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    Vor dem Nakba-Tag: Bei der Solidarität mit Palästina hört die Versammlungsfreiheit auf

    Zahlreiche palästinensische und palästinasolidarische Gruppen rufen für den kommenden Sonntag zu Aktionen auf. Wie im vergangenen Jahr ist mit staatlicher Repression und Polizeigewalt zu rechnen. In Berlin wurden zahlreiche Demonstrationen bereits im Vorfeld verboten. Zusätzlich greifen die Behörden und zionistische Gruppen zu besonders kreativen Mitteln, um den palästinensischen Protest zu stören. Ein Kommentar von Mohannad Lamees

    Was ist die „Nakba“?

    Alljährlich erinnern Palästinenser:innen am 15. Mai an die Nakba. Das arabische Wort „Nakba“ bedeutet „Katastrophe“. Es bezeichnet das Schicksal der im Zuge der israelischen Staatsgründung im Jahr 1948 getöteten und vertrieben arabischen Einwohner:innen Palästinas. Bereits in den Jahrzehnten vor der Staatsgründung Israels kam es in Palästina immer wieder zu Vertreibungen und Zerstörungen von arabischen Dörfern sowohl durch die britischen Kolonialherren als auch durch jüdische Siedler:innen.

    Im Jahr 1948 gipfelte die Gewalt in der Vertreibung von über 700.000 Palästinenser:innen, um das Territorium des kurz vor der Gründung stehenden Staats Israel möglichst großflächig von der arabischen Bevölkerung zu säubern. Noch heute leben Millionen Palästinenser:innen als Nachfahren der Vertriebenen in Flüchtlingslagern entweder in den von Israel besetzten Gebieten im Westjordanland, im Freiluftgefängnis Gaza-Streifen oder in den arabischen Nachbarstaaten Jordanien, Syrien und Libanon.

    Weil auch heute noch immer von zionistischen Siedler:innen unter dem Schutz des israelischen Staates und der israelischen Armee versucht wird, die Palästinenser:innen dauerhaft zu vertreiben, sprechen viele palästinensische Aktivist:innen von der andauernden Nakba. Damit wird ausgedrückt, dass die Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch zionistische Siedler:innen weiterhin anhält.

    Mit Zionismus ist hierbei die politische Bewegung gemeint, die – politisch oder religiös begründet – für einen explizit jüdischen Nationalstaat in Palästina eintritt. Mit der Gründung des Staates Israel hatte diese Bewegung bereits ein wichtiges Ziel erreicht. Verschiedene zionistische Kräfte (nicht zuletzt der Staat Israel selbst) erheben jedoch Anspruch auf weitere palästinensische Gebiete und unterstützen deswegen auch heute israelische Bürger:innen dabei, inmitten palästinensischer Gebiete zu siedeln und die Palästinenser:innen gewaltsam zu vertreiben.

    Die alljährlichen Proteste zum Tag der Nakba wiederum verdeutlichen auch, dass der palästinensische Widerstand und der Wille zur nationalen Befreiung ungebrochen ist.

    Proteste am Nakba-Tag – Der Staat antwortet mit Repression

    Auch in Deutschland rufen zahlreiche Gruppen zu Demonstrationen am kommenden Sonntag auf, um an die Nakba zu erinnern. Sie protestieren außerdem für die Freiheit des palästinensischen Volkes und für das Rückkehrrecht der zahlreichen auch in Deutschland lebenden vertriebenen Palästinenser:innen und ihrer Nachfahren. In zahlreichen Städten formen sich zu diesem Zweck Bündnisse. An ihnen beteiligen sich sowohl palästinensische selbstorganisierte Gruppierungen, die seit Jahren aktiv sind, als auch in den letzten Jahren neu entstandene palästinasolidarische internationalistische Gruppen.

    Doch die deutschen Behörden versuchen mit aller Macht, die Proteste kleinzuhalten oder ganz zu unterbinden. In Berlin berichten einige Organisationen, dass die Polizei ihnen gegenüber schon mündlich angekündigt habe, pro-palästinensische Demonstrationszüge am kommenden Wochenende würden wieder verboten werden. Bereits Ende April hatte die Berliner Polizei für mehrere Tage alle palästinensischen Demonstrationen mit einem Verbot belegt und angekündigt, etwaige palästinensische Versammlungen gewaltsam aufzulösen.

    Zwar versuchen einige Organisationen diese pauschalen Verbote mit gerichtlichen Eilanträgen zu kippen, doch das Gebaren der Berliner Behörden stellt schon jetzt eine neue Stufe des staatlichen Kampfes gegen die Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf dar. Bereits im letzten Jahr anlässlich zahlreicher Nakba-Tag-Demonstrationen sowie während der letzten Wochen kam es zu massiven Repressionen des deutschen Staates gegen Demonstrierende und zu Polizeigewalt.

    Diese Angriffe werden zumeist legitimiert, indem dem gesamten Demonstrationszug Antisemitismus vorgeworfen wird.

    Antisemitismus-Vorwürfe als Rechtfertigung für die Repression

    Zwar kommt es tatsächlich gelegentlich vor, dass einzelne antisemitische Parolen auf Demonstrationen gerufen werden. Doch die Behörden und die bürgerlichen Medien nutzen diese Vorfälle schamlos aus, um komplette Organisationen und ganze Bevölkerungsgruppen als antisemitisch, islamistisch oder gar terroristisch zu diffamieren.

    Wohl wie bei kaum einer anderen Thematik zeigt sich bei der Palästina-Frage momentan das Gesicht des deutschen Repressionsapparats. Deutschland hat großes Interesse daran, durch die Verbote und Gegenkampagnen eine größere Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf zu verhindern.

    Darin zeigt sich die Befürchtung, dass im Zuge dieser Solidarisierung eine größere anti-imperialistische Bewegung, die sich gegen die deutsche Unterstützung der Unterdrückung der Palästinenser:innen und letztlich auch gegen den deutschen Imperialismus selbst richtet, entstehen könnte.
    Dass die wiederholten pauschalen Versammlungsverbote in Berlin zu einem bestimmten politischen Thema weitgehend ohne Protest in den bürgerlichen Medien hingenommen werden, ist jedenfalls eine Qualität der Repression, die wir in den letzten Jahren selten in Deutschland erlebt haben.

    Wenn der Staat es erfolgreich schafft, die Solidarität mit dem palästinensischen Volk mit Antisemitismus gleichzusetzen, braucht es nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass auch bald Proteste gegen die Aufrüstung der Bundeswehr pauschal als Legitimationsaktionen für den russischen Krieg gegen die Ukraine gelten könnten.

    Nicht nur der Staat selbst nimmt die Palästinasolidarität ins Visier

    Die Solidarität mit Palästina wird jedoch nicht nur direkt von staatlicher Seite aus diffamiert. Ebenfalls in Berlin beispielsweise planen einige zionistische Kleinst-Projekte mit Förderungen aus öffentlichen Mitteln und unter der Schirmherrschaft einer jüdisch-zionistischen Gemeinde am Nakba-Tag eine besonders fadenscheinige Aktion, um den palästinensischen Protest zu stören und eine breite Solidarisierung zu verhindern.

    Unter dem Titel „Wir suchen den Antisemiten des Jahres! Und schicken ihn mit seinesgleichen in die Wüste“ planen diese Gruppen eine große Show auf einem zentralen Platz in Berlin-Mitte, in relativer Nähe zu einem geplanten palästinensischen Demonstrationszug.

    Sowohl die Aufmachung des Flyers als auch der Einladungstext lassen unschwer erkennen, dass bei der Veranstaltung palästinasolidarische Perspektiven pauschal als antisemitisch verunglimpft werden sollen.
    So steht offenbar die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im Fokus, welche im Februar einen Bericht veröffentlicht hatte, in dem das Apartheidsystem in Israel dokumentiert und kritisiert wurde. Diese Aktion steht in einer Reihe mit den Versuchen der Berliner Behörden, die revolutionäre Demonstration am Abend des 1. Mais mittels der Veranstaltung von Straßenfesten zu stören.

    Ohnehin bleibt abzuwarten, ob diese Aktionen Früchte tragen. Es ist davon auszugehen, dass die Palästina-Demonstrationen trotz der Repression in vielen deutschen Städten zahlreiche Menschen auf die Straßen mobilisieren und ein starkes Zeichen der Unterstützung des palästinensischen Volkes in seinem Kampf für Freiheit setzen werden.

     

    • Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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