnen kennen, liegt leider nicht an angeborener moralischer Überlegenheit von Frauen. Männer haben die Regeln des Patriarchats geschmiedet, die Frauen schlicht den Zugang zum Militär verwehrt haben. Zum Beispiel, weil viele Frauen schwanger werden können, was für den Fortbestand einer Bevölkerung unabdingbar ist. Frauen durften im größten Teil der menschlichen Geschichte einfach wenig große Entscheidungen fällen, Kriege und deren Verbrechen eingeschlossen.

    „Von Frauen geführte Länder würden nicht in den Krieg ziehen!“ ist einfach gesagt, wenn man bedenkt, dass von Frauen geführte Länder in der Geschichte eine Ausnahme sind. Im übrigen nicht nur in „westlichen“ Ländern, die ohnehin höchstens in Stellvertreterkriege verwickelt sind, sondern auch in einer Reihe von abhängigen Ländern und zu mitunter kriegerischen Zeiten.

    Von Frauen geführte Staaten sind friedlicher? Nein, historisch ist das Gegenteil der Fall. Politikwissenschafter:innen in Chicago und Montreal haben 193 europäische Regierungen aus den Jahren 1480 bis 1913 untersucht. 34 von ihnen wurden von Frauen regiert und die Chance, dass diese in einen Krieg verwickelt waren, war 27 Mal höher.

    In sozialpsychologischen Studien wird immer wieder ermittelt, dass mehr Frauen Gewalt eher ablehnen als Männer. Auch darauf haben die Forscher:innen eine Antwort: Offenbar wiegen die strategischen Interessen des eigenen Staats (oder ihrer Bourgeoisie) bei der Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, bedeutend stärker als persönliche Überzeugungen und anerzogene Werte. Das gilt im Übrigen für alle Geschlechter: Kriege (insbesondere die von großem Ausmaß) sind nur äußerst selten die Folge von persönlichen Launen der Machthaber:innen.

    Boys will be boys

    Wir halten also fest, dass Frauen nicht natürlicherweise die besseren, sanfteren oder friedlicheren Regentinnen sind. Auch abgesehen davon, dass die Argumentation, der Krieg in der Ukraine sei die Folge toxischer Maskulinität, wenig Halt hat, gibt es weitere Argumente, die gegen sie sprechen.

    In präsidialen und parlamentarischen Demokratien sind die Gewählten nicht zur Rechenschaft verpflichtet. Dennoch sollten wir sie zur Verantwortung ziehen, erst recht, wenn sie Kriege vom Zaun brechen, die viele unserer Klassengeschwister das Leben kosten.

    Nun zu sagen, Putin habe einen Krieg vom Zaun gebrochen, weil er ein verwirrter, alter, weißer Mann sei, ist das Gegenteil davon. Es ist „Boys will be boys“ konsequent zu Ende gedacht – Angriffskrieg in der Ukraine? So sind die Jungs nun mal. Mädchen können ja eh schon früher Verantwortung übernehmen, die sind einfach schneller in der Entwicklung. Das ist das Gegenteil von fortschrittlichem Feminismus.

    Für Politiker:innen darf nicht eine Logik gelten, die schon im Kindergarten katastrophal ist. Erst recht nicht, um mit einer scheinbar wieder erwachten Argumentation vom Wesentlichen abzulenken.

    Hat der Krieg mit dem Patriarchat nichts zu tun?

    Die Empirie der Geschichte ist auf unserer Seite: Frauen sind nicht die friedlicheren Herrscherinnen. Wir haben auch festgestellt: Aus Sicht der Geschlechterbefreiung ist es gar nicht wünschenswert, die Verbrechen von Männern in Machtpositionen mit einem Verweis auf ihr Geschlecht zu entschuldigen. Es ist auch weder erstrebenswert noch wissenschaftlich haltbar, Männer und Frauen als biologisch grundverschieden, die einen als aktiv und kämpferisch, die anderen als passiv und kompromissbereit darzustellen. Das binäre Geschlechtersystem erlebt in der scheinbar „woken“ feministischen Außenpolitik ein wahres Revival.

    Hat das alles mit dem Patriarchat also nichts zu tun? Nein, so gut wie nichts hat mit dem Patriarchat nichts zu tun. Den Imperialismus, so wie wir ihn kennen, hat das Patriarchat erst möglich gemacht. Ohne geschlechtergetrennte Arbeitsteilung, ohne künstliches Aufplustern der Differenzen zwischen Geschlechtern und ohne Unterdrückung von allem und allen, die diese Norm in Frage stellen, hätte unser Kapitalismus gar nicht entstehen können.

    Weniger Küchenpsychologie, mehr Klassenkampf

    Was bewegt also momentan viele Personen des öffentlichen Lebens, sich zu äußern, dass die Welt mit Frauen an der Macht so viel friedlicher wäre? Vielen möchte ich nichts Böses unterstellen: Das Patriarchat für die Übel unserer Welt verantwortlich zu machen, ist ein Reflex, mit dem man oft richtig liegt. Im Fall von Facebook-COO Sheryl Sandberg sieht das anders aus. Kriege haben System und heute heißt das System Imperialismus. Sie vertritt einen Konzern, der ein großes Interesse daran hat, dass wir weniger über den Imperialismus sprechen.

    Wenn wir stattdessen die Ursachen in der Kindheit oder Psyche eines einzigen Mannes suchen, ist das für einen derart mächtigen Konzern großartig. Wenn der Konzern das Ganze sogar als Marketing verkaufen kann, indem er sich auf der scheinbar fortschrittlichen Seite der Dinge verorten kann, ist das ein genialer Schachzug.

    Das, was für Frauenquoten in Vorständen der DAX-Unternehmen gilt, gilt umso mehr für Regierungschefinnen: Wir bringen die Geschlechterbefreiung nicht voran, wenn wir auch Plätze in den hohen Rängen ungleicher Systeme einnehmen. Dabei lassen wir uns auch nicht von bürgerlich-feministischen Scheinargumentationen hinreißen. Unsere Devise heißt weiterhin: Wir werden nicht miteinander um ein paar Plätze an der Macht konkurrieren, sondern uns gegen Kapitalismus und Patriarchat zusammenschließen – für eine geschlechterbefreite Gesellschaft ohne Krieg.

    • Perspektive-Autorin seit 2017, Redakteurin seit 2018. Aus dem Rheinland, Sozialwissenschaftlerin. Schreibt am liebsten über das Patriarchat und internationale Frauensolidarität dagegen.

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