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Donnerstag, April 25, 2024
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    Urteil von Fretterode: Die Faschist:innen können sich auf diesen Staat verlassen

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    Nach einem lebensgefährlichen Angriff auf zwei Journalisten in Thüringen wurden zwei faschistische Täter jetzt zu milden Strafen verurteilt. Warum die Begründung der Richterin sinnbildlich für das Verhältnis zwischen Staat und Faschismus ist und weshalb konsequenter Antifaschismus immer revolutionär sein muss. – Ein Kommentar von Julius Kaltensee.

    Im Jahr 2018 attackierten zwei Faschisten, Gianluca B. und Nordulf H. (Sohn der Szenegröße Thorsten H.), im nordthüringischen Fretterode zwei Journalisten, die gerade Recherchen zu dem Umfeld der H.’s betrieben. Während einem Journalisten mit einem Schraubenschlüssel starke Kopfverletzungen zugefügt wurden, wurde seinem Kollegen mit einem Messer ins Bein gestochen. Zusätzlich wurde noch das Auto der beiden Opfer demoliert und eine Kamera entwendet.

    Skandal-Urteil

    Nachdem nun am 15. September diesen Jahres das Urteil durch das Landgericht Mühlhausen in Thüringen gesprochen wurde, schreiben sogar tendenziell konservative bürgerliche Medien wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung über ein “skandalöses Urteil”. Die Richterin entschied sich für lediglich 200 gemeinnützige Arbeitsstunden für den einen Täter und ein lächerliches Jahr auf Bewährung für den zweiten Angeklagten.

    Noch fassungsloser macht allerdings die Begründung, welche die Richterin für dieses Urteil nannte: Die beiden faschistischen Täter hätten nicht erkennen können, dass es sich um Journalist:innen und nicht etwa Vertreter der linken Szene gehandelt hätte. Deshalb sei offenbar der Angriff mehr oder weniger gerechtfertigt gewesen. Viele Prozessbegleiter:innen sprechen daher von einem klaren Signal des „Weiter-so!“ für die faschistische Bewegung.

    Die Richterin bedient dabei die Vorstellung, dass linke und rechte Politik beide als „Extreme“ gegen die gemäßigte Mitte arbeiten, in dem sie Konflikte zwischen diesen Polen grundsätzlich außerhalb der „normalen“ Gesellschaft anordnen. Das Interessante bei dem Fretterode-Prozess ist, dass es sich bei den Opfern nicht um Linke gehandelt hat, aber allein die Annahme der Faschisten in den Augen der Richterin ausreicht, um ein mildes Urteil zu sprechen. Dies ist wohl auch der einzige Grund, warum auch bürgerliche Medien so empört über diesen Fall schreiben.

    Notfallhammer des Kapitalismus

    Diese Gleichsetzung ist auch deshalb falsch, weil sie verschleiert, wo die Ursprünge des Faschismus liegen und was seine Funktion ist. Der Faschismus ist beispielsweise in Deutschland historisch durch gewichtige Teile der besonders aggressiven Kapitalfraktionen als Heilmittel gegen eine zu stark gewordene sozialistische Arbeiter:innenbewegung aufgebaut worden – mit dem Ziel, jede revolutionäre Tendenz im Land auszurotten.

    Besonders bekannte Beispiele dafür sind der von Industriellen und Kolonialisten gegründete “alldeutsche Verband”, der die völkische Ideologie systematsich verbreitete, weiter die direkte finanzielle Förderung der Nazis durch Großkapitalisten wie Thyssen oder Krupp, sowie schließlich die “Industrielleneingabe”, mit der wichtige Industrielle bereits 1932 Paul von Hindenburg aufforderten, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen.

    Statt aber den Kapitalismus ins Visier zu nehmen, stellte der Hitler-Faschismus besonders Jüd:innen als Sündenböcke dar. Was nach der Machtübernahme erfolgte, war zuerst die Zerschlagung der Arbeiter:innenorganisationen und die Ermordung zehntausender Linker und anschließend die systematische, industrielle Vernichtung jüdischen Lebens, von Sinti, Roma und vielen weiteren Gruppen, welche die Faschisten als “Untermenschen” sahen.

    Auch nach 1945 wurden der deutsche Staatsapparat, seine Justiz, seine Geheimdienste und sein Militär von führenden Beamten aus dem Nazi-Apparat aufgebaut. Diese Kontinuität lebt bis heute fort.

    Faschistische Bewegung wird am Leben gehalten

    Aus diesen Gründen wird offensichtlich, dass ein kapitalistischer Staat nicht allzu konsequent gegen faschistische Organisationen und Personen vorgehen kann, da er sich auch in Zeiten einer schwachen Arbeiter:innenbewegung auf schwierige Phasen vorbereiten muss und daher ein klares Interesse an der Präsenz von faschistischen Gruppen in seinem Staat hat.

    So lässt sich auch erklären, warum Faschist:innen immer wieder zu lächerlich geringen Haftstrafen verurteilt werden und warum im Staat selbst – vor allem in der Exekutive – so viele Faschist:innen bestens integriert sind.

    Offensichtlich wird dies auch im Vergleich um die antifaschistische Gruppe Lina E. aus Leipzig, der ähnliche Straftaten vorgeworfen werden und die mit deutlich massiveren Repressionen zu kämpfen hat als die zwei Faschisten aus Thüringen. Der kapitalistische Staat hält sich seine faschistischen Wachhunde also warm und drückt bei ihnen gerne mal ein Auge zu.

    Dieser bürgerliche Staat, mitsamt seiner Parlamente und Gewaltenteilung, trägt also schon jetzt einige der Elemente des Faschismus mit sich – jederzeit bereit, sie zu seinem Nutzen zu stärken und gegen die Arbeiter:innenbewegung einzusetzen.

    Konsequenter Antifaschismus bleibt daher nicht bei der Bekämpfung von faschistischen Strukturen stehen, sondern greift direkt den Ursprung dieser Ideologie an: die kapitalistische Produktionsweise und die herrschende Klasse der Kapitalist:innen.

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