Mit „Netto bis zu 16%“ Gesamteffekt verkauft die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) die Einigung in den Tarifverhandlungen als Erfolg in schwierigen Zeiten. Aber was bedeutet das Ergebnis wirklich für die 580.000 Beschäftigten? – Ein Kommentar von Lukas Voigt, einem Auszubildenden in der Chemiebranche.
Bereits am Dienstag hatten sich die Gewerkschaft IGBCEund der Kapitalistenverband BCAV auf einen Tarifabschluss geeinigt, dessen Laufzeit erst im Sommer 2024 endet.
Nachdem die Verhandlungen im April wegen Unsicherheiten aufgrund der steigenden Gaspreise bereits gegen eine Einmalzahlung verschoben wurde, machen diese steuerfreien „Inflationsausgleichprämien“ diesmal wieder einen großen Teil der Verhandlungsergebnisse aus.
Den Weg dafür hat die Bundesregierung mit ihrem dritten Entlastungspaket bereitet. Aber während diese Nettozahlungen erst einmal nett wirken, machen sie uns über die Jahre hinweg deutlich ärmer.
Das Ergebnis
Nach der dritten Verhandlungsrunde gibt es nun 3,25 % Lohnerhöhung und 1.500€ Netto jeweils zum Januar 2023 und 2024. Azubis erhalten die selbe prozentuale Lohnerhöhung, aber nur 500€. Teilzeitangestellte bekommen entsprechend ihrer Wochenstunden auch weniger, jedoch mindestens 500€.
„Sonderzahlungen und tabellenwirksame Entgelterhöhungen erzeugen in Summe für Chemie-Beschäftigte eine Nettoentlastung von durchschnittlich 12,94 Prozent, in der niedrigsten Entgeltgruppe liegt sie sogar bei 15,64 Prozent.“, schreibt die IGBCE auf ihrer Website und sieht die Aufgabe, einen Inflationsausgleich zu schaffen, als erfüllt an. Allerdings soll dieser laut Prognosen in der gesamten Tariflaufzeit bis zum 30. Juni 2024 nur 12% betragen.
Bestechung statt Inflationsausgleich
Konträr zu ihrem Namen sind die „Inflationsausgleichsprämien“ aber nichts anderes als eine zwischenzeitliche Verzögerung der Reallohnsenkungen, die wir durch die Preissteigerungen erfahren.
Wo stehen wir dann 30. Juni 2024? Die Einmalzahlungen zum „Ausgleich“ der Inflation sind dann aufgebraucht. Übrig bleibt die dauerhaft wirksame Entgelterhöhung um 6,5%. Dem entgegen steht seit Ende des letzten Tarifvertrags im April 2022 – soweit man den Prognosen Glauben schenkt – eine Inflation von insgesamt 16% über den gesamten Zeitraum.
Komplette Kapitulation vor der Kapitalseite
Von Gewerkschaftsseite aus wurde diese fast 10-prozentige Reallohnsenkung schon vor den Verhandlungen mit der nachsichtigen Beteuerung verteidigt, es sei ja momentan so eine schwierige Zeit in der Chemiebranche.
Wenn es aber gerade im Moment so eine schwierige Zeit sein soll, warum dann ein Ergebnis verhandeln, das in naher Zukunft die Konzerne genau so viel kostet wie eine prozentuale Erhöhung, aber auf lange Sicht eine massive Lohnsenkung zu ihren Gunsten darstellt?
Wenn es der IGBCE-Verhandlungsführung wirklich darum gehen würde, eine schwierige Zeit für die Branche zu überbrücken, aber dennoch eine bessere Bezahlung aller Arbeiter:innen zu erstreiten, hätte man genau gegenteilig eine wirklich inflationsgerechte Tariflohnerhöhung erkämpfen müssen.
Unter diesen Umständen lassen sich diese Einmalzahlungen nur als eines wahrnehmen: als eine kurzfristige Bestechungsmaßnahme, damit die massive Absenkung des Lebensstandards von uns Arbeiter:innen leichter hingenommen wird.