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    „Geeintes Europa“ oder Unterwerfung durch Deutschland?

    Im Angesicht der sich anbahnenden Gas-Probleme im Winter beschwört Kanzler Olaf Scholz weitere Schritte in Richtung eines noch mehr „geeinten“ Europas herauf. Gemeinsam soll es gegen den „Imperialismus“ gehen, der natürlich nur durch Putin verkörpert werde. Was steckt dahinter? Ein Kommentar von Julius Strupp

    Derzeit wird die Gaspipeline Nordstream1 zwischen Russland und Deutschland gewartet. Die BRD und ihre Verbündeten machen sich derweil Sorgen, dass der russische Imperialismus die reguläre Wartung ausnutzen wird, um den europäischen Konkurrenten den Gashahn abzudrehen.

    Sollte dem so sein, drohen verschärfte Verteilungskämpfe innerhalb der Europäischen Union (EU). Bisher hatten bereits Interessenswidersprüche zwischen verschiedenen Staaten in der EU zu einer Abschwächung des Ölembargos gegen Russland geführt: So hatte Griechenland die Streichung des Verbots des Transports von russischem Öl in Drittstaaten auf Schiffen aus EU-Ländern faktisch durchgesetzt. Große Teile dieser Transporte werden von griechischen Reedereien abgewickelt. Ungarn hatte seinerseits das Öl-Embargo abgeschwächt, da es von Öl aus der Druschba-Pipeline im Besonderen und dem russischen Imperialismus im Allgemeinen abhängig ist.

    Vor dem Hintergrund aufbrechender Interessenswidersprüche und einer möglichen Gasnotlage, die für “sozialen Sprengstoff” in ganz Europa und darüber hinaus sorgen könnte, beschwört man hierzulande ein „geeintes Europa“. Olaf Scholz stellt dabei die EU als „Antithese“ zu „Imperialismus“ und „Autokratie“ in einem Meinungs-Artikel heraus und kündigt konkretere Vorschläge für die Verstärkung des geschlossenen Auftritts des Bündnisses in Aussicht. Doch was ist dran?

    Putin, Deutschland, EU, NATO – Was ist denn jetzt Imperialismus?

    Scholz stützt seine Behauptungen zur “Zeitenwende” unter anderem auf die These, dass mit dem Überfall des russischen Imperialismus auf das ukrainische Volk der Imperialismus „zurück“ in Europa sei.

    Er geht dabei von einem Imperialismus-Verständnis aus, was in deutschen Schulen gelehrt wird. Nämlich, dass der Imperialismus eine historische Phase von der Aufteilung des afrikanischen Kontinents bis zum ersten Weltkrieg war, in der Monarchen fremde Länder mit militärischer Gewalt unterworfen haben.

    Das wird vor allem gelehrt, um die heutige deutsche Politik auf der Welt aus der Schusslinie zu nehmen. Denn tatsächlich ist der Imperialismus ein Weltsystem, das entwickelte und letzte Stadium des Kapitalismus. Es ist vom Konkurrenzkampf zwischen den mächtigsten Unternehmen und den Staaten, die sie sich jeweils unterworfen haben, geprägt.

    Nein zum Krieg, nein zur NATO, nein zum Imperialismus!

    Dabei gibt es imperialistische Staaten, die andere Völker unterdrücken, in verschiedenen Abstufungen, Staaten die eine Mittel- oder Sonderrolle einnehmen und abhängige, kolonial oder neokolonial unterdrückte Länder.

    Demnach ist auch Deutschland ein imperialistisches Land. Das zeigt sich an seiner Beteiligung am Krieg um die Ukraine, der langjährigen Besatzung des Nordens von Afghanistan, dem Krieg gegen Serbien und unzählige andere Beispiele.

    Tatsächlich sind auch Scholz‘ Vorstöße Ausdruck der imperialistischen Politik von Deutschland und zeigen, dass er keinen Deut besser ist, als sein Amtskollege im imperialistischen Russland. Denn die EU war seit jeher ein Bündnis, in dem vor allem Deutschland und Frankreich um die Vorherrschaft in Europa gekämpft haben und weiter kämpfen. Derzeit zieht Frankreich hier eher den Kürzeren. Scholz‘ Vorschläge dürften hier beispielsweise mit der Einführung von Mehrheits- statt einstimmigen Entscheidungen in wichtigen Politikbereichen innerhalb der EU zu einem Ausbau dieser deutschen Vormachtstellung führen.

    Der bevorstehende kalte Winter

    Diese kann die deutsche herrschende Klasse vor allem mit den Augen auf die drohenden Probleme der Gasversorgung in Europa gebrauchen. Am 21. Juli wird sich mit dem Abschluss der Wartung von Nordstream 1 entscheiden, wie heftig die Gaskrise tatsächlich werden wird.

    In der EU ist derweil vor allem für weniger mächtige Staaten wie Tschechien, Griechenland oder Portugal nicht wirklich geklärt, wie diese ihre Versorgung sichern. Denn dazu braucht es bilaterale Verträge, von denen es bisher nur sechs gibt. Deutschland spielt dabei als wichtigstes Gas-Transitland eine wichtige Rolle und hat seine Gasspeicher schon überdurchschnittlich gefüllt.

    Noch macht man zwar Zusagen, aber ob deutsche Unternehmen ihre Produktion einschränken werden, damit die Arbeiter:innen in von ihnen abhängigen Ländern nicht frieren, ist mehr als unklar. Eine gemeinsame EU-Gasanschaffung hat Scholz in jedem Fall schon aus diesem Grund immer wieder blockiert.

    Und auch in vergangenen Krise hat Deutschland die EU immer wieder genutzt, um Krisen in weniger mächtige kapitalistische Länder zu exportieren. Klar ist aber auch, dass dieser Krisenexport immer schlechter möglich wird und es den von vielen Politiker:innen befürchteten „sozialen Sprengstoff“ auch hier geben wird.

    Kein Imperialismus ist in unserem Interesse

    Der Winter wird also in allen europäischen Ländern zu einer Verschärfung der Lage führen. In kolonial abhängigen Ländern wird vor allem Deutschland dafür sorgen, dass die Situation besonders schlimm und unerträglich wird.

    Gleichzeitig versucht man die eigenen Hände in Unschuld zu waschen. Putin sei der Imperialist, man selbst ein Unschuldslamm.

    Dem sollte man keinen Glauben schenken. Wenn wir uns gegen die kommende Notlage der Arbeiter:innenklasse im Winter zur Wehr setzen werden, dann müssen wir das international tun und im Kampf gegen alle imperialistischen Länder – vor allem gegen unseren Hauptfeind, die herrschende Klasse in Deutschland.

    Steigende Energiepreise: Die Straße nicht den Faschist:innen überlassen!

    • Autor bei Perspektive seit 2019, Redakteur seit 2022. Studiert in Berlin und schreibt gegen den deutschen Militarismus. Eishockey-Fan und Hundeliebhaber. Motto: "Für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt."

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