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Freitag, April 19, 2024
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    Nicht “Globalisten” sind das Problem, sondern der Kapitalismus

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    Die faschistische Bewegung nutzt derzeit wieder die Sorgen der Arbeiter:innen für ihre reaktionären Ziele aus und gibt sich dabei zum Teil sogar antikapitalistisch und subversiv. – Was hinter Begriffen wie „Globalisten“ oder „NWO“ steckt und warum von deren vermeintlicher Radikalität am Ende nur die herrschende Klasse profitiert, schreibt Julius Kaltensee in diesem Kommentar.

    Die Preissteigerungen liegen derzeit auf einem historisch hohem Niveau. Den Arbeiter:innen wird dadurch eine faktische Lohnsenkung beschert, während gleichzeitig der deutsche Staat über 100 Milliarden für Waffen ausgibt und die Unternehmen Rekordgewinne einstreichen. Dies ist eine massive Umverteilung von unten nach oben und verdient unsere Kritik und unseren Widerstand!

    Rechte Gruppen wie die „Freien Sachsen“ beginnen bereits unter dem Motto „Wir frieren nicht für eure Politik“ die Wut der Menschen aufzugreifen. Dies gilt auch für weitere Teile der „Querdenker“-Bewegung. Doch wie sind die in diesen Strukturen dominanten Erzählungen zu bewerten?

    “Globalisten” und “New World Order”

    Ob Corona, Teuerungen, Energiewende, Migration – für die faschistische Bewegung sind all dies zentrale Werkzeuge der sogenannten „Globalisten“, die mit deren Durchsetzung die Nationalstaaten auflösen und somit ihre Kultur auslöschen wollen würden, um mehr Profit machen zu können. Endgültiges Ziel dieser „Eliten“ sei eine einheitliche Weltregierung, die eine komplette kulturelle „Durchmischung“ bedeutet. Dies wird in faschistischen Kreisen auch als der „Great Reset“ begriffen.

    Als “Globalisten2 bezeichnen sie zum einen Menschen, die sich für offene Grenzen einsetzen, zum anderen aber vor allem auch eine supra-nationale geheime Weltregierung, die oft aus jüdischen Menschen, namentlich der jüdischen Bankiersfamilie „Rothschild“, bestehen würde. Auch Personen wie der jüdische Milliardär George Soros spielen darin eine wichtige Rolle.

    Erstere würden unwissentlich im Sinne der sogenannten „New World Order“ (NWO) handeln, letztere bewusst. Dem gegenüber stehe ein ehrliches und kulturell homogenes Volk, als dessen Teil man sich selbst begreift. Ganz im antisemitischen Narrativ der NSDAP wird dieser geheimen Regierung eine Verbindung zur sogenannten „Hochfinanz“ (früher auch „jüdisches Großkapital“) vorgeworfen, eine Bezeichnung für jüdische Bankiers, die angeblich mithilfe privater Banken über die Welt herrschen würden.

    Weltregierung?

    Dabei wird von faschistischer Seite faktisch die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Kapitalist:innen verneint, wenn sie von einer „geheimen Weltregierung“ schwafeln. In der Realität benötigen die reichsten Familien und Milliardär:innen jedoch weiterhin die Nationalstaaten um ihre Politik durchzusetzen und kämpfen dabei auch ganz offen gegeneinander.

    Gerade im Ukraine-Krieg kann man gut sehen, wie die USA die (geo-)strategischen Interessen ihrer Konzerne vertritt, während Deutschland versucht, die eigene Wirtschaft durch die Krise zu manövrieren und auch Russland seine eigenen Oligarchen zufriedenstellen will.

    Zwar üben Konzerne und Milliardär:innen einen erheblichen Einfluss auf die Staatsführungen aus, eine Auflösung der Staaten käme aber nicht in Frage für sie, schließlich organisiert der Staatsapparat doch die militärischen und nicht-militärischen Kämpfe um eine Neuverteilung der imperialistischen Einflussgebiete.

    Die Faschist:innen stärken somit den Imperialismus ihres Landes, indem sie stärkere Nationalstaaten fordern und werden wieder einmal zu Vorarbeitern der herrschenden Klasse.

    Dieses Muster zieht sich durch die Geschichte der faschistischen Bewegung und fand seinen Höhepunkt in der herrschenden NSDAP, die schließlich auch vorgab, „sozialistisch“ zu sein, am Ende aber ausschließlich im Sinne der Kapitalfraktion handelte.

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    Verkleisterung der Klassengegensätze

    Schon früher haben die Faschist:innen versucht, von der “jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung” zu sprechen. Heute nehmen sie dafür den Begriff des „(Kultur-)Marxismus“. Sie versuchen es so darzustellen, als würde dieser von den aktuell Herrschenden ausgehen. Damit versuchen sie den Marxismus als Befreiungstheorie in den Dreck zu ziehen und als etwas Abzulehnendes darzustellen.

    Auch wenn der Marxismus als hauseigene Theorie der verhassten Eliten angesehen wird, fällt linken Antikapitalist:innen dabei schnell auf, dass Faschist:innen einerseits versuchen, das System irgendwie zu kritisieren aber zugleich eine frontal dem entgegengesetzte Ideologie entwickeln.

    Denn tatsächlich teilt sich die Welt mehr und mehr in zwei Gruppen von Menschen, die sich gegenüberstehen und in ihren Interessen konträr sind. Dabei handelt es sich aber nicht um verschiedene Kulturen, Religionen oder anderen spalterischen Unsinn – wie die Faschist:innen behaupten – sondern um ausschließlich polit-ökonomische Gruppen:

    Auf der einen Seite die Kapitalseite mitsamt ihrer Kontrolle über die Produktionsmittel, und auf der anderen Seite die Arbeiter:innenklasse, frei von Produktionsmitteln und zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft gezwungen. Genau dieser Klassenantagonismus wird mithilfe von Antisemitismus und Rassismus aber zugekleistert.

    Diener des Kapitals

    Diese rechte Linie, dient dem Kapital in doppelter Hinsicht:

    Zum einen werden die Arbeiter:innen nach Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung gespalten, sodass jede einzelne Gruppe von Menschen innerhalb der gleichen Klasse isoliert voneinander kämpfen muss. Somit wird die Schlagkraft unserer Klasse merklich minimiert und der Vorteil der zahlenmäßigen Überlegenheit kann nicht genutzt werden.

    Zum anderen dient die Reproduktion von rassistischer Ideologie den Herrschenden als geeignete Begründung für ihre imperialistische Ausbeutung und Kriege in neokolonial ausgebeuteten Ländern. Die Legitimation für Ausbeutung von anderen Ländern ist seit jeher der Rassismus. Dadurch ist er entstanden und genießt daher einen festen Platz in der kapitalistischen Ideologie und wird von den Herrschenden daher auch gefördert.

    Mit richtigen Inhalten antworten

    Bei einer Kritik können die Faschist:innen jedoch an einem realen Problem ansetzen: Die linke politische Widerstandsbewegung in Deutschland hat zum Teil jederlei Bezugspunkt zu den alltäglichen Problemen der Arbeiter:innenklasse verloren.

    Man begnügt sich damit, gegen die Faschist:innen zu sein, setzt ihrer falschen Propaganda aber keine eigenen Inhalte entgegen. Als linke Antikapitalist:innen können wir allerdings die falsche „Systemkritik“ der faschistischen Bewegung leicht erkennen und ihren plumpen Verschwörungserzählungen eine wissenschaftliche, eine sozialistische Analyse entgegenstellen.

    Dabei gilt es, die Probleme und Ängste unserer Nachbar:innen und Arbeitskolleg:innen ernst zu nehmen, aufzugreifen und zu verstehen, sich aber zu keinem Zeitpunkt auf reaktionäre und wissenschaftsfeindliche Verschwörungen einzulassen.

    Wenn wir dort mit reaktionären Verhaltensweisen und Ideen konfrontiert werden, sollten wir uns nicht abschrecken lassen, sondern umso entschiedener und ausdauernder die gemeinsamen Interessen der Arbeiter:innen in den Vordergrund stellen.

    So kann es uns gelingen, dass unsere Klasse geeint und in ihrer ganzen Stärke für ihre Interessen kämpft und sich nicht von den Stolperfallen „Nationalismus“, „Patriarchat“ oder „Rassismus“ auseinandertreiben lässt!

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