`

More

    Zwangsräumungen – das lukrative Geschäft mit der Armut

    Zwangsräumungen. Sie stehen in Deutschland auf der Tagesordnung und sind für Eigentümer:innen ein rentables Geschäft. Das Solidaritätsnetzwerk Leipzig begleitete zuletzt eine betroffene Familie im Kampf gegen die Räumung und ging damit an die Öffentlichkeit. Denn es handelt sich hierbei um keinen Einzelfall, sondern um ein Problem der Massenverarmung, mit welchem wir zunehmend konfrontiert sein werden. – Ein Kommentar von Elena Behnke.

    Am 2. Juni wurde in Leipzig Altlindenau eine 6-köpfige Familie zwangsgeräumt. Zuvor wandte sie sich hilfesuchend an das Solidaritätsnetzwerk. Die Organisation setzte alle Hebel in Bewegung, um die Räumung zu verhindern – mit einem Teilerfolg. Die Zwangsräumung wurde zwar vollstreckt, doch der Gerichtsvollzieher fand entgegen seiner Erwartung eine leere Wohnung vor, wodurch es nichts mehr zu pfänden gab. Der erhoffte Erlös für das Jobcenter blieb also aus. Die Familie lebt nun aufgeteilt auf zwei Notunterkünfte mit dem am Tag zuvor geretteten Hab und Gut.

    Zwangsräumungen stehen in Deutschland auf der Tagesordnung, weit mehr als 60.000 Haushalte sind jährlich davon betroffen. Der Staat kommt selbst in seinem Armuts- und Reichtumsbericht von 2017 zum Schluss, dass in 87% der Fälle Mietschulden bzw. nicht ausreichend gegebene Mietzahlungsfähigkeit ausschlaggebend für bedrohte Wohnverhältnisse seien.

    Zwangsräumungen sorgen für steigende Mieten

    Bereits im Jahr 2006 belegte eine Studie, dass sich die Haltung von Vermieter:innen zu Zwangsräumungen nachweislich ändert, je größer der Unterschied zwischen Bestandsmieten und der potentiellen Miete bei Neuvermietungen ist. „Galten Mietrückstände noch vor ein paar Jahren vor allem als ärgerlicher Einnahmeverlust, sehen viele Eigentümer*innen in Mietrückständen inzwischen eine Chance, durch eine Räumungsklage den Mieter*innenwechsel zu forcieren“, heißt es in der Studie.

    Zwangsräumungen sind also ein maßgebliches Durchsetzungsmittel zur Erhöhung der Mieten und wirken sich somit negativ auf alle Mieter:innen aus. Beratungsstellen kritisieren außerdem, dass Eigentümer:innen zunehmend die Übernahme von Mietschulden durch die soziale Wohnhilfe oder das Jobcenter ablehnen, wodurch Betroffene zusätzlich in die Schuldenfalle getrieben werden. Dieses Vorgehen trifft vor allem langjährige Bestandsmieter:innen mit alten Mietverträgen, da insbesondere diese Wohnungen nach einem Rausschmiss deutlich teurer vermietet werden können.

    Klagebereitschaft durch Vermieter:innen steigt

    Mit der wachsenden Anspannung auf dem Wohnungsmarkt und zunehmender Verarmung steigt auch die Klagebereitschaft der Vermieter:innen. Ein Mieter:innenwechsel ist ein gutes Geschäft, denn der Quadratmeterpreis bei einer Neuvermietung kann deutlich höher angesetzt werden als innerhalb eines bestehenden Mietverhältnisses. Vermieter:innen kommt es auch gerade recht, wenn Mieter:innen durch steigende Mieten, fehlende Kostenübernahme vom Jobcenter oder auch die Inflation Mietrückstände anhäufen. Teilweise lässt sich sogar beobachten, dass dies von Eigentümer:innen forciert wird. Denn Schulden sind das beste Argument für die Durchsetzung einer Räumungsklage.

    Das Jobcenter ist Teil des Problems

    Der viel gelobte Sozialstaat mit seinen Institutionen wie dem Jobcenter verschärft die Situation zusätzlich. Durch die extrem eng gesetzten finanziellen Grenzen bezüglich einer Mietkostenübernahme reproduziert es das Anhäufen von Mietschulden. Denn weder der Regelsatz von Sozialleistungsempfänger:innen, noch die Mietobergrenze werden an die derzeitige Inflation von 7,9% sowie die Mietsteigerungen angepasst. Dadurch werden vom Amt Abhängige weiter in die Armut getrieben, da der Teil der Miete, der nicht vom Jobcenter übernommen wird, aus der eigenen, sowieso schon leeren Tasche gestemmt werden muss. In Zeiten der Inflation ist das nahezu unmöglich.

    Kein individuelles Problem, sondern lukratives Geschäft

    Ob jemand zwangsgeräumt wird oder nicht, ist also keine Frage der individuellen Schuld der jeweiligen Mieter:innen. Wir müssen uns vielmehr darüber im Klaren sein, dass die Verarmung der Einen ein lukratives Geschäft für die Anderen ist. Denn bist du arm und hast Schulden, dann geht das mit der Räumungsklage ganz schnell und problemlos. Konkret: Zwangsräumungen hängen unmittelbar mit zunehmender Armut und steigenden Mieten zusammen und stärken den Profit von Immobilienkonzernen und Wohnungseigentümer:innen.

    Mietenkampf heißt Klassenkampf

    Das Mietenthema existiert nicht im luftleeren Raum und darf daher auch nicht isoliert vom gesellschaftlichen und politischen Kontext angegangen werden. Das bedeutet für uns, auch diesen Kampf im Bewusstsein der Klassenverhältnisse im Kapitalismus zu führen. Eine Mieter:innenbewegung kann nur langfristig erfolgreich sein, wenn sie die Wurzel des Problems anpackt und sich darüber im Klaren ist, dass alle Erfolge, die wir gegen Staat und Vermieter durchsetzen, uns im Kapitalismus auch wieder genommen werden können.

    Wir müssen unsere Ziele vehement verteidigen und auf unsere eigene Kraft setzen. Denn Mietenkampf heißt Klassenkampf und kann nur organisiert und langfristig geführt werden.

    Das Solidaritätsnetzwerk Leipzig stellte in einer politischen Stellungnahme beispielsweise folgende Forderungen auf:

    • Stopp aller anstehenden Zwangsräumungen!
    • Enteignung und Vergesellschaftung von Grund und Boden und damit auch von jedem Wohnraum!
    • Die Entscheidungsgewalt über Wohnraumverteilung in die Hände von Mieter:innenräten und damit in die Hände der Nachbarschaft!
    • Seit 2022 Perspektive-Autorin, Kinderkrankenschwester aus Sachsen, schreibt Artikel und Kommentare über Soziale Kämpfe und Militarisierung. Liest am liebsten politische Romane.

    Die mobile Version verlassen