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    Der „Radikalenerlass“ ist noch nicht Geschichte

    Im Januar jährte sich der sogenannte „Radikalenerlass“ zum 50. Mal. Vor allem in den 70er- Jahren hat er zahlreiche Lehrer:innen und andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst durch Berufsverbotsverfahren in Existenznöte gestürzt. Bis heute hat der „Radikalenerlass“ für Betroffene finanzielle und psychische Folgen. Die aktuellen Pläne des Landes Brandenburg für einen sogenannten „Verfassungstreue-Check“ im öffentlichen Dienst zeigt, dass der „Radikalenerlass“ noch lange nicht Geschichte ist. – Ein Kommentar von Ronya Collin.

    Der vor 50 Jahren verabschiedete „Radikalenerlass“ hatte im Zuge der antikommunistischen Innenpolitik von SPD-Kanzler Willy Brandt das Ziel, Beamt:innen sowie Tarifbeschäftigte, die „verfassungsfeindlichen Aktivitäten“ nachgingen, aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Betroffen von solchen Berufsverboten waren vor allem Lehrer:innen und Hochschullehrer:innen, aber auch Eisenbahner:innen und Postbeamt:innen, die linkspolitisch aktiv waren – ob Kommunist:innen, Sozialdemokrat:innen oder Gewerkschafter:innen.

    Im verantwortlichen „Verfassungsschutz“ (der 1950 gegründet wurde und in dem Alt-Nazis wie der Gestapo-Mitarbeiter Johannes Strübing unbehelligt Karriere machen konnten) rieben sich Faschist:innen buchstäblich die Hände. Denn mit dem „Radikalenerlass“ wurde der Grundstein für eine jahrelange „Hexenjagd“ gegen Linke gelegt. Manche von Berufsverbotsverfahren Betroffene waren gar NS-Verfolgte oder Überlebende des Holocausts, wie der Kommunist Ernst Grube, der das KZ Theresienstadt überlebt hatte.

    Viele Betroffene, die hinter ihren politischen Überzeugungen standen und sich nicht einschüchtern ließen, wie Reinhard Gebhard, mussten in weitaus schlechter bezahlte und gesundheitsgefährdende Berufe wechseln. Sie leben heute in Altersarmut von einer Rente, mit der kaum über die Runden zu kommen ist. Unterstützt werden sie heute bspw. von der Roten Hilfe oder durch die Initiative „Weg mit den Berufsverboten“.

    Das bleierne Erbe des Radikalenerlasses im Schuldienst

    Doch nicht nur für direkt Betroffene hat der „Radikalenerlass“ bis heute schwerwiegende Folgen. Insgesamt wirkte er disziplinierend und abschreckend gegen fortschrittliche Kräfte. So herrscht gerade im Schuldienst eine große Einschüchterung und Verunsicherung bis hin zu Falschinformationen über politisches Aktivsein. Nicht nur vermeiden Lehrer:innen oftmals eine politische Meinungsäußerung, auch glauben manche junge Lehrer:innen fälschlicherweise, mit dem Streikverbot für Beamt:innen sei ein generelles politisches Aktivitätsverbot gemeint. Manche:r Referendar:in glaubt, sie:er dürfe nicht an Demonstrationen teilnehmen. Viele trauen sich nicht, für die eigenen Rechte zu kämpfen und fürchten, selbst ein Gewerkschaftsbeitritt könnte vom Staat als Provokation aufgefasst werden.

    Dabei verstoßen nach europäischem Recht Entlassungen und Berufsverbote gegen die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit nach der Europäischen Menschenrechtskonvention. Betroffene haben demnach einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung, Wiedereinstellung und Rehabilitierung. Aber bis heute bleibt ein Großteil der notwendigen Entschädigungen aus, und die Landesregierungen vermeiden eine Positionierung – obwohl spätestens seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugunsten einer Lehrerin, die als DKP-Mitglied entlassen worden war, die Rechtswidrigkeit des Gesetzes auch richterlich bestätigt wurde.

    Immerhin wurde dank einer wirkungsvollen Solidaritätsbewegung im In- und Ausland der „Radikalenerlass“ bis 1991 schrittweise aufgehoben. Dennoch stellt bspw. das Bundesland Bayern noch immer regelmäßig Anfragen beim „Verfassungsschutz“ als Gesinnungsprüfungen von Bewerber:innen im öffentlichen Dienst. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Kerem Schamberger, der sich 2016 unter dem Motto „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren“ gegen die Kriminalisierung fortschrittlicher Politik erfolgreich wehrte.

    Brandenburg plant “Verfassungtreue-Check”

    Doch in den letzten Monaten gibt es eher rückschrittliche Tendenzen, die eine schleichende Rückkehr des „Radikalenerlasses“ befürchten lassen. So plant das Land Brandenburg unter CDU-Innenminister Michael Stübgen aktuell ein Gesetz für einen sogenannten „Verfassungstreue-Check“, der sich angeblich gegen Rechts richten soll.

    Dass der „Verfassungstreue-Check“ sich aber genauso wie der „Radikalenerlass“ gegen Linke richten wird, ist zu erwarten. Denn der „Verfassungsschutz“ hat sich bis heute immer wieder mitverantwortlich für rechte Gewalt gezeigt und faschistische Strukturen unterstützt. Beispiele dafür sind nicht nur die Verbindungen des Verfassungsschutzes zu Organisationen wie der NPD oder „Blood and Honour“, sondern auch seine Verwicklung in die Morde durch den NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) und die gezielte Sabotage, diese Morde aufzuklären.

    Dem steht unverhältnismäßig die Kriminalisierung linker Politik gegenüber. Grund dafür ist, dass der Geheimdienst in einer Klassengesellschaft wie der BRD nicht die „Demokratie“ schützt, sondern die herrschende Klasse der Kapitalist:innen. Und für diese stellen linke, fortschrittliche Kräfte die größte Bedrohung dar.

    Der Staat rüstet für härtere Repression

    Heute wie damals in den 1970ern geht die staatliche Repression mit einer zunehmend stärker werdenden Arbeiter:innenbewegung einher. In den 70er Jahren gab es vor dem Hintergrund von Ölkrise und Preissteigerungen Streikbewegungen im Bergbau, der Stahlindustrie und der metallverarbeitenden Industrie, außerdem war dies auch eine Zeit der erhöhten kommunistischen Aktivität in der BRD. Heute befinden wir uns wieder in einer politisch und wirtschaftlich instabilen Lage und die sozialistische Bewegung ist im Aufschwung.

    Mit dem vorgeblichen Schutz vor Rechtsextremismus wird zeitgleich der Spielraum für Repressionen und Einschüchterungen gegen Linke vergrößert. Die antidemokratische Gesetzesgrundlage für Berufsverbote stammt selbst aus der Zeit des Hitlerfaschismus. Dass auch eine SPD-Regierung sich nicht vor Nazi-Gesetzen sträubt, wurde vor 50 Jahren bereits deutlich, als für den „Radikalenerlass“ die „Gewährbieteklausel“ (1933) aus dem nationalsozialistischen Beamtenrecht hervorgeholt wurde. Die jetzige Bundesregierung zeigt die Bereitschaft, dies wieder zu tun, wie die SPD-Innenministerin Nancy Faeser ankündigte.

    Deshalb ist es das Gebot der Stunde, laut gegen das Unrecht zu werden und endlich alle von den Berufsverboten Betroffenen zu entschädigen und zu rehabilitieren. Nur durch Solidarität, dem selbstbewussten Vertreten der eigenen politischen Haltung statt „Duckmäusertum“ und durch die Auflösung des faschistischen „Verfassungsschutzes“ lässt sich verhindern, dass der „Radikalenerlass“ sich wiederholt.

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