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    Depp vs. Heard: Patriarchale Gewalt vor Gericht – das Schweigen brechen!

    Ein Gericht befindet eine Frau für schuldig, weil sie über erlebte patriarchale Gewalt schreibt – eine breite Öffentlichkeit freut sich mit einem verurteilten patriarchalen Gewalttäter. Ungeachtet der PR-Strategien in diesem konkreten Fall: Gerichte übernehmen eine tragende Rolle im patriarchalen System, von dem Täter profitieren. Dem haben wir etwas entgegenzusetzen. Ein Kommentar von Olga Wolf.

    Ein Urteil über Verleumdung, nicht über Gewalt

    In diesem Text soll es weniger um die Kleinlichkeiten eines Gerichtsprozess gehen, dessen Öffentlichkeit der Debatte um Opferschutz und partnerschaftliche Gewalt wohl schon genug geschadet hat. Dennoch soll zu Beginn mit einem weit verbreiteten Missverständnis aufgeräumt werden: Im Prozess von Depp gegen Heard ging es nicht um die Frage, ob Depp während der gemeinsamen Beziehung gewalttätig war.

    Dass Depp in zahlreichen Fällen partnerschaftliche Gewalt gegen Heard ausgeübt hat, hat ein Gericht bereits 2020 geurteilt. In 12 von 14 Fällen befand ein Richter den Schauspieler für schuldig. Es ging darum, ob Heard öffentlich von ihren Erfahrungen mit Depp schreiben darf, selbst ohne seinen Namen zu nennen.

    Katastrophales Ergebnis für Betroffene

    Das Verfahren an sich hat für die Rechtsprechung in Deutschland wohl keinerlei Einfluss, zumal das Verfahren ohnehin anderen Regeln folgte. Der Ablauf an sich, nämlich patriarchale Gewalt durch einen Mann, eine Betroffene, die das Schweigen bricht, und daraufhin eine Verleumdungsklage, ist jedoch auch in Deutschland zu beobachten. Auch, aber längst nicht nur unter Prominenten.

    So hat das Verfahren durch seine Öffentlichkeit Auswirkungen darauf, welche Rechte und welche Sicherheit die Gesellschaft Betroffenen von patriarchaler Gewalt bietet. Eine Frau wurde für schuldig befunden, weil sie in anonymisierter Form von der Gewalt geschrieben hat, die sie erlebte – und eine breite Öffentlichkeit feiert den juristischen Erfolg eines verurteilten patriarchalen Gewalttäters.

    Das hat Konsequenzen für zehntausende, die patriarchale Gewalt irgendeiner Form überleben, ohne darüber zu sprechen. Der angerichtete Schaden geht weit über das hinaus, was verurteilt wurde. Denn neben der Schuld oder Unschuld von Heard wurde öffentlich verhandelt, ob Überlebende das Recht haben, über erlebte Gewalt zu sprechen. Die Jury und ein Gros der Schaulustigen urteilen: Das haben sie nicht. Es ist nicht weiter von Bedeutung, zu welchem persönlichen Urteil man über den konkret verhandelten Fall kommt, für die Rechte und Sicherheit von Betroffenen hat das Verfahren katastrophale Folgen.

    #JusticeFor statt #MeToo

    Mächtige – und auch weniger mächtige – Männer nutzen Gerichtsprozesse für eigene Promotion. Der Prozess gegen Johnny Depp war, auch wegen der medialen Reichweite und zahlreicher beteiligter PR-Berater:innen, ein sehr schillerndes Beispiel für einen Effekt, der auch in Deutschland hundertfach stattfindet.

    Der bekannte Witzemacher Luke Mockridge wurde in einem Verfahren um patriarchale freigesprochen, weil die Beweislast nicht erbracht werden konnte. Das ist in Fällen von häuslicher und sexualisierter Gewalt eher die Regel als die Ausnahme und entspricht der Unschuldsvermutung in der deutschen Rechtssprechung. Was im Gerichtssaal eine Unschuldsvermutung ist, können freigesprochene Täter in der Öffentlichkeit als Unschuldsbeweis darstellen und geschickte PR-Manager:innen stricken daraus eine Erzählung von falschen Beschuldigungen.

    Frauen, bildet Banden!

    Nach einem derart salienten Prozess mit desaströsem Ergebnis für Betroffene ist es umso wichtiger, der allgemeinen Euphorie für charismatische, gewalttätige Männer etwas entgegenzusetzen. Frauensolidarisch und antipatriarchal zu handeln bedeutet, Betroffenen Vertrauen zu schenken – auch wenn der Täter sympathisch, erfolgreich oder souverän aufritt. Das ist kein blindes, feministisches Vertrauen, sondern eine Schlussfolgerung aus patriarchalen Machtverhältnissen. Abgesehen davon, dass es angesichts der verschwindend geringen Zahl von Falschbeschuldigungen auch statistisch naheliegend ist.

    Darüber hinaus ist eine Erkenntnis fast schwerwiegender: Der Fokus im Gespräch über sexualisierte und häusliche Gewalt liegt zu oft auf Gerichtsurteilen und Gesetzesverschärfungen. Diese Mittel sind für den Staat die billigsten, für potentielle und bereits Betroffene aber die teuersten. Denn sie greifen erst, wenn es schon viel zu spät ist, Gewalt bereits ausgeübt wurde und die Betroffenen nun in der Bringschuld für Beweise stehen.

    Gerechtigkeit ist von den Gerichten in diesen Belangen nicht zu erwarten, umso wichtiger ist, dass wir selbst Sicherheit für Betroffene und vor patriarchaler Gewalt erstreiten.

    • Perspektive-Autorin seit 2017, Redakteurin seit 2018. Aus dem Rheinland, Sozialwissenschaftlerin. Schreibt am liebsten über das Patriarchat und internationale Frauensolidarität dagegen.

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