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    Bundesweite Warnstreiks: Erzieher:innen brauchen mehr Geld, Zeit und Mitarbeiter:innen!

    Vor der dritten Verhandlungsrunde Mitte Mai haben GEW und Ver.di bundesweit weitere Warnstreiks durchgeführt. Bisher konnten sich die Gewerkschaften und die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) nicht einigen. Forderungen sind unter anderem ein höherer Personalschlüssel, sowie Vor- und Nachbereitungszeit. Nach zwei Jahren zusätzlicher Belastung durch die Coronapandemie ist dies noch zu wenig! – Julius Kaltensee hat sich als Erzieher am Streik beteiligt und fordert deutliche Verbesserungen für dieses Berufsfeld.

    Insgesamt rund 26.000 Erzieher:innen gingen am Mittwoch nach Aufrufen von Ver.di und GEW auf die Straße und streikten für bessere Arbeitsbedingungen. In der aktuellen Tarifrunde der kommunalen Sozial- und Erziehungsdienste forderten sie Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine größere finanzielle Anerkennung ihrer Arbeit.

    Allein in Mitteldeutschland waren mehrere hunderte Kitas und Grundschulhorte den ganzen Tag geschlossen. Vor der dritten Verhandlungsrunde mit der VKA am 16. Und 17. Mai, soll es weitere Warnstreiks in ganz Deutschland geben, um den Druck auf die Arbeitgeberverbände zu erhöhen. Seit Februar wird zwischen den beiden Vertreter:innen verhandelt, zu den ersten Warnstreiks kam es am 8. März diesen Jahres.

    Verhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst: ver.di kündigt Streiktag am 8. März an

    Mehr braucht mehr!

    Konkret bedeutet dies unter anderem eine Ausdehnung der Vor- und Nachbereitungszeit, die zur Dokumentation und Planung von Aktivitäten oder Projekten genutzt werden kann und eine neue Eingruppierung für Erzieher:innen, sodass die Arbeiter:innen ein höheres Gehalt bekommen. Auch die in den Einrichtungen für Auszubildende zuständigen Praxisanleiter:innen sollen qualifiziert und angemessen bezahlt werden. Dazu kommt eine Verbesserung des Personalschlüssels und eine Reduzierung des Fachkräftemangels, sodass Erzieher:innen mit kleineren Gruppen arbeiten und damit besser auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingehen können.

    Es fehlen Fachkräfte und Zeit!

    Bundesweit fehlen aktuell nämlich um die 173.000 Fachkräfte, was zu teilweiser dramatischen Unterbesetzung in vielen Einrichtung führt. Laut Berechnungen des Deutschen Jugendinstitutes wird diese Zahl bis zum Jahr 2025 allein in den Kitas auf 300.000 fehlende Fachkräfte steigen. In einer von Ver.di erhobenen Studie aus dem Sommer 2021, gaben rund 44 Prozent der Befragten an, dass sie mehr als 17 Kinder am Tag gleichzeitig betreuen müssten. Darüber hinaus arbeiten rund 64 Prozent zusätzlich unbezahlt außerhalb ihrer Arbeitszeit, um die hohen Standards bei Dokumentation und Nachbereitung decken zu können.

    So gilt es für Erzieher:innen zum Beispiel in den meisten Einrichtungen als üblich, für jedes Kind ein sogenanntes „Portfolio“ anzulegen, in welchem pädagogische Lernberichte, Fotos und kreative Werke der Kinder gesammelt werden. Dies ist aus pädagogischer Sicht eine sinnvolle und wichtige Arbeit, jedoch fehlt vielen Kolleg:innen dafür schlicht die Zeit, da sie dies für jedes Kind ihrer viel zu großen Gruppe erledigen müssen und zudem auch nur zu wenig Vorbereitungszeit zugesprochen bekommen.

    Die Pandemie hat die Lage verschärft

    Zusätzlich zu den genannten Problemen hat die Corona-Pandemie die Arbeit der Erzieher:innen in den letzten Jahren erschwert und die ohnehin besorgniserregenden Probleme in den Einrichtungen vergrößert.

    Durch die Hygieneschutzregeln durfte zum Beispiel nicht mehr offen gearbeitet werden, das heißt, die einzelnen Gruppen und Klassen mussten unter sich bleiben und sich nicht wie sonst in den Einrichtungen frei vermischen und aufteilen. Dies sorgte dafür, dass die ansonsten durch ein offenes Konzept gegebene Flexibilität auf einmal komplett verschwand. In meiner Einrichtung musste meine Klasse zum Beispiel über mehrere Monate im “Legozimmer” verweilen, auch wenn nur ein Teil der Klasse wirklich Interesse an Konstruktionsspielen hatte.

    Die Hofzeiten wurden streng eingeteilt, sodass es manchmal dazu kam, dass Kinder ins Freie wollten, aber nicht durften, oder dass manche Kinder drinnen bleiben wollten, aber zu der vereinbarten Zeit eben raus mussten. Pädagogisch betrachtet, bedeutet dies einen Rückschritt in die 70er Jahre und ist mit keinem Bildungsplan in Deutschland vereinbar.

    Zudem bedeutet der Zeitraum der Pandemie für die Kolleg:innen ein stark erhöhtes Ansteckungsrisiko mit dem Covid-Virus, denn während viele Arbeiter:innen ins Home-Office gehen konnten, mussten sich Erzieher:innen jeden Tag auf teilweise engsten Raum mit oft erkrankten Kindern abfinden. Die Folge ist, dass diese Berufsgruppe laut mehreren Studien der Krankenkassen am häufigsten von Corona betroffen ist, was vor allem ältere und vulnerable Kolleg:innen massiv gefährdete. 

    Schon die Forderungen der Gewerkschaft sind viel zu niedrig!

    Die genannten Probleme zeigen: Die Arbeiter:innen im Erziehungs- und Betreuungswesen benötigen endlich eine drastische Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Nachdem die Gewerkschaften letztes Jahr unter Berücksichtigung der Inflation eine faktische Senkung des Reallohns erwirkt haben, gilt es für uns Erzieher:innen und Betreuer:innen die Verhandlungen kritisch zu begleiten und den Gewerkschaften genau auf die Finger zu gucken.

    Schon die Forderungen der Gewerkschaft sind in diesem Jahr wieder viel zu niedrig. Die von ihr geforderte Veränderung der Entgeltgruppe für mich und meine Kolleg:innen wird für die allermeisten von uns noch nicht mal die Inflation ausgleichen. So haben wir nach einem Tarifabschluss, der schon bis ins Jahr 2024 festgeschrieben ist im April eine Lohnsteigerung von gerade einmal 1,8 % erhalten. Mit der nun geforderten Änderung der Eingruppierung, würden für mich als Erzieher der Entgeltstufe 3 gerade einmal weitere 3 % hinzukommen. Für Berufsanfänger:innen sieht es noch schlechter aus. Für sie verbirgt sich hinter der veränderten Eingruppierung nur eine Lohnsteigerung von 2,2 %.

    Diese Forderungen sind noch weit davon entfernt durchgesetzt zu werden, aber selbst wenn das gelänge, würden wir einen heftigen Reallohnverlust hinnehmen müssen. Das allgemein bekannte Problem des Fachkräftemangels wird so jedenfalls nicht kleiner und ich kann es niemandem übel nehmen, sich aufgrund des mageren Gehalts und der Arbeitsbedingungen gegen eine Ausbildung zur Erzieher:in zu entscheiden.

    Viele Kolleg:innen sind bereit für ihren geschätzten Beruf weiterzukämpfen, sie haben dennoch große Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und werden nicht aufhören für eine Lösung der Probleme in den pädagogischen Einrichtungen einzustehen. Erzieher:innen, die sich wertschätzend und einfühlsam um unsere Kinder kümmern und dabei auf die individuellen Interessen und Bedürfnisse der Heranwachsenden eingehen sollen, benötigen endlich Arbeitsbedingungen, die ihnen genau diese kompetente und emphatische Arbeit ermöglicht! Das bedeutet neben mehr Fachkräften und Zeit auch eine deutlich bessere Vergütung und keine lächerlich niedrigen Lohnsteigerungen unterhalb der Inflationsrate!

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